Junge Flüchtlinge in Luzern

«In erster Linie Menschen, keine Asylsuchenden»

Nicht alle Jugendliche und Kinder haben das Glück, ihre Eltern dabei zu haben: Bewohner des Asylzentrums Hirschmatt in Luzern. (Bild: screenshot srf)

Sie sind jung, kommen allein – und es werden immer mehr: Minderjährige Asylsuchende können nicht einfach in normalen Unterkünften untergebracht werden, darum will der Kanton ein neues Zentrum für sie eröffnen. Das führt zwar zu hohen Kosten. Erfahrungen aus anderen Kantonen zeigen aber, dass sich der Aufwand lohnt: Die Jugendlichen haben zusätzliche Betreuung dringend nötig.

Unfassbar, was derzeit in Europa geschieht: Tausende und Abertausende flüchten hierher, riskieren Leib und Leben für die Hoffnung auf ein besseres Leben. Besonders gefährlich und strapaziös ist es für Kinder und Jugendliche, die allein unterwegs sind. Sie riskieren ihr Leben, weil sie ihre Eltern im Krieg verloren haben, weil sie Schreckliches erleben mussten oder einfach, weil sie nach einer besseren Zukunft suchen.

Die Zahl der unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden, in der Fachsprache als UMA bezeichnet, nimmt Explosionsartig zu. Fast 1000 waren es schweizweit bis Ende Juli, im ganzen letzten Jahr waren es 795, notabene doppelt so viele wie 2013.

Teurer als normale Flüchtlinge

Im Kanton Luzern leben derzeit 95 UMA’s, wie die Caritas auf Anfrage mitteilt. Die meisten sind männlich – rund 80 – und stammen aus Eritrea. Gut 60 sind im Asylzentrum Sonnenhof in Emmenbrücke untergebracht. Dort hätten eigentlich nur 30 Jugendliche Platz – darum will der Kanton nun ein Zentrum schaffen, das bis zu 70 jungen Asylsuchenden Platz bieten soll, wie das Gesundheits- und Sozialdepartement (GSD) auf Anfrage bestätigt. Wo diese Unterkunft sein wird, wird vom Kanton noch nicht kommuniziert.

Temporäre Unterkünfte am teuersten

Die gewaltigen Flüchtlingsströme, die sich dieses Jahr in Richtung Europa bewegen, machen auch dem Kanton Luzern zu schaffen. Und dies auch in finanzieller Hinsicht: Die Kosten werden um satte 5,41 Millionen höher sein als budgetiert. Dies schreibt die Regierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Gemäss Budget 2015 wurde im Asylbereich mit einem Nettoaufwand von 2,9 Millionen gerechnet. Gemäss Hochrechnung erwartet die Regierung nun aber bis Ende Jahr im Asylbereich inklusive Nothilfe Nettokosten von 8,31 Millionen.

Hinzu kommen weitere indirekte Kosten wie zum Beispiel Bildungsauslagen. Der Regierungsrat kündigt deshalb an, beim Kantonsrat einen hohen Nachtragskredit für das Asylwesen zu beantragen.

Aufgrund des stark zunehmenden Bedarfs an Unterkunftsplätzen habe der Kanton temmporäre Lösungen – etwa Unterkünfte in Zivilschutzanlagen – suchen und finden müssen, welche verhältnismässig teuer seien, schreibt die Regierung. Die Globalpauschale von 1'453 Franken monatlich, welche der Bund pro Sozialhilfe beziehenden Asylsuchenden entrichtet, sei ohnehin nicht kostendeckend. Durch die zusätzlichen Aufwendungen sei der Kostendeckungsgrad sogar noch massiv gesunken.

Klar ist aber, dass die Unterbringung von UMA’s teuer ist: Kostet ein Flüchtling pro Jahr rund 18’000 Franken, so muss man für einen Jugendlichen oder ein Kind etwa 40’000 Franken berechnen. In einer Pflegefamilie, wo vor allem kleinere Kinder untergebracht sind, kostet es gar 80’000 Franken. Regierungsrat Guido Graf hat entsprechend angekündigt, beim Bund eine höhere Pauschale für UMA’s zu beantragen.

«Grosse Herausforderung für die Kantone»

Der hohe Preis hat seinen Grund: Für jeden UMA muss eine Vertrauensperson ernannt werden, zudem haben sie gemäss dem Staatssekretariat für Migration Anrecht auf eine geeignete Unterkunft, Schulbildung und Animation. Das stellt für die Kantone eine grosse Herausforderung dar.

Luzern kennt bisher keine speziellen Einrichtungen für UMA’s. Andere Kantone haben bereits Erfahrung mit Zentren für Jugendliche Asylsuchende: In Zürich, Waadt, Basel-Stadt und Bern bestehen spezielle Einrichtungen.

Wie sind die Erfahrungen damit? «Ausgangspunkt unseres Konzeptes ist die Grundhaltung, dass unbegleitete minderjährige Asylsuchende in erster Linie Kinder und Jugendliche sind, die besonders verletzlich sind und die Recht auf speziellen Schutz und Fürsorge haben», sagt Katrin Pfrunder, Kommunikationsverantwortliche des Zentrums Bäregg im Kanton Bern. Die Organisation ist an verschiedenen Standorten für alle UMA’s im Kanton verantwortlich, derzeit sind es rund 260 Jugendliche.

Nebst UMA-Wohnheimen gibt es auch begleitete Wohnformen, Platzierungen in Pflegefamilien oder Verwandten sowie Sonderunterbringungen. Wichtig sei es, diesen jungen Menschen stabilisierende und altersgerechte Tagesstrukturen zu geben, die in Kollektivunterkünften für Erwachsene häufig nicht gegeben sind.

«Entscheidend sind nebst schulischen Angeboten auch sinnvolle Freizeitbeschäftigungen», so Pfrunder. So würden etwa einige in den örtlichen Sportvereinen mitmachen.

Nicht als Opfer wahrnehmen

Die meisten Jugendlichen haben schwierige und belastende Erfahrungen hinter sich. «Viele haben traumatische Erfahrungen gemacht», sagt Katrin Pfrunder. Dennoch sei es wichtig, dass man sie deswegen nicht nur als Opfer wahrnehme.

Wichtiger sei es, ihre Ressourcen zu stärken und ihnen einen altersgerechten Alltag zu ermöglichen. Ausserdem verfügten viele von ihnen über ein überdurschnittliches Mass an Widerstandskraft und Selbständigkeit.

«Wichtig ist auch, dass wir sie in erste Linie als junge Menschen und nicht als Asylsuchende wahrnehmen», sagt Pfrunder. In vielen dieser Menschen stecke viel Kraft und Energie, gerade weil sie so Schlimmes erlebt haben.

Bisher keine Rückschaffungen

Die meisten Jugendlichen in Bern stammen wie auch in Luzern aus Eritrea. Einige bekommen eine vorläufige Aufnahme, die meisten stecken in laufenden Asylverfahren. «In einzelnen Fällen gibt es negative Asylentscheide, aber eine Rückschaffung von Minderjährigen ohne elterliche Begleitung habe ich bislang nicht erlebt», sagt Pfrunder.

Intensive Betreuung im Sonnenhof

Nun wird also bald auch Luzern ein spezielles Zentrum für UMA’s eröffnen. Bereits jetzt schon werden die 60 Jugendlichen im Sonnenhof speziell betreut: Neben zwei Berufsbeiständinnen werden sie zusätzlich von zwei Personen in sozialpädagogischer Ausbildung und einer Praktikantin betreut. Unter 16-Jährige Flüchtlinge besuchen die Volksschule, Ältere nehmen an speziellen Integrationsangeboten und Ausbildungsprogrammen wie Sprachförderung und Jobtraining teil.

Zur Zeit geben die Verantwortlichen vom Sonnenhof keine Stellungnahmen ab, weil die Arbeitsbelastung momentan sehr hoch sei. In einem kürzlich erschienenen Beitrag des Regionaljournals von SRF erzählen zwei 17-Jährige von ihrem Schicksal. Der Eine war zwölf, als er durch die Sahara flüchten musste, weil zu Hause seine Eltern von Uniformierten geschlagen und misshandelt worden waren.

Die beiden Jugendlichen landeten schlussendlich in Emmenbrücke. «Ich werde traurig, wenn andere Leute von ihren Familien erzählen. Ich bin hier ganz alleine auf mich gestellt», erzählt der Eine. Beide träumen vor allem davon, ihre Eltern irgendwann wiedersehen zu können.

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