Luzerner Richterin über Frauen in der Justiz

«In zwei Fällen hat es eine Rolle gespielt, dass ich eine Frau war»

Richterin Vivan Fankhauser-Feitknecht im Gespräch mit der Luzerner Juristin Diel Schmid. (Bild: ber)

Vivan Fankhauser-Feitknecht ist Richterin am Kantonsgericht. Dass sie in ihrer Familie diejenige ist, die das Geld heimbringt, haben anfangs einige nicht verstanden. Dieses Wochenende gab sie einen Einblick, was es heisst, als Frau in der Justiz Karriere zu machen.

40 Prozent der Richter in der Schweiz sind Richterinnen. Das klingt, als wäre die Gleichstellung in der Justiz zum Greifen nah – zumal immer mehr Frauen Rechtswissenschaften studieren.

Ganz so rosig ist die Situation aber nicht. Denn viele Richterinnern arbeiten Teilzeit. Und so sind es aufs Arbeitspensum gerechnet eben doch nur 27 Prozent Frauen, die in der Schweiz Recht sprechen.

Eine von ihnen ist Vivan Fankhauser-Feitknecht. Seit 2014 ist sie Kantonsrichterin in Luzern. An einem «Frauenzmorge» des Vereins «50 Jahre Frauenstimmrecht» gab sie diese Woche einen Einblick in ihre Arbeit.

Schwanger? Nimm doch unbezahlten Urlaub!

1997 wurde Fankhauser ans Bezirksgericht Kriens gewählt. Damals erwartete sie gerade ihr erstes Kind. Da sie die Akademikerin war – und ihr Mann weniger verdiente – hatte das Paar vereinbart, dass er sein Pensum reduzieren würde. Heisst: ihr kam die Rolle der Ernährerin zu.

«Bevor ich gewählt wurde, kannte ich niemandem am Bezirksgericht», erzählt Fankhauser im Gespräch mit der Juristin Diel Schmid, die ebenfalls am Kantonsgericht arbeitet. «Ich rief an, um zu besprechen, wann ich wegen der Schwangerschaft die Stelle antreten soll.» Da habe ihr eine völlig unbekannte Person am Telefon den «guten Rat» gegeben, sie solle doch möglichst früh in den Mutterschaftsurlaub gehen – und nach der Geburt ein paar Monate unbezahlten Urlaub nehmen. «Das hätte man einem Mann, der die Familie ernähren muss, bestimmt nicht geraten», meint Fankhauser. Und ergänzt halb lachend, halb zweifelnd: «Zum Glück sind wir da heute weiter.»

Richterinnen wollen Familie und Beruf

Tatsächlich dringen die Frauen in immer höhere Instanzen vor. Während frühere Generationen von Richterinnen sich gemäss einer Studie sehr karriereorientiert zeigten, streben sie heute nach Erfüllung sowohl in der Berufstätigkeit als auch im Familienleben. Im Bereich Vereinbarkeit wird sich deshalb auch die Luzerner Justiz noch weiter bewegen müssen.

Der Vorteil einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung: Jede Richterin und jeder Richter bringt seine Lebenserfahrungen in die Arbeit mit ein. Das beeinflusst die Rechtsprechung in einem positiven Sinne, weil die Justiz so die Gesellschaft breiter abdeckt. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Akzeptanz der Entscheide aus – zumindest in der Theorie.

Aus Sicht von Fankhauser spielt es in der Regel eine untergeordnete Rolle, ob ein Fall von einer Richterin oder einem Richter beurteilt wird. Dies weil dem Ermessen durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen gewisse Grenzen gesetzt sind. Nur sehr selten würden die Erfahrungen, die sie als Frau gemacht habe, direkt in die Entscheidungsfindung einfliessen.

Häusliche Gewalt: Die Spirale durchbrechen

«Ich glaube, dass es bislang nur in zwei Fällen eine Rolle gespielt hat, dass ich eine Frau war. Da wäre anders entschieden worden, wenn nicht ich das Verfahren geleitet hätte», meint Fankhauser.

In einem dieser Fälle ging es um einen Mann, der stark verdächtigt wurde, seine Frau massiv zusammengeschlagen zu haben. «Die Luzerner Polizei kann mutmassliche Täter zu sechs Stunden Gewaltprävention verpflichten», erklärt Fankhauser. Sie hatte zusammen mit Richterkollegen zu entscheiden, ob das im vorliegenden Fall angebracht ist.

«Da fiel die Aussage, diese Prävention brauche es nicht. Ich aber fand es absolut wichtig, diesem Mann aufzuzeigen, wie er in ähnlichen Situation anders reagieren kann. Ich konnte meine Sicht denn auch einbringen», erzählt Fankhauser.

Darf die Rechtsprechung die Lohnungleichheit hinnehmen?

In einem zweiten Fall ging es um ein junges Mädchen, das einen schweren Velounfall hatte. «Es war danach klar, dass sie nie wird arbeiten können. Wir hatten die Frage zu klären, wie viel die junge Frau ohne den Unfall hätte verdienen können – sprich, wie viel Lohnersatz ihr die Versicherung zahlen muss.»

Das Mädchen hatte sich vor dem Unfall entschieden, mit Tieren zu arbeiten. Also ging das Gericht von einem Lohn aus, den sie entweder als Zoologin oder Tierärztin hätte erzielen können. «Da fiel mir auf, dass das Gutachten bei der Berechnung des Lohnausfalls von einem tieferen Lohn ausging, weil das Mädchen als Frau ja weniger verdienen würde denn als Mann», erzählt Fankhauser. Den Besucherinnen beim Frauenzmorge bleibt bei dieser Aussage fast das Gipfeli im Hals stecken. Ein Raunen geht durch den Raum.

Die Lohnungleichheit wurde als gegeben ins Gutachten übernommen. «Ohne zu berücksichtigen, dass diesbezüglich in den nächsten Jahren mit einer Angleichung zu rechnen ist», wie Fankhauser sagt. «Wir sind deshalb dann bei der Berechnungen davon abgewichen und von einem höheren Frauenlohn ausgegangen. Der Entscheid wurde nicht angefochten.»

Umgekehrte Rollenverteilung: Tücken bei der Altersvorsorge

Ans Frauenzmorge begleitet wurde Vivian Fankhauser von ihrer Tochter. Diese sei immer froh gewesen, dass ihr Vater gekocht habe und nicht sie, scherzt sie. Die «umgekehrte Rollenverteilung» hat aber auch für Männer ihre Tücken.

«Als er eine Zeit lang sein Pensum von 60 auf 30 Prozent reduziert hat, habe ich erst gestaunt, warum sich sein Lohn nicht halbiert hat», erzählt die Richterin. «Bis ich realisierte, dass er aus der Pensionskasse rausgeflogen war.» Allgemein sei es so, dass mit massiven Einbussen bei der Altersvorsorge zu rechnen ist, wenn man weniger als 70 Prozent arbeitet, so die Juristin. «Auch deshalb würde ich allen raten, unbedingt einen Fuss im Berufsleben zu behalten.» Der Rat gilt vermutlich sowohl für Frauen wie auch für Männer.

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