Interview zum Abschied von Manuela Weichelt

«Ich mache nun eine Ayurveda-Kur, um mich politisch zu reinigen»

Die Festtage nahen und damit der Abschied von Frau Landammann Manuela Weichelt: «Ich habe den schönsten Job.»

(Bild: woz)

An Silvester ist sie vorbei – die zwölfjährige Amtszeit von Regierungsrätin Manuela Weichelt. Nach exakt 100 Jahren verabschiedet sich mit ihr auch die Linke aus der Zuger Regierung. Wir haben die 51-jährige Grün-Alternative zu ihren letzten Amtstagen befragt, zum nötigen Mass an Kontrolle in Politik und Familie und zu ihrer Zukunft.

zentralplus: Mal ehrlich, Frau Weichelt, zählen Sie schon die Tage, die Sie noch im Amt sind?

Manuela Weichelt: Nein, ich liebe meinen Job. Ich habe das schönste Amt, weil es sehr vielseitig ist und weil ich mit vielen spannenden und qualifizierten Menschen zusammenarbeiten und etwas bewirken kann.

zentralplus: Wann genau ist Ihr letzter Regentschaftstag als Frau Landammann?

Weichelt: An Silvester. Sollte ich dann bis um Mitternacht im Büro sein, um aufzuräumen, treffe ich mich mit meiner Familie auf dem Landsgemeindeplatz und stosse dort mit einem Glas Champagner aufs neue Jahr an.

«Richtig ist, dass wir in Zug noch weit weg sind von einer adäquaten Frauenvertretung.»

zentralplus: Apropos, Frau Landammann. Ist dieser altertümliche Titel nicht ein Beweis dafür, dass Frauen in der Zuger Politik noch immer nicht so richtig vorgesehen sind?

Weichelt: Ich fände es auch sinnvoller, wenn man Regierungspräsidentin sagen würde. Das wäre auch naheliegender in einem so internationalen Kanton wie Zug. Doch das Parlament lehnte dies ab. Den Titel Frau Landammann muss man erklären, und er ruft Belustigungen hervor. Trotzdem: Ich konnte mich mit dem Titel in den letzten zwei Jahren identifizieren.

Der scheidende Regierungsrat: Tobias Moser, Urs Hürlimann, Beat Villiger, Stephan Schleiss, Manuela Weichelt-Picard, Matthias Michel, Heinz Tännler, Martin Pfister, Renée Spillmann Siegwart.

Der scheidende Regierungsrat: Tobias Moser, Urs Hürlimann, Beat Villiger, Stephan Schleiss, Manuela Weichelt-Picard, Matthias Michel, Heinz Tännler, Martin Pfister, Renée Spillmann Siegwart.

(Bild: Kanton Zug)

zentralplus: Im neuen Bundesrat sind es jetzt drei Frauen und vier Männer. Im neuen Zuger Regierungsrat nach wie vor sechs Männer und eine Frau. Lebt Zug in Sachen Frauen in der Politik noch im Mittelalter?

Weichelt: Richtig ist, dass wir in Zug noch weit weg sind von einer adäquaten Frauenvertretung. Aber wenn die FDP etwa verhindert, dass Frauen als Kandidatinnen für den Zuger Regierungsrat aufgestellt werden, zeigt dies doch, dass Zuger Frauen durchaus in die Politik wollen – aber dies nicht selten von der Partei verhindert wird.

zentralplus: Sie haben es zwölf Jahre lang mit sechs Männern im Regierungsrat ausgehalten. Wie ging das?

Weichelt (überlegt): Ich kenne nichts anderes – also kann ich keinen Vergleich anstellen. Fakt ist, dass in Unternehmen, in denen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis herrscht, auch ausgeglichenere Entscheide gefällt werden. Bessere Entscheide. Weil dann eben die Erfahrung und die Sozialisation beider Geschlechter in die jeweiligen Entscheidungen einfliessen.

zentralplus: Hat man Sie als Frau eher hofiert oder eher – um bei der politischen Couleur Ihrer Partei zu bleiben – links liegengelassen?

Weichelt: Weder noch. Ich bin behandelt worden wie jeder andere Mann (lacht). Und ich bin sogar eingeweiht worden in die Militärsprache der Männer, wenn etwa «von der Wirkung im Ziel» oder vom «Drei- oder Fünf-Punkte-Befehl» die Rede war.

Zwischen wehmütig und erleichtert: Frau Landammann Manuela Weichelt-Picard, bei der Bekanntgabe ihres Verzichts auf eine Wiederwahl.

Zwischen wehmütig und erleichtert: Frau Landammann Manuela Weichelt-Picard, bei der Bekanntgabe ihres Verzichts auf eine Wiederwahl.

(Bild: mam)

zentralplus: Lustig. Haben Sie auch mal mit den Waffen einer Frau agiert – immerhin haben Sie ja einige Männer im Regierungsrat nachhaltig durch das Stillen Ihres Nachwuchses im Regierungsrat verstört?

Weichelt: Was sind denn die Waffen einer Frau? Im Regierungsrat wird sehr nüchtern politisiert. Und was das Stillen betrifft: Natürlich würde ich das wieder machen. Schliesslich propagieren wir ja im Kanton, dass Mütter ihre Babys stillen sollen. Da wäre es seltsam, wenn ich das nicht auch machen würde.

zentralplus: Haben Sie zu einigen der Herren im Regierungsrat in all den Jahren auch ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis aufgebaut – oder ist der Regierungsrat am Ende des Tages einfach nur ein kollegiales Sachgremium?

«Der Kanton Zug muss aufpassen, dass sich auch Menschen mit weniger Geld hier wohl und willkommen fühlen.»

Weichelt: Der Regierungsrat ist eine Schicksalsgemeinschaft, die vom Volk gewählt wurde. Das ist, wie wenn man in eine Familie reingeboren wird – die sucht man sich auch nicht aus. In den vergangenen zwölf Jahren habe ich einige personelle Wechsel miterlebt. Das Gremium musste sich somit immer wieder neu finden, mit dem Ziel, Entscheide zum Wohle der Bevölkerung zu treffen.

zentralplus: Was würden Sie sagen, waren Ihre grössten politischen Erfolge?

Weichelt: Da ist zum Beispiel der Aufbau und die Implementierung des Kindes- und Erwachsenenschutzes. Oder das Projekt «InBeZug» für Menschen mit Behinderungen. Es ist heutzutage wichtig, dass auch solche Menschen möglichst autonom leben können. Auch die flächendeckende Inventarisierung schützenswerter Bauten im Kanton Zug werte ich als Erfolg – auch wenn es klar war, dass dies zunächst einmal zu einem Aufschrei führen würde. 

Erinnerung an frühere Demo-Tage: Hanspeter Uster und Manuela Weichelt gegen die «Prestige»-Tankerkatastrophe 2002.

Erinnerung an frühere Demo-Tage: Hanspeter Uster und Manuela Weichelt gegen die «Prestige»-Tankerkatastrophe 2002.

zentralplus: Gibt es auch Misserfolge?

Weichelt: Ja, dass der Regierungsrat das Parlament nicht davon überzeugen konnte, dass wir im Kanton Zug ein Gleichstellungsgesetz brauchen. Diesbezüglich sind wir zweimal vom Bundesgericht gerügt worden.

zentralplus: In welchem Zustand übergeben Sie den Kanton Zug nun an den neuen Landammann Stephan Schleiss?

Weichelt: (zu sich) Was soll ich da sagen. Ich übergebe einen lebendigen, gesunden und selbstbewussten Kanton Zug, der jedoch aufpassen muss, dass sich auch Menschen mit weniger Geld hier wohl und willkommen fühlen.

zentralplus: Welches sind – kurz gesagt – die fünf grössten Probleme, die den Kanton Zug weiterhin beschäftigen werden?

Weichelt: Erstens, wie gesagt, dass Menschen mit kleinerem Einkommen nicht verdrängt werden. Zweitens, dass es zu wenig Frauen in Kaderpositionen hat. Drittens haben wir das Problem, dass das Majorzwahlsystem schwierig ist für Linke und Frauen. Viertens muss die Infrastruktur noch stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet werden – insbesondere braucht es mehr Tagesschulen und bezahlbare Kinderbetreuung, und die Frequenzen im öV müssen gesteigert werden. Fünftens muss man dafür sorgen, dass unsere Grünflächen erhalten bleiben und dass die Strategie «Wachstum mit Grenzen» nicht einfach ein Lippenbekenntnis bleibt, sondern in die Tat umgesetzt wird.

zentralplus: In welchem Zustand übergeben Sie Ihre Direktion an Ihren Nachfolger Andreas Hostettler?

Weichelt: In einem guten Zustand. Wir haben in den letzten zwölf Jahren viel investiert, aufgebaut und umgesetzt – im Bereich Asyl, Wald, Jagd, Fischerei, Archäologie, Denkmalpflege. Der Rechtsdienst wurde professionalisiert und das Geoinformationssystem modernisiert.

«Wenn in Zug das neue Denkmalgesetz so durchkommt wie in der ersten Lesung, gibt es keine Balance mehr.»

zentralplus: Der Denkmalschutz ist in Zug aber arg unter Beschuss geraten. Andererseits haben Sie und der Regierungsrat gerade eben eine mutige Entscheidung getroffen, indem der Alpenblick unter Schutz gestellt wird. Wie steht es aus Ihrer Sicht um den Denkmalschutz in Zug?

Weichelt: Der Entscheid war nicht mutig, sondern vernünftig. Zudem: Denkmalschutz ist nicht nur in Zug ein Politikum, sondern schweizweit. Auch in anderen Kantonen wird versucht, den Denkmalschutz aufzuweichen, indem Gesetze geändert, Personaldecken ausgedünnt und Budgets reduziert werden. Diesem Druck muss man standhalten.

zentralplus: Warum?

Weichelt: Weil es dabei um eine Wertediskussion geht: Sollen ein paar wenige Individuen, die Geld und Besitz haben, ausschliesslich über die Zukunft von historischen Häusern entscheiden? Oder sollen die Öffentlichkeit und der Staat ein Wörtchen mitreden, wenn es darum geht, alte Bausubstanz zu erhalten und letztlich ein Stück Heimat zu bewahren? Wenn in Zug das neue Denkmalschutzgesetz so durchkommt, wie es der Kantonsrat in erster Lesung beschlossen hat, gibt es diesbezüglich keine Balance mehr. Zudem stellt sich die Frage, ob dieses neue Zuger Denkmalschutzgesetz überhaupt bundesrechtskonform ist.

zentralplus: Auch bei der Kesb scheint es derzeit im Gebälk zu krachen, denn es herrscht offenbar eine hohe Personalfluktuation. Woran liegts?

Weichelt: Im Gegenteil. Im Kanton Zug läuft es sehr gut mit der Kesb und dem Amt für Kindes- und Erwachsenenschutz. Dies spürt man und dies zeigen auch die Statistiken. Wir haben – im Gegensatz zu anderen Kantonen – einen sehr hohen Anteil an Privatpersonen, die Mandate führen. Der Kanton Zug verzeichnet zudem auffallend wenige sogenannte umfassende Beistandschaften, was den früheren Bevormundungen entspricht. Dies alles bedeutet, dass verhältnismässig agiert wird. Nicht zuletzt registrieren wir ganz wenige Verwaltungsgerichtsbeschwerden – und wenn doch, dann werden diese meistens abgewiesen.

Manuela Weichelt mit ihrem Ehemann Arnim Picard und den Töchtern Rezia (links) und Lina (rechts)

Manuela Weichelt mit ihrem Ehemann Arnim Picard und den Töchtern Rezia (links) und Lina (rechts)

(Bild: Thomas Gretener)

zentralplus: Welches Verhältnis zu Ihren Mitarbeitern haben und hatten Sie eigentlich? Es ging immer das Gerücht um, Sie seien ein Kontrollfreak?

Weichelt: Ich will meine Dossiers kennen, damit ich sattelfest bin, wenn es um die Vertretung der Geschäfte in der Regierung oder im Parlament geht. Dies bedingt, dass mich meine Mitarbeiterinnen gut darüber informieren, was läuft. Dass dies von manchen Leuten als «kontrollfreakig» interpretiert wird, damit kann ich leben. Generell würde ich behaupten, habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Mitarbeitern – und das sind immerhin weit über 200 Personen. Ich pflegte übrigens nicht nur zum Kader, sondern auch mit vielen Angestellten ohne Führungsfunktion den Kontakt.

zentralplus: Themenwechsel. Wie kommts, dass in der neuen Regierung die Linke nicht mehr vertreten ist?

Weichelt: Wir hatten mit dem Proporz über viele Legislaturen sogar zwei Linke in der Regierung. Das Wahlsystem mit Majorz, welches wir jetzt haben, begünstigt eindeutig die Bürgerlichen. Und wenn die Bürgerlichen die Linken eben nicht auf die Liste schreiben, werden keine Linken gewählt. Das Problem liegt also bei den Bürgerlichen – nicht bei den Linken.

zentralplus: Liegt es nicht eher daran, dass die Linke kaum mehr Persönlichkeiten wie Dolfi Müller und Manuela Weichelt in ihren Reihen hat?

Weichelt: Die Linken haben ebenso Persönlichkeiten wie die Bürgerlichen. Was ist denn mit dem Steinhauser Bauchef Andreas Hürlimann oder mit unserer Stadträtin Vroni Straub-Müller?

«Der Fall Villiger? Ich spreche nicht über meine Kollegen.»

zentralplus: Wieviel Nerven hat Sie übrigens der Fall Villiger gekostet? Offenbar waren Sie nicht sehr «amused» über die Causa und mussten sogar Ihre Ferien teilweise für das Krisenmanagement opfern.

Weichelt: Ich spreche nicht über meine Kollegen.

zentralplus: Freut sich eigentlich Ihre Familie auf die Rückkehr der Mutter und Ehefrau?

Weichelt: Meine Kinder freuen sich nicht. Meine ältere Tochter Rezia, die jetzt 15 ist, hat zu mir gesagt: «Mama, kandidiere doch nochmals. Meinst du, ich will einen Wachhund zuhause?»

zentralplus: Dann sind Sie ja doch ein Kontrollfreak!

Weichelt: (lacht)… und meine jüngere Tochter Lina, die zehn ist, sagte ebenfalls, ich sollte weitermachen. Sie kenne gar nichts anderes, als eine Mutter zu haben, die im Regierungsrat politisiert. Lina ist in meinem zweiten Amtsjahr auf die Welt gekommen. Ausserdem befürchtet sie, dass ich, wenn ich einen anderen Job annehme, künftig nicht mehr so viel Ferien haben werde.

zentralplus: Und Ihr Mann?

Weichelt: Ich glaube, mein Mann freut sich, dass ich wieder öfters zu Hause bin. Wenigstens einer (lacht).

zentralplus: Was machen Sie jetzt? Eine Weltreise, Wellness-Wochen oder einfach mal gar nichts?

Weichelt: Ich mache mit meinem Mann zwei Wochen lang eine Ayurveda-Kur in Deutschland – um mich politisch zu reinigen.

zentralplus: Funktioniert das denn? Und was machen Sie in Zukunft beruflich?

«Erst wenn ich politisch gereinigt bin, kann ich sagen, was ich beruflich mache.»

Weichelt: Ich werde es auf jeden Fall versuchen. Erst wenn ich politisch gereinigt bin, kann ich sagen, was ich beruflich machen werde. Bis jetzt hatte ich schlicht keine Zeit, irgendwelche Pläne zu schmieden. Ich bin bis Ende 2018 gewählt und bin es dem Volk schuldig, bis dahin meine Arbeit zu machen.

zentralplus: Und hört man von Frau Weichelt irgendwann im Stände- oder Bundesrat?

Weichelt: Mit dem Bundesrat tut sich der Kanton Zug schwer, weil ihm in der Schweiz nicht die meisten Sympathien entgegengebracht werden. Und die Sache mit dem Ständerat ist für die Linke extrem schwierig. Nicht mal der topqualifizierte und weitum bekannte und geschätzte Hanspeter Uster hat das 2006 geschafft. Was meine Zukunft betrifft: Ich denke, bis nächsten Sommer werden sich Perspektiven auftun und ich weiss, wo es in Zukunft langgeht.

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