Bis Mitte Dezember kann man im Luzerner Vögeligärtli wieder Kerzen ziehen. In dieser Zeit werden über 1’600 Kilo Bienenwachs zu Kerzen verarbeitet. Und nicht nur bei der Einrichtung scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Martha Kirchhofer ist seit 20 Jahren dabei und hat hier schon einiges erlebt.
Die Läden machen’s vor und beginnen den Advent demonstrativ und mit kitschigen Schaufenstern bereits Wochen früher. Wer aufholen möchte und sich dabei fürs Kerzenziehen im Luzerner Vögeligärtli entscheidet, kann nicht viel falsch machen – ausser herumstressen.
Wie mit dem Grosi unterwegs
Jedes Jahr, seit 1978, findet man einen Monat lang im Vögeligärtli in Luzern eine andere Welt. Bienenwachsduft, Papiersterne an den Wänden, ungeduldige Kinder und eine Stimmung, die auch die über 10-Jährigen in eine Zeit zurückversetzt, in welcher man Ausflüge mit den Grosseltern genoss. Die Helfer des Vereins Kerzenziehen sind zu einem Grossteil pensioniert. Ältere Damen und Herren und einige Schülerinnen oder Studenten gehören ebenfalls zum Team.
«Geduld ist das oberste Gebot.»
Martha Kirchhofer, Helferin
Martha Kirchhofer ist 72 Jahre alt und bereits seit über 20 Jahren mit dabei. Bereits an den ersten Wochenenden des diesjährigen Kerzenziehens ist die kleine Hütte – beziehungsweise der Container – relativ voll. «Unter der Woche ist es oft ruhiger, ausser wir haben Schulklassen da», erklärt Kirchhofer.
Geduld, Geduld, Geduld
Wir verbingen ein paar Stunden im Container und ziehen gemütlich unsere Kerzen. Immer wieder kommen neue Leute. Man unterhält sich, gibt Tipps und Ideen weiter, lacht gemeinsam über Missgeschicke und erklärt den gesprächsfreudigen Kindern die Kunst des Kerzenziehens. Fast alle verlassen das Kerzenziehen danach etwas entschleunigt. Die meisten Besucher verbringen zwei, drei Stunden hier. Kirchhofer weiss: «Einige kommen aber auch mehrere Tage und arbeiten jeweils stundenlang.»
«Geduld ist das oberste Gebot», so Kirchhofer. Lässt man sich darauf ein, bringt die gebotene Langsamkeit eine meditative Entspannung. Man kann nicht «pressieren», nicht «jufeln», wie Eltern und Grosseltern mehr oder weniger geduldig erklären.
Die Stimmung der Kinder reicht von quengelig genervt, über begeistert blufferisch bis zu hochkonzentriert. Aber auch bei den erwachsenen Exemplaren sind einige einfach nicht geduldig genug für dieses Hobby. Immer wieder rutscht irgendwo der Wachs vom Docht – was eben nur passiert, wenn man zu wenig lange wartet.
Auf in den Advent
Etwa 50 Freiwillige leisten jährlich circa 700 Stunden. Doch für die Organisation und den Betrieb des Kerzenziehens werden von den 20 Vereinsmitgliedern im Hintergrund rund 350 Stunden aufgebracht. Ein grosser Aufwand für einen relativ kleinen Verein. «Wir suchen noch immer Helfer», sagt Martha Kirchhofer.
Und es geht nicht nur ihr so: Viele, die früher als Kinder da waren, kämen heute mit den eigenen Kindern vorbei. «Wir haben sehr viele Stammkunden, die es jedes Jahr kaum erwarten können, bis es wieder losgeht.»
Wie zurückversetzt
Dass das Kerzenziehen hier eine lange Tradition hat, wird auch klar, wenn man sich nicht mit den Helfern unterhält. Die Dekoration, die Schilder mit den Erklärungen – es scheint, als sei man zurück in den 70er-Jahren gelandet. Die Langsamkeit des Kerzenziehens scheint die Zeit im Container angehalten zu haben. Obwohl der Verein den Container erst 1996 kaufte. Vorher fand das Kerzenziehen in einer selbstgebauten Holzbaracke statt.
Trotz oder gerade wegen der Atmosphäre aus einer anderen Zeit hat das Kerzenziehen im Vögeligärtli nach wie vor Erfolg. «Im letzten Jahr haben wir fast unseren Rekord gebrochen», freut sich Martha Kirchhofer.
Seit Jahren wird regelmässig ein Gewinn von 20’000 Franken erarbeitet. Eingesetzt wird das Geld bei Projekten für Menschen mit Behinderungen sowie ein vereinseigenes Rollstuhltaxi.
Soziales Engagement liegt dem Verein zugrunde. Ein Punkt, der im Vögeligärtli vor einigen Jahren noch mehr Thema war. «Wir hatten oft Leute aus der Drogenszene, die hereinkamen, um sich aufzuwärmen. Wir wussten, dass sie keine Kerzen ziehen wollten, haben es aber immer toleriert, solange die Leute niemanden gestört haben», erzählt Kirchhofer. Heute, nach dem Umbau des Vögeligärtli, sei das jedoch kaum noch der Fall.
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