Kolumne

Unverschickte Liebesbriefe: Zu feige für Klartext

Was wohl Isa jetzt wieder umtreibt? (Bild: Mike Bislin)

Über Gefühle zu sprechen, fällt nicht jedem leicht. In der neuesten «Isa, garantiert kompliziert»-Kolumne gehts um verpasse Chancen – und das Feigesein.

Wallende Mähne, wacher Blick, Muskeln wie Adonis: So war Nico. Ich sitze auf meinem Teppich, umgeben von alten Fotos. Vor mir die Wühlbox mit Fotos, eines halte ich in der Hand. Ich lächle. An Nico denke ich gern zurück, diesen halbtonnenschweren Freibergerwallach. Gefunden habe ich ihn auf einem Reitschulbetrieb, damals noch mit abgestumpftem Fell und müden Augen.

Ein Jahr lang habe ich ihn gepflegt und geritten, bin mit ihm über Felder galoppiert und in Wälder abgetaucht, statt auf dem abgesteckten Reitplatz die immer gleichen Runden abzutraben. Bis es ihm besser ging. Und ich mich mal wieder um mich respektive meine Matura kümmern musste.

Was man liebt, lässt man los. Also bat ich die Besitzerin, einen neuen Ort für Nico zu finden. Irgendwo im Berner Jura, wo die Weiden keine Grenzen kennen.

Der Liebesbrief aus der Erinnerungsbox

Jeder hat doch so eine Erinnerungsbox. Ich sehe Fotos von mir, wie ich als fünfjähriges Mädchen mit nackten Füssen durch das Meer wate und Muscheln sammle. Fotos meiner Eltern vom letzten gemeinsamen Elba-Urlaub. Fotos mit Freundinnen, die kamen und geblieben sind. Fotos von Freunden, die gegangen sind. Briefe aus der Reha, Karten von verstorbenen Freunden.

Mittendrin ein von mir geschriebener Brief, in einem Couvert ohne Namen. Es ist ein Liebesbrief, den ich nie abgeschickt habe. Das Stück Papier, in dem ich wohl am ehrlichsten zu dem Mann war, den ich vor Jahren einmal ganz gern hatte. Briefe schreiben, nie abschicken oder sie dann sogar verbrennen: Das solle guttun, habe ich damals vermutlich in der «Bravo» gelesen. Hinstehen und Klartext mit dem Mann reden, was ich wirklich fühle und mir erhoffe von dem Ganzen? Never really happened.

Ein Herz-Emoji reicht nicht

Gerade befinde ich mich wieder in einer ähnlichen Situation. Wie oft habe ich nach den ersten Dates nicht klar kommuniziert, was ich mir davon wirklich erhoffe und dass ich das Gegenüber wirklich gut finde? Wie oft dachte ich, dass es sich einfach gut anfühlt und es das Universum schon richten wird? Oder dass eine betrunkene Whatsapp-Nachricht mit einem Herz-Emoji Klartext genug ist?

Ich will alles – und zugleich nichts. Ich suche keine Beziehung, das wär mir zu verzweifelt und erzwungen. Ich will nichts Lockeres, das wär mir zu unbeständig und mit zu wenig Tiefgang. Also sagte ich dem letzten tollen Mann, der mir begegnet war, dass wirs einfach easy nehmen. Schliesslich hatte er krasse Bindungsängste, wie er meinte.

Ich bin leidenschaftlich und impulsiv, zugleich clever genug, um dies unter einer rationalen, kühlen Fassade zu verdecken. Natürlich mochte ich ihn mit jedem Treffen mehr, ich konnte mich fallen lassen, der Sex war super, Gefühle wuchsen. Natürlich sagte ich ihm nichts. Wir nahmens ja easy, ohne Stress und ohne Druck.

Klartext reden

Heute weiss ich: nicht zu sagen, was man wirklich fühlt, ist ziemlich dumm. Und das nur aus Angst, etwas zu verlieren. Dabei verliert man vor allem dann, wenn man nicht ehrlich zu sich selbst und zum Gegenüber ist. Man nie Gewissheit hat, was das eigentlich ist, was zwischen zwei Menschen ist.

Ich lege den Brief zurück in die Box und verstau sie wieder unter dem Nachttisch. Vielleicht, vielleicht bin ich ja diejenige mit Bindungsängsten. Und vielleicht sollte ich mal hinstehen und mehr als nur ein Herz-Emoji nachts um drei von mir geben.

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