Emmen gewinnt Wärme aus Wasser statt Gas

In der Viscosistadt beginnt das neue Energiezeitalter

Werner Häller, Geschäftsführer des Wärmeverbunds, zeigt: Die Infrastruktur für die Verteilung des Grundwassers besteht zu grossen Teilen schon.

(Bild: jwy)

Der Seetalplatz löst sich fast komplett von fossilen Brennstoffen: Ab 2020 wird Wärme und Kälte aus den Grundwasserströmen der Kleinen Emme gewonnen. Damit werden die CO2-Emissionen um 93 Prozent reduziert, aber ganz ohne Gas geht’s dennoch nicht.

Werner Häller hebt einen viereckigen Metalldeckel aus dem Beton. Durch das Loch blickt man auf einen unterirdischen See – das Grundwasser, das hier seit der Eiszeit fliesst. Es ist Gold wert für den Industriestandort Viscosistadt, der das Wasser schon seit über 100 Jahren zur Kühlung seiner Anlagen nutzt.

«Damit versorgen wir die Viscosistadt und andere Gebiete um den Seetalplatz in Zukunft mit Energie», sagt Häller. Er ist Geschäftsführer des neu gegründeten Wärmeverbunds Seetalplatz. Wir stehen in einem von fünf Brunnen auf dem Areal, die das Grundwasser anzapfen. Der Clou: In Zukunft versorgt das Wasser die bestehenden und kommenden Gebäude auf und um den Seetalplatz nicht nur mit Kälte, sondern auch mit Wärme. Damit erhalten die erwarteten 1500 neuen Wohnungen und über 4000 Arbeitsplätze ab 2020 eine ökologische und nachhaltige Energieversorgung – unter anderem auch die neue kantonale Verwaltung auf dem Seetalplatz.

25 Millionen Franken Investition

Das System funktioniert so: Die Grundwassertemperatur variiert je nach Jahreszeit zwischen 9 und 14 Grad. Das Grundwasser wird in Zukunft in eine neue Wärmezentrale gepumpt, wo ihm Wärme entzogen wird. Diese Energie fliesst in einen separaten Wasserkreislauf und wird zusätzlich mit industrieller Abwärme aus der Viscosistadt gespiesen.

So gelangt das aufgeheizte Wasser via Fernwärmeleitungen in die Gebäude und kehrt danach einige Grad kühler wieder zurück in die Wärmezentrale. Analog dazu gibt es einen Kreislauf mit kaltem Wasser. Die Pumpen werden mit Solarstrom von den Dächern betrieben. «Wir können das Wasser nun doppelt nutzen», erklärt Häller, ein grosser Vorteil gegenüber herkömmlicher Fernwärme. Zudem sei ein Grossteil der Infrastruktur in der Viscosistadt schon vorhanden. 25 Millionen Franken investiert der neue Wärmeverbund Seetalplatz (WVS) – eine hundertprozentige Tochter des Unternehmens Monosuisse – in drei neue Wärmezentralen, zusätzliche Brunnen und neue Leitungen.

Blick in den Untergrund: Über bestehende Grundwasserbrunnen wird künftig Energie gewonnen.

Blick in den Untergrund: Über bestehende Grundwasserbrunnen wird künftig Energie gewonnen.

(Bild: jwy)

Weg von Gas und Öl

Mit dem Wärme-/Kälte-Netz bricht in der Viscosistadt ein neues Energiezeitalter an, losgelöst von fossilen Brennstoffen. 5800 Tonnen CO2 werden so pro Jahr eingespart, das ist eine Reduktion um 93 Prozent. 25 Gigawattstunden Energie liefert das System, das entspricht dem Bedarf von rund 500 Mehrfamilienhäusern.

Die Energievergangenheit steht nur ein paar Schritte vom Grundwasserbrunnen entfernt gleich neben der Kunsthochschule: das Kesselhaus mit seinen riesigen Gas- und Öltanks und einem rauchenden Kamin. Dieses produziert seit 30 Jahren Wasserdampf für die Industrieproduktion und das gesamte Heizungssystem auf dem Areal. «Es sieht schön aus, ist aber nicht wirklich effizient, durch die vielen Leitungen hat es einen grossen Leistungsverlust», sagt Häller. Dazu kommen die vielen Emissionen.

Die neue Wärmezentrale dagegen wird komplett unterirdisch sein. Ist sie einmal gebaut, verschwindet das alte Kesselhaus komplett und macht einer Überbauung Platz.

Bisher wurde Energie und Wärme in der Viscosistadt mit fossilen Brennstoffen gewonnen, wie hier im Kesselhaus.

Bisher wurde Energie und Wärme in der Viscosistadt mit fossilen Brennstoffen gewonnen, wie hier im Kesselhaus.

(Bild: jwy)

Ein Leuchtturm für den ganzen Kanton

Mit dem privaten Wärmeverbund Seetalplatz würden die Vorgaben der Energiestrategie 2050 bereits jetzt erfüllt. Die neue Energieversorgung sei daher ein Leuchtturmprojekt und «zukunftsweisend für den ganzen Kanton», würdigt Regierungspräsident Robert Küng (FDP) das Vorhaben. Die Message sei angekommen: «Die Wirtschaft übernimmt ihre Verantwortung gegenüber der Umwelt.» Der Emmer Gemeinderat Josef Schmidli (CVP) sieht den Wärmeverbund als beispielhafte Lösung für die Zusammenarbeit von Gemeinde und Industrie: «Wir haben die Grundwasserbrunnen und das grosse Know-how.»

Die Nachhaltigkeit zahle sich aus, ist auch Alain Homberger, Geschäftsführer der Viscosistadt, überzeugt. Der weitgehende Verzicht auf fossile Energieträger sei ein wichtiger Schritt für die «Evolution im Einklang mit Ökologie und Ökonomie». Hombergers Sefar Holding ist Besitzerin der Monosuisse, die auf dem Areal industrielle Kunststoffe produziert – und damit auch Eigentümerin des Firmenareals und der Wasserrechte für die Grundwasserbrunnen.

Stellen den neuen Wärmeverbund Seetalplatz vor (von links): Christoph Zurflüh (Gebietsmanager Luzern Nord), Sepp Schmidli (Gemeinderat Emmen), Robert Küng (Regierungsrat) und Werner Häller (Geschäftsführer des Wärmeverbunds).

Stellen den neuen Wärmeverbund Seetalplatz vor (von links): Christoph Zurflüh (Gebietsmanager Luzern Nord), Josef Schmidli (Gemeinderat Emmen), Robert Küng (Regierungsrat) und Werner Häller (Geschäftsführer des Wärmeverbunds).

(Bild: jwy)

Bis 2024 wächst das Netz

Die neue Anlage ist nicht nur umwelttechnisch und energetisch sinnvoll, sondern spart auch Platz und Unterhaltskosten. Ganz ohne Gas geht es aber auch in Zukunft nicht: Für Verbrauchsspitzen werden künftig maximal 7 Prozent fossile Energien verwendet.

Der Spatenstich für das neue Energienetz erfolgt in den nächsten Tagen, im Frühling sollen die ersten neuen Leitungen verlegt werden. Ende Jahr wird die erste Wärmepumpe in Betrieb gehen. Ziel ist, dass die verschiedenen Baufelder im Gebiet Seetalplatz in weiteren Etappen laufend bis 2024 erschlossen werden.

Christoph Zurflüh, Gebietsmanager Luzern Nord, zieht als Fazit: «Auf dem Seetalplatz ist der Verkehr und der Hochwasserschutz parat, jetzt folgt die Energie und die Entwicklung des Areals.»

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