Kann er die Pfarrei St. Michael versöhnen?

«In Zug ist man direkt. Man sagt, was man denkt»

Reto Kaufmann vor dem Eingang des Pfarrhauses St. Michael, wo er im November eingezogen ist.

(Bild: mbe.)

Der neue Pfarrer der grössten Stadtzuger Pfarrei, Reto Kaufmann (51), ist seit einigen Wochen im Amt. Er hat keine leichte Aufgabe übernommen – in der Pfarrei kam es zu mehreren Zerwürfnissen. Wir fragten den Luzerner, ob er sich in Zug schon akklimatisiert hat. Reto Kaufmann ist vorsichtig, doch fassbar in seinen Äusserungen.

Wir treffen Reto Kaufmann im schmucken historischen Pfarrhaus, das zwischen dem Zentrum St. Michael und der Kirche auf einer Anhöhe thront. In einem Besprechungszimmer empfängt der Pfarrer den Autor, auf dem Tisch brennt eine Kerze. Kaufmann wirkt kontrolliert, aber zugänglich, lacht immer wieder mal im Gespräch.

Ende November wurde der Priester in einem feierlichen Gottesdienst in sein Amt eingesetzt. «Ich habe sehr gut angefangen und bin wohlwollend aufgenommen worden», sagt der neue Pfarrer mit Luzerner Dialekt. «Die Türen waren offen, hier im Team mit meinen Mitarbeitern. Auch von den Pfarreiangehörigen habe ich eine grosse Offenheit gespürt.»

In St. Michael kennt nicht jeder jeden

Kaufmann hat die letzten 12 Jahre in Luzern gearbeitet. Was ist anders in Zug? «Ein grosser Unterschied ist es nicht einmal», sagt er. Es gebe hier wie dort ein Kirchenleben mit verschiedenen Gruppierungen und Personen, die sich dafür engagierten. In Luzern sei er in Quartierpfarreien tätig gewesen, wo «jeder jeden kannte».

St. Michael Zug sei eine Zentrumspfarrei, die älteste der Stadt, mit vielen verschiedenen Kirchen und Kapellen. Sie zählt rund 5000 Gläubige. Mentalitätsmässig gäbe es auch gewisse Unterschiede zwischen den Zentralschweizer Städten Luzern und Zug. «Sie sind herzlich, die Zuger. Aber auch relativ direkt. Man sagt, was man denkt. Das finde ich auch gut.»

«Die grösste Erwartung an mich ist, dass ich ein wenig Ruhe ins Pfarreileben hineinbringen kann.»
Pfarrer Reto Kaufmann

Kaufmann ist ein Hoffnungsträger für die Zuger Pfarrei, die in den letzten Jahren verschiedene Wechsel in der Leitung erlebte, was mit viel Unruhe verbunden war (zentralplus berichtete). «Die grösste Erwartung an mich ist, dass ich ein wenig Ruhe ins Pfarreileben hineinbringen kann. Kontinuität und Ruhe», sagt Kaufmann. Diesen Wunsch habe er verschiedentlich gehört. «Die Gläubigen wünschen sich, dass das Pfarreileben wieder normal läuft und sie sich nicht alle zwei Jahre auf jemand anders einstellen müssen.»

Zur Person

Reto Kaufmann hat Jahrgang 1965 und ist im luzernischen Knutwil aufgewachsen. Nach einigen Jahren Arbeit als Katechet und Diakon wurde er im Juni 1998 in Solothurn zum Priester geweiht. Von 1998 bis 2004 war er in der Pfarrei St. Jakob in Cham als Vikar, ab 2003 als Pfarradministrator tätig. 2004 wurde Kaufmann Pfarrer der Pfarrei St. Anton, Luzern, und ab Sommer 2008 leitete er zusätzlich die Pfarrei St. Michael in Luzern. Per Juli 2016 trat er zurück, nahm sich eine Auszeit. Und nun also der Wechsel nach Zug: Sein Amt als Pfarrer der Pfarrei St. Michael in Zug trat Kaufmann am 27. November an.

Nicht vorbelastet

Der Pfarrer steht ganz am Anfang, macht sich erst einmal ein Bild von seinen «Schäfchen». Er will sich ein Jahr Zeit dafür nehmen. «Es ist schwierig für mich, die Pfarrei schon jetzt zu beurteilen. Ich habe die frühere Geschichte nicht miterlebt und weiss auch nicht, wer wo involviert war», sagt er. Er gehe aber dadurch mit Offenheit auf die Leute zu, sei nicht vorbelastet. «Das ist ein Vorteil», sagt Kaufmann.

Sein erster Eindruck sei derjenige eines sehr lebendigen Gemeindelebens. «Viele Leute machen mit und engagieren sich.» Es gebe eine grosse Bandbreite von Ausrichtungen, von eher konservativen bis zu liberal eingestellten Kirchenbesuchern, das gehöre zur katholischen Kirche. Von einer Spaltung merkte er bisher nichts.

«Meine Meinung ist, dass die Liebe von zwei Menschen unter den Segen Gottes gestellt werden kann.»
Kaufmann zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare

Und der Knatsch im Kirchenchor St. Michael? Der langjährige Organist Marco Brandazza war 2016 entlassen worden, worauf der Grossteil der Mitglieder den Chor ebenfalls verliess. An Weihnachten hatte die Pfarrei faktisch keinen Chor, und die Orchestermesse fiel deshalb zur Enttäuschung vieler Kirchgänger aus. Der Kirchenchor sei wieder auf gutem Weg, merkt Kaufmann an, eine Findungskommission suche momentan eine neue Chorleitung.

Jeder trage Verantwortung für gute Gemeinschaft

Wie er die Gemeinschaft fördern will, schildert Reto Kaufmann in diesen Worten: «Wir sind verschiedene Leute, aber wir haben das gleiche Fundament. Kirche ist ja nicht nur das Gebäude, sondern das sind wir Menschen. Ob die Gemeinschaft gut ist, hängt auch nicht nur von denjenigen ab, die vorne stehen, den Angestellten, sondern letztlich von jedem Einzelnen. Dieses Verständnis will ich ein Stück weit fördern.»

Ein anderes Verständnis, das Sprachliche, ist Kaufmann ebenfalls wichtig. «Ich halte die Predigt in der Regel auf Hochdeutsch», sagt der Pfarrer. Der Grund sei, dass die Pfarrei St. Michael auch viele fremdsprachige Gläubige hat, zum Beispiel Engländer, Franzosen Italiener oder Polen. Teilweise feierten diese überdies auch eigene Gottesdienste.

Adoray-Gottesdienste «keine Konkurrenz»

Die Gemeinschaft der Seligpreisungen, die im ehemaligen Kapuzinerkloster lebt, das ebenfalls zur Pfarrei gehört, hat der neue Pfarrer bereits kennengelernt. Nach katholischer Definition handelt es sich um eine neue religiöse Gemeinschaft. Ihre charismatisch angehauchten Gottesdienste sind immer gut besucht. Hauptveranstaltung ist das jährliche Adoray-Festival in der Kirche St. Michael (zentralplus berichtete). Diese Gemeinschaft empfindet Reto Kaufmann nicht als Konkurrenz. «Im Gegenteil.» Man arbeite zusammen, die Gemeinschaft decke eine andere Sparte ab, spreche ein eigenes Publikum an. Jeden ersten Sonntag im Montag gestalte sie den Abend-Gottesdienst in der Kirche St. Michael.

Personalmangel langfristig ein Problem

Kaufmann leitet neben der Pfarrei auch den Pastoralraum Zug-Walchwil. Der Pastoralraum ist eine Art Dachorganisation für die vier Stadtzuger Pfarreien und diejenige von Walchwil. Dort startet jetzt ein Projekt, bei dem man die Zusammenarbeit der Pfarreien verstärken und personelle Ressourcen besser nutzen will. Projektleiterin ist Sibylle Hardegger, welche die Pfarrei St. Michael nach der Kündigung des letzten Pfarrers Mario Hübscher ad interim leitete. Der Priestermangel sei schon länger ein Problem. Doch laut Kaufmann gibt es auch einen Mangel an Seelsorgepersonal und immer mehr an Personen, welche Leitungsfunktionen übernehmen möchten.

Das Stichwort-Interview

Wir haben dem neuen Pfarrer von Zug ausserdem den Puls gefühlt, gaben ihm einige Stichworte vor, auf die er kurz antworten sollte. Nachfolgend seine Aussagen.
Liturgie?
Etwas Schönes. Eine Kraftquelle.
Himmel und Hölle:
Für mich menschliche Bilder von etwas, das man sich nicht vorstellen kann. Es ist noch nie jemand zurückgekehrt …
Fegefeuer:
Ebenfalls ein solches Bild. Ich stelle mir nicht vor, dass man irgendwo gebraten wird, an einen solchen sadistischen Gott glaube ich nicht.
Papst Franziskus?
Hat viele Verkrustungen in der Kirche aufgebrochen.
CVP?
(lacht) Das sage ich nichts. Aus der Parteipolitik halte ich mich raus.
Papst Benedikt?
Ein grosser Theologe.
Frauen als Priesterinnen?
Könnte ich mir vorstellen.
Trauung von homosexuellen Paaren?
Kurz dazu etwas zu sagen, ist schwierig. Die Trauung ist sowieso nicht möglich, es wäre dann eine Segnung. Meine Meinung ist, dass die Liebe von zwei Menschen unter den Segen Gottes gestellt werden kann.
Haben Sie einmal ein gleichgeschlechtliches Paar gesegnet?
Nein, noch nie.
Kommunion an Geschiedene?
Das theologische «Problem» entsteht nur bei der Wiederverheiratung, und das ist ein Gewissensentscheid. Ich frage niemanden, ob er geschieden oder wieder verheiratet ist. Dort wo ich es weiss, ist es für mich kein Problem.
Reformationsjubiläum?
Das feiern wir am 1. April, zusammen mit den Reformierten, es gibt in Zug einen nationalen ökumenischen Gedenk- und Feiertag zu Bruder Klaus und der Reformation. Das Jubiläum ist ein Anlass zur Besinnung auf die Geschichte, auf die Gründe der Trennung, auf Fehler, die gemacht wurden, und wo man Schritte aufeinander zu tun kann. Die Ökumene ist mir ebenfalls ein Anliegen.
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