Betrüger vor dem Obergericht Zug

Im Zweifel für den Angeklagten?

Verhandlungssaal des Obergerichts Zug. (Bild: PD)

Der 42-Jährige S.I.* hat einiges auf dem Kerbholz. 2008 soll er einen Wohnungseinbruch inszeniert haben, um von der Versicherung über eine halbe Million Franken zu kassieren. Doch weil die Zuger Untersuchungsbehörden zu langsam arbeiteten, wurde der Mann teilweise freigesprochen. Nun muss das Obergericht befinden, ob dieses Urteil korrekt oder zu milde ist.

Der dramatische Vorfall hatte sich im April 2008 zugetragen. Laut dem Beschuldigten wurde während seiner Ferienabwesenheit in seine Wohnung eingebrochen. Damals besass der Mann eine Fünfeinhalb-Zimmer Eigentumswohnung in Baar, für deren Kauf er, laut eigenen Worten, das Geld mit Hilfe seiner Eltern und seinem eigenen Ersparten «zusammengekratzt» habe. Er machte aufgrund des Einbruchs einen Schaden von 572’000 Franken bei seiner Versicherung geltend. Für diverse Diebstähle, Vandalismus und Wasserschäden.

Einbruch mit Kollegen inszeniert?

Laut der Staatsanwältin war es ein fingierter Einbruch. Die Untersuchungsbehörden gehen von folgendem Szenario aus: Der Wohnungsbesitzer beauftragte eine oder mehrere Drittpersonen, seine Eigentumswohnung teilweise zu zerstören und Gegenstände zu entwenden. Zudem verursachten sie einen Wasserschaden, drehten die Hähne aber wieder zu, bevor sie die Wohnung verliessen. Die Absicht: Die Versicherung sollte für den Schaden zahlen und darüber hinaus für «zusätzliche Schadenpositionen». Im Klartext: Der Beschuldigte dichtete noch alles möglich dazu, was er gar nie besessen hatte. Gegenüber der Polizei habe er falsche Angaben gemacht.

Schaden- oder Wunschliste

Der Mann, der allein in der grossen Wohnung lebte, meldete unzählige grössere und kleinere Gegenstände als gestohlen: Glaskeramikherd, Backofen, Geschirrspüler seien weg. Eine Stereoanlage Technics im Wert von 3’500 Franken und acht Boxen (2000 Franken), dazu 600 CDs im Wert von 24’000 Franken. Aber auch Pfannen, Teller, Gläser, Besteck – bishin zum Brotmesser. Dazu meldete der Mann 80 Anzüge als gestohlen, eine Fotoausrüstung, eine Motorradausrüstung, und vieles andere mehr.

Der Eindruck des Gerichtsberichterstatters: Die seitenlangen Listen in der Anklageschrift lesen sich eher wie die Inventar- oder Shoppingwunschliste für eine luxuriös eingerichtete Wohnung, denn wie eine Schadensliste.

«Hätte ich damals Kinder gehabt, wäre ich nie auf die falsche Bahn geraten.»

Der Beschuldigte vor dem Zuger Obergericht

Diese Woche fand am Zuger Obergericht der Berufungsprozess statt. Der Prozess gegen S.I. war im Juli 2013. Das Strafgericht hatte den Schweizer zu einer Geldstrafe von 210 Tagessätzen zu 30 Franken bestraft. Wegen Betrugs, versuchten Betrugs, Irreführung der Rechtspflege und Urkundenfälschung. Die Staatanwältin hatte eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten beantragt.

Vom Vorwurf des versuchten Betrugs und der Irreführung wurde er in je einem Fall freigesprochen. Der Mann und sein Verteidiger wollen, dass dies so bleibt. Die Staatanwaltschaft hat das Urteil angefochten, sie erachtet die Freisprüche und die Strafbemessung als falsch.

Bald erhält er IV-Rente

Vor dem Obergericht erschien der Beschuldigte, begleitet von seinem Verteidiger, mit Sonnenbrille und Blindenstock. Auf beiden Augen sehe er nur noch einen Meter weit. Zudem habe er einen Tinnitus auf einem Ohr. Sie sollen laut reden, sagte er zu den drei Richtern.
Er habe eine IV-Rente zugesprochen bekommen, erhalte diese aber noch nicht. Momentan lebten er und seine Familie von der Sozialhilfe. Im Handelsregister sei er als Geschäftsführer einer Firma eingetragen, die aber inaktiv sei und gelöscht werde. «Dem Steueramt ist das bekannt», sagt er.

Seit der Heirat ein Engel?

Als man ihm Strafregisterauszüge mit seinen Vorstrafen vorlegt, sagte er, seine südamerikanische Ehefrau und sein Kind hätten sein Leben grundlegend verändert. «Hätte ich damals Kinder gehabt, wäre ich nie auf die falsche Bahn geraten.» Als sein erstes Kind zur Welt gekommen, habe er sich geschworen, sich zu bessern. Inzwischen sei das Zweite unterwegs. Dass er sich seither nichts mehr hat zuschulden kommen lassen, hat sich vor Strafgericht strafmildernd ausgewirkt.

Skeptische Fragen

Das Obergericht interessierte sich aber vor allem für den Vorfall im April 2008. Die Fragen des Gerichtsvorsitzenden im Beweisverfahren drückten Skepsis aus. Warum er die Versicherungssumme denn immer wieder erhöht habe. «Meine Wohnung wurde immer grösser.» «Warum brauchten Sie so viele Teller und Bestecksets, wenn Sie alleine lebten?» «Mit meinen Kollegen veranstaltete ich Grillpartys». Zu den 80 Anzügen – er hat früher bereits zugegeben, dass es bloss 40 waren – wollte sich der Angeklagte nicht mehr äussern.

«Und die Töffausrüstung? Sie besitzen ja gar kein Motorrad.» Er sei Mitfahrer gewesen. «Warum haben Sie die Fotoausrüstung für 34’000 der Polizei zuerst nicht angegeben?», wollte der Vorsitzende auch wissen. «Ich kann mich nicht mehr erinnern.» Ein weiterer Verdachtsmoment: Der Mann hatte einen Tag vor dem vermeintlichen Einbruch ein Zimmer im Park-Hotel Zug besichtigt. Den Richtern gegenüber meinte er, das sei für eine Kollegin gewesen, nicht für ihn.

Strafgericht ging nicht ans Limit

Das Strafgericht als Vorinstanz fand nichtsdestostrotz, dass das Beschleunigungsverbot durch die rund zweijährige Dauer der Untersuchungen verletzt worden sei. Das wirkte sich strafmildernd aus. Aber auch das Geständnis des Beschuldigten.
Ausserdem hätte die Versicherung bei einer so hohen Schadensumme misstrauisch werden und Nachforschungen anstellen müssen. Sie bezahlte aber aus einem anderen Grund nicht: Der Beschuldigte hatte falsche Angaben im Vertrag gemacht. Überdies hat der Mann der Versicherung inzwischen einen Teil der Schuld zurück bezahlt.

«Es hätte die überirdischen Fähigkeiten eines Spidermans gebraucht.»

Die Staatanwältin zur Einbruchtheorie

Kein Einbruch

Das Strafgericht als Vorinstanz sah also den Fall ein wenig anders als die Anklage. Umso vehementer kämpfte die junge Staatsanwältin vor dem Obergericht für ihre Sicht. «Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass dieser Einbruch nicht stattgefunden hat», sagte sie. «Mehrere Personen haben beobachtet, wie Gegenstände aus der Wohnung gebracht wurden.» Alle Schlüssel seien in der Wohnung gefunden worden. Am Balkonfenster gab es zwar Einbruchspuren. Da sich die Wohnung aber im obersten Stock befand, hätte man über die Dachluke und den Balkon kommen müssen. «Das hätte die überirdischen Fähigkeiten eines Spidermans gebraucht.»

Arglistig oder nicht gehandelt?

Ein Nebenaspekt des Prozesses war noch die Frage, ob der Mann arglistig gehandelt habe und ob die Versicherung im Sinne der Opfermitverantwortung nicht hätte Nachprüfungen anstellen müssen. Das Strafgericht hatte sich dabei auf ein Bundesgerichtsurteil zum Einbruch in ein Kellerabteilung berufen, bei dem der scheinbar Geschädigte einen Schaden von rund 170’000 Franken geltend machte. Das Bundesgericht fand, die Versicherung trage Mitverantwortung, weil sie den plumpen Versuch nicht durchschaut und keine Nachforschungen angestellt habe.

«Die Theorie der Staatsanwaltschaft ist nebulös und reine Spekulation»

Der Zuger Verteidiger des Angeklagten.

Verteidigung: Nebulöse Theorie

Der Mann und sein Verteidiger brachten vor Obergericht noch die neue Theorie ins Spiel, dass der Wohnungsbesitzer damals Neider und missgünstige Nachbarn hatte und diese mit der Einbruch-Sache zu tun haben könnten. Die Theorie der Staatsanwaltschaft vom inszenierten Einbruch sei «nebulös» und nicht durch Fakten gedeckt, eine reine Spekulation, sagte der Verteidiger. «Eine Freiheitsstrafe wäre völlig verfehlt. Wir verlangen einen Freispruch und eine Prozessentschädigung.»

Die Staatsanwältin fordert für den versuchten Betrug und die Irreführung der Rechtspflege eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Falls es einen Freispruch in der Frage der Irreführung gibt, verlangt sie 26 Monate teilbedingt.

Das Obergericht wird sein Urteil den Parteien schriftlich zustellen.

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