Pecha-Kucha-Vorträge in der Luzerner Jazzkantine

In 20 Bildern – Kulturleute setzen ihre Projekte in Szene

Der Luzerner Architekt Harry van der Meijs ist grosser Hieronymus-Bosch-Fan und widmete diesem spontan 20 Folien.

(Bild: Laura Livers)

Schluss mit langatmigen Vorträgen: 20 Folien während jeweils 20 Sekunden – bei der Vortragstechnik Pecha Kucha geht’s rasant vorwärts. Am Wochenende haben sich Kulturschaffende getroffen, um so von ihren Projekten zu berichten. Der Höhepunkt war jedoch etwas ganz anderes.

Pecha Kucha (japanisch «Stimmengewirr») ist die Antithese zum üblichen Vortragswesen. Anstatt dass ein Vortragender eine Stunde über ein Thema referiert, benutzen die Pecha-Kuchler das Prinzip von 20×20. Das heisst: 20 Bilder werden jeweils 20 Sekunden projiziert, sodass jeder Vortragende exakt 6 Minuten und 40 Sekunden hat, sich, seine Arbeit, seine Ansichten und seine Messages dem Publikum zugänglich zumachen. Es gilt sich also kurz zu fassen und seine Arbeiten auf das Wesentliche zusammen zu kürzen.

Austauschstudent inspiriert Kulturanlass

Die Pecha-Kucha-Nacht Luzern findet bereits seit 2011 im Halbjahrestakt statt. Ein japanischer Austauschstudent hatte damals Sören Linhart von einer Vortragsreihe erzählt, die jedem die Möglichkeit gibt, sich und seine Ideen einem breiten Publikum bekannt zu machen. Mit dieser Idee trat Linhart an Tino Küng, den Präsidenten des Schweizerischen Werkbundes (SWB) heran , der dies als hervorragende Möglichkeit sah, die verschiedenen Sparten der, im weitesten Sinne, Kunstszene miteinander bekannt zu machen.

Pecha Kucha soll aber nicht nur Kunstschaffenden eine Plattform bieten, sondern allen, die sich kreativ betätigen. So gab es in den letzten fünf Jahren auch Vorträge über Kannibalismus, die Kunst der Hochzeitsplanung und Guerilla-Gardening. Angeblich hielt auch schon die damals fünfjährige Tochter der Pecha-Kucha-Erfinderin Astrid Klein in Tokio einen Vortrag über ihre Kindergartenbasteleien.

Der «Guerilla Urbanist» Lars Schuchert beim vorstellen seiner Ideen.

Der «Guerilla Urbanist» Lars Schuchert beim vorstellen seiner Ideen.

(Bild: Laura Livers)

Stadtguerilla, Textildesign und Hieronymus Bosch

Der erste, der an diesem Abend die Bühne betritt, ist Lars Schuchert – «Guerilla Urbanist». Unter dem Stichwort «Making City» erzählt er von verschiedensten Bewegungen im In- und Ausland, die brachliegendes Bauland temporär benutzbar machen – mit aufblasbaren Modulen, einfachst zusammengebauten Pavillons, Sitzgelegenheiten und einem drei-Stufen-Ansatz, mit Hilfe dessen solche Bewegungen etabliert werden können.

Die Textildesignerin Sabina Brägger erzählt von ihrer vielbeachteten Stör-Leder-Kollektion und von ihrem neusten Projekt, für welches sie mit Bisonwolle und -leder arbeitet. Im völligen Kontrast dazu hält Harry van der Meijs einen eher spontan improvisierten Vortrag über die Triptychon-Bilder von Hieronymus Bosch, mit Schwerpunkt auf die Darstellungen der Hölle. «Die Hölle ist immer das interessanteste Bild» ruft er fast schon verzückt ins Mikrophon und merkt nicht, dass die Bilder schon längst wieder gewechselt haben.

Ein leidenschaftlicher Bericht vom Ende der Welt

Ihm folgt Bademeister (aka Neubad-Betriebsleiter) Dominic Chenaux, der ein leidenschaftliches Plädoyer über die Vorzüge des mehrheitlich selbstbestimmten Kulturhaus zu hält. Martin Riesen beschreibt in knapp sechseinhalb Minuten seinen Werdegang vom ETH-Studenten zum Mitglied der vielbeachteten VJ-Crew Rec.Design, mit der er unter anderem schon in Museo de Arte Moderno in Buenos Aires und am Glastonbury-Festival aufgetreten ist. Madlaina Fontana zeigt ihre Naturfotografien aus dem Bündnerland die sie während der Tauzeit im Mai geschossen hat.

 

Dann folgt das heimliche Highlight des Abends: Thomas Marti – Inselsammler. Der Pensionär liest aus einem selbstgeschriebenen Tagebuch über seine Reise von Kapstadt nach Tristan da Cunha, der abgelegensten bewohnten Insel der Welt. Die Insel, 1200 Kilometer von der nächsten bewohnten Insel entfernt, ist seit ihrer Besiedelung 1810 immer noch von den gleichen sieben Familien bewohnt und zählte letztes Jahr 266 Bewohner. Vorsichtig ausformuliert erzählt Marti von der schwierigen Überfahrt, der langersehnten Ankunft in Edinburgh Of The Seven Seas auf Tristan und dem rauen Lebensstil der auf dieser Vulkaninsel, abgeschottet vom Rest der Welt, herrscht.

Pablo Haller und Jonas Raeber erzählen von ihren Projekten

Marina Lutz holt uns mit ihren Geschichten über ihre Kindheit in Rabius in der Surselva wieder zurück und erzählt anhand ihrer Illustrationen, wie die bedrohlichen Bündner Berge sie gelehrt haben, ihren eigenen Blickwinkel zu hinterfragen und die Absurdität des realen Lebens aufs Papier zu bringen.

 

Arianna Dalpiaz als passionierte Foodästhetin wiederum referiert über den Geschirrkreislauf unserer Take-Away-Gesellschaft und wie sie versucht, mit ihrem selbst designten Mehrweggeschirr Nachhaltigkeit und ästhetische Ansprüche zu vereinen.

Grafiker Mario Suter spricht über das Schnapsbrennen, dem er seine Freizeit widmet und Trickfilmer Jonas Raeber zeigt amüsante Trouvaillen aus dem luzernischen Schilderwald, insbesondere seine Sammlung von «Gratis»-Zetteln, die er von Spermüllhaufen abzügelt.

Den letzten Vortrag hält Dichter Pablo Haller – heute Abend als Alien Pilot. Er erzählt halb performativ von seiner Begegnung mit Rolf Schulz, Alienfanatiker und selbsternannter Welterlöser (Mundo King), der sich in der Dominikanischen Republik ein kleines Alien-Paradies geschaffen hat (Hinweis der Red.: Auf Wunsch von Pablo Haller haben wir den hier gezeigten Videomitschnitt seines Auftritts gelöscht).

Grosse Hitze bringt grossen Durst. In der Pause strömten Publikum und Vortragende für Bier und Zigaretten ins Freie.

Grosse Hitze bringt grossen Durst. In der Pause strömten Publikum und Vortragende für Bier und Zigaretten ins Freie.

(Bild: Laura Livers)

Knapp zwei Stunden dauerten die ganzen Vorträge und wegen der drückenden Hitze an diesem Abend drängten die Zuschauer am Schluss schnell nach draussen, um ein kühlendes Bier zu trinken. Es herrscht ein reger Informationsfluss und die Gespräche dauerten bis lange nach Mitternacht, kristallisierten sich doch so manche Gemeinsamkeiten während den Vorträgen heraus. Uns sei es nur, dass man schon am gleichen Ort gewesen ist, oder mal an der gleichen Schule studiert hat.

So erfüllt Pecha Kucha an diesem Abend seinen Auftrag, Kreativschaffende aus allen Bereichen zusammenzubringen, und den Zuschauern kleine Einblicke in meist unbekanntes Gebiet zu geben.

Die 12. Pecha-Kucha-Nacht wird voraussichtlich im Frühwinter 2016 stattfinden.

Nach der Veranstaltung gingen die Diskussionen los – und dauerten bis lange nach Mitternacht.

Nach der Veranstaltung gingen die Diskussionen los – und dauerten bis lange nach Mitternacht.

(Bild: Laura Livers)

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