Regierung: Yvonne Schärlis Abschied

«Ich musste viel aushalten»

Yvonne Schärli in ihrem Büro im Regierungsgebäude, das 12 Jahre lang ihre Heimat war. Die Gitter wurden angebracht, weil sie vor ein paar Jahren anonym bedroht worden ist.

(Bild: rob)

Nach zwölf Jahren räumt Yvonne Schärli ihren Posten als Regierungsrätin. zentral+ schaute der SP-Frau bei ihren letzten Stunden im Amt über die Schulter. Dabei erzählt sie von ihren grössten Krisen und schlaflosen Nächten. Und sie gibt Einblicke ins Seelenleben eines Menschen, der viel Kritik einstecken musste – und trotzdem den Humor nicht verloren hat.

Noch ist sie mitten im Alltag, mitten in all den Geschäften, die noch anstehen. Ein Foto, auf dem man sieht, wie sie ihre Sachen packt, möchte Yvonne Schärli auf keinen Fall auf zentral+ sehen. «Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich es hier langsam ausplempern lasse», sagt die 63-Jährige in bestimmtem Ton. Dabei wäre diese «Vorsichtsmassnahme» wohl kaum nötig: Wer die SP-Frau kennt, weiss, dass sie ihren Job bis zur letzten Sekunde vollumfänglich und ohne Abstriche zu Ende führen wird. Zu 150 Prozent.

«Begriffsstutzig darf man nicht sein»

Sie habe sich stets hartnäckig, manchmal schon fast penetrant für ihre Haltungen und Meinungen eingesetzt, wird ihr vom politischen Gegenüber, von Seiten der SVP, attestiert. Sie sei zwar offen, aber in ihrer Grundausrichtung immer auf der Linie der Sozialdemokraten gewesen. Und zumindest in der Anfangsphase wurde ihr von verschiedenen Seiten ab und zu das Prädikat «stur» zugeordnet. Auch bei Medienschaffenden galt sie, zumindest in der ersten Zeit, zuweilen als etwas «zugeknöpft».

Davon liess sich Yvonne Schärli nicht gross beeindrucken. Sie ging ihren Weg weiter und es zeigte sich bald, dass ihre Hartnäckigkeit auch Vorteile hat: Von Verplempern oder Verlauern kann bei Yvonne Schärli keine Rede sein. Stets will sie den Sachen auf den Grund gehen und möglichst viel über jedes Geschäft wissen. Hat sie tatsächlich immer alles verstanden, was da an komplizierten Gesetzesänderungen und Botschaften auf sie hereinprasselte?

Yvonne Schärli schmunzelt. Sie habe sich bei jedem Thema zumindest in den zentralen Linien immer das nötige Fachwissen angeeignet. «Als Regierungsrat darf man nicht begriffsstutzig sein, man muss einigermassen schnell denken können.» Und sie habe in den letzten zwölf Jahren vor allem eins tun müssen: lesen, lesen, lesen. «Ich habe so fast eine Art Jus-Studium absolviert, in jeder freien Minute habe ich Akten und Unterlagen studiert.»

«Als Regierungsrat darf man nicht begriffsstutzig sein, man muss einigermassen schnell denken können.»

Yvonne Schärli

Keine Polit-Diskussionen unter Freunden

Das Amt des Regierungsrats ist intensiv, besonders wenn man, wie Yvonne Schärli, keine halben Sachen machen möchte. «Ich habe 12 Jahre lang wenig bis kein Privatleben gehabt», gibt sie zu. Das tönt nach Entbehrungen, nach Durchbeissen und Krampf. «Es war eine sehr spannende Zeit, die ich nicht missen möchte», räumt Yvonne Schärli ein. Wenn möglich habe sie aber ihre Wochenenden auf die Familie ausgerichtet, um nicht ganz in der Arbeit zu versinken. «Zudem habe ich einen ganz kleinen Freundeskreis gepflegt. Diese Freunde durften einfach nie über Politik reden, wenn sie mich trafen», sagt sie und lacht. Viel lieber traf und trifft sie sich zum Jassen. Sie habe in dieser ganzen Zeit ein tragendes Netz gehabt mit Freunden, ihren drei erwachsenen Kindern und einer guten Partnerschaft.

«Ich bin weder verbittert noch müde.»

Wie ist ihre Gefühlslage, jetzt, ganz zum Schluss ihrer politischen Karriere? Fast ein Vierteljahrhundert war Politik das Zentrum ihres Lebens, erst als Grossrätin, Gemeinderätin von Ebikon und schliesslich als Justiz- und Sicherheitsdirektorin des Kantons. «Nach 24 Jahren bin ich schon froh, dass jetzt mal Schluss ist», sagt sie, fügt aber an: «Ich bin weder verbittert noch müde.» Es gebe auch eine gewisse Wehmut, vor allem im Zusammenhang mit Mitarbeitenden, von denen sie sich nun verabschieden muss. «Ich habe zusammen mit meinen engsten Leuten Hochs und Tiefs erlebt. Es sind viele loyale und kompetente Personen darunter, die mir immer auch ehrlich ihre Meinung sagten. Ich wollte nie nur Kopfnicker an meiner Seite haben.»

«Ich wollte nie nur Kopfnicker an meiner Seite haben.»

Die Aufmüpfige, die aufs Maul hocken musste

Ein Kopfnickerin ist auch Yvonne Schärli nie gewesen. Aber als Exekutiv-Vertreterin musste sie in den letzten Jahren oftmals aufs Maul hocken und ihre persönliche Meinung hinten anstellen. Ist ihr, die als Kind eine Aufmüpfige gewesen ist, die gerne alles hinterfragt und kritisiert hat, das nicht manchmal schwer gefallen? «Ich hätte gerne ab und zu einiges deutlicher gesagt, als ich es dann getan habe.» Manchmal sei es nicht einfach gewesen. «Aber mir war von Anfang an bewusst, was es bedeutet, wenn man so ein Amt antritt.» Sie habe es als Parlamentarierin mitunter befreiend empfunden, wenn man so richtig seine Meinung äussern durfte, pointiert und unausgewogen. «Ich habe dafür innerhalb des Regierungsrats-Gremiums hin und wieder deutliche Worte gesprochen», sagt sie und lächelt verschmitzt.

Fragt man sie nach ihren schwierigsten Momenten in ihrer Karriere, muss Yvonne Schärli nicht lange überlegen. Drei Vorkommnisse waren es, die ihr alles abverlangten. Angefangen hat es bereits ganz am Anfang, 2003, mit einem Paukenschlag: «Ich war neun Tage im Amt, als das Bundesgericht entschied, dass Einbürgerungsverfahren an der Urne, wie es Emmen praktizierte, verfassungswidrig seien», erinnert sie sich. Anstatt Ferien zu machen musste sie unzählige Medienanfragen aus dem In- und Ausland bewältigen – und zudem als frischgebackene Regierungsrätin von null auf hundert ein ziemlich kniffliges Problem lösen: Wie konnte man das Urteil in die Praxis umsetzen? Schärli wurde buchstäblich ins kalte Wasser geworfen.

«Ich habe ein kämpferisches Herz.»

«In der Bevölkerung herrschte eine riesige Betroffenheit, zudem wurde das Thema auch politisch ausgeschlachtet, und ich musste mich gleich mit elf Vorstössen herumschlagen.» Hätte sie damals nicht gleich schon den Bettel hinwerfen wollen? Nein, meint sie bestimmt. «Ich habe ein kämpferisches Herz.» So kniete sich Schärli in die Thematik hinein, machte umfassende Abklärungen, führte viele Gespräche und suchte nach einer Strategie, wie man das Problem Schritt für Schritt lösen konnte.

Aus Krisen gelernt

Yvonne Schärli lernte, wie man mit Krisen umgeht – und dass man daran wachsen kann. «Eine Krise kann sehr positiv sein, wenn man ihr den Beigeschmack der Katastrophe nimmt.» Das kam ihr auch beim verheerenden Hochwasser 2005 zu Gute. Tag und Nacht sei sie da auf den Beinen gewesen. «Die Katastrophe hat mich auch persönlich sehr bewegt», sagt Schärli. Das Katastrophenmanagement wurde später gelobt – Schärli ist sich aber bewusst, dass es auch ganz anders hätte kommen können. «Die Alarmierung lief über mich, ich musste Entscheidungen von grosser Tragweite treffen. Wäre da etwas schief gelaufen, hätte dies fatale Folgen gehabt.»

«Eine Krise kann sehr positiv sein, wenn man ihr den Beigeschmack der Katastrophe nimmt.»

Der schwierigste Brocken war aber sicherlich die Polizeikrise vor zwei Jahren. Unter anderem ging es um einen Polizisten, der seine Freundin spitalreif geprügelt hat. Statt diesen zu bestrafen, wurde er sogar befördert – der damalige Polizeichef musste daraufhin seinen Hut nehmen. In der Kritik stand anfänglich auch Yvonne Schärli. «Das war psychisch und physisch ganz, ganz schwer. Ich hatte in dieser Zeit die eine oder andere schlaflose Nacht», gibt sie zu. Ihr sei klar gewesen, dass sie rasch handeln müsse. «Mir wurde bewusst, dass in der hierarchisch organisierten Polizei vieles hintendurch lief. Diese Mechanismen haben wir nicht erkannt und plötzlich war es zu spät. Die Krise hat mich eingeholt und überrumpelt.»

So sah Yvonne Schärli bei ihrem Amtstantritt 2003 aus.

So sah Yvonne Schärli bei ihrem Amtstantritt 2003 aus.

(Bild: Lukas Chapchal)

Dann sei eine Dynamik entstanden, bei der es entscheidend gewesen sei, kühlen Kopf zu bewahren. Von überall her hagelte es Kritik, es wurde viel spekuliert und kommentiert. «Eigentlich konnte ich es niemandem mehr Recht machen», sagt sie heute. Darum hat Schärli alles auf eine Karte gesetzt und, wie sie selber sagt, eine «schonungslose Aufklärung» veranlasst. «Ich wollte, dass alles auf den Tisch kommt, ohne Rücksicht auf einzelne Personen», sagt Yvonne Schärli.

Kurz vor dem Rücktritt

Das sei eine Vorgehensweise gewesen, die eher selten sei, meint sie. «Erst wollte ich die Klärung, erst dann wird entschieden, was zu tun ist.» Das erforderte von ihr viel Geduld: Schärli schwieg, währenddessen rundherum Kritik auf sie niederprasselte. «In dieser Zeit musste ich viel aushalten.» Lange war unklar, was die Untersuchungsberichte zu Tage bringen würden. «Hätte man mir gravierende Fehler nachgewiesen, dann hätte ich gehen müssen.»

Diese Zeit habe sie enorm viel Kraft gekostet, erinnert sie sich. «So etwas wünsche ich niemandem, es war eine sehr schwierige Zeit.» Aber Schärlis Strategie bewährte sich: Ihre radikale Offenlegung führte zum Ende der Krise – und ihr Führungsstil erhielt rundherum Anerkennung.

Arbeiten will sie nicht mehr

Solche Turbulenzen werden im Leben von Yvonne Schärli demnächst keine Rolle mehr spielen. Was steht nun an bei ihr, welche Pläne schmiedet sie? «Pläne habe ich noch nie gemacht, es hat sich bei mir immer alles einfach ergeben.» Vieles sei Zufall gewesen, auch der Einstieg in die Politik. «Obwohl ich das natürlich auch gewollt habe», betont sie.

Für die nächste Zeit habe sie eigentlich nur eines entschieden: «Eine Erwerbsarbeit werde ich mit 63 keine mehr aufnehmen.» Viel mehr wolle sie sich ehrenamtlich engagieren – aber nicht mehr in leitender Funktion. «Ich könnte mir vorstellen, in einer sozialen Institution mitzumachen und mitzuhelfen. Dort kann meine Erfahrung eventuell von Nutzen sein.» Und vielleicht sei ja auch ihr Name zumindest für die nächsten Jahre noch mit einem positiven Image behaftet.

«Ich brauche geistige Nahrung»

Sicher ist für die Ebikerin, dass es ihr auch in Zukunft nicht langweilig werden wird. «Ich glaube nicht, dass ich in ein Loch fallen werde, wenn es hier vorüber ist. Ich habe immer gesagt, dass die Politik nicht das Leben ist.» Yvonne Schärli betont aber, dass sie auch nicht nur noch auf der faulen Haut rumliegen werde. «Ich brauche auch im nächsten Lebensabschnitt seelische und geistige Nahrung.» Bisher sei ihre «Nahrung» der politische Alltag gewesen, nun werde sie sicher wieder Kurse an der Uni belegen und Ausstellungen besuchen. «Und ich hatte früher einen sehr grossen Freundeskreis, auch im Ausland. Den will ich nun wieder vermehrt pflegen.» Graut ihr vor der Zukunft? Yvonne Schärli schüttelt den Kopf. «Ich habe mich immer auf alles, was kommt, gefreut. Das ist auch jetzt so.»

Der Vergangenheit nachtrauern wird sie auch nicht, Yvonne Schärli ist nicht der Typ Mensch dafür. Obwohl sie dann doch noch anfügt, dass ihr der Abschied schwerer fällt, als ursprünglich angenommen. Dies, weil sie wegen der Nichtwahl von Felicitas Zopfi eine schmerzhafte Lücke hinterlässt – nach ihr wird es keine Frau und keine Linke mehr in der Exekutive geben. Dass die Regierung nun rein bürgerlich und männlich sein wird, macht ihr Mühe. «Diese ganze Geschichte hat mich emotional mehr berührt, als ich dachte. Da macht man zwölf Jahre lang die Arbeit für die SP und plötzlich ist Schluss damit. Das hat mich betroffen gemacht. Das alles lässt mich nicht kalt.»

 

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