Zug: Private Unterbringung von Flüchtlingen

«Ich. Könnte. Kotzen.»

Private Unterbringung statt Wohnen im Asylzentrum? Der Kanton Zug will das nicht fördern. (Bild: wia)

Asylbewerber bei sich zu Hause aufnehmen: Klingt nach einer vernünftigen Idee. Wer sich jedoch schlau machen will, wird abgeblockt. Ein hilfsbereiter Zuger kann dafür gar kein Verständnis aufbringen und äussert sich sehr pointiert. Klar ist jedenfalls: Das Zuger Sozialamt ist am Anschlag. Warum harzt es in Zug?

Warum soll man Flüchtlinge nicht privat aufnehmen dürfen? Ein Facebook-User hat sich auf Twitter und Facebook mehrmals zum Thema geäussert: Er habe dem kantonalen Sozialamt angeboten, in der Wohnung seiner Familie Flüchtlinge aufzunehmen. Die knappe Antwort des Kantons: Geht nicht. Die Reaktion des Users auf Twitter: «Ich. Könnte. Kotzen.» Während im Aargau Asylsuchende bereits in Zelten einquartiert würden, verhindere der Kanton Zug menschliche Lösungen.

Ein Facebook-User lässt seinem Frust freien Lauf.

Ein Facebook-User lässt seinem Frust freien Lauf.

(Bild: Printscreen von Facebook.com)

Was steckt dahinter? Wir treffen die Leiterin des kantonalen Sozialamtes, Jris Bischof. Und die hat im Moment ganz andere Probleme. «Wir sind am Anschlag», sagt Bischof. «Wir haben alle Hände voll damit zu tun, grössere Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden, die in Zug ankommen. Im Moment sind das 50 Personen pro Monat. Um die Betreuung und die Abläufe möglichst effizient zu gestalten, brauchen wir Unterkünfte, die für mindestens 80 bis 100 Personen Platz bieten.»

Ein Tropfen auf den heissen Stein?

Da würde sich die Unterkunft bei Privatpersonen ja besonders anbieten. Für Bischof ist das aber keine Lösung: «Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein – es gibt so viele Fragen, die dabei geklärt werden müssen. So eine Unterbringung würde für unsere momentane Situation keine Erleichterung bringen.» Sie verstehe zwar das Anliegen, aber es sei schlicht nicht realistisch. «Ich kann das nachvollziehen, dass da jemand Flüchtlinge privat aufnehmen möchte, dass man sofort etwas Sinnvolles tun möchte. Aber oft sieht man die alltagspraktischen Herausforderungen erst im Nachhinein.»

Eine Unterbringung bei Privatpersonen könne zwar für gewisse Asylsuchende tatsächlich Vorteile haben, sagt Bischof – bessere Integration etwa, durch persönlichen Kontakt zu Einwohnern. Aber dafür müssten diverse Voraussetzungen abgeklärt werden. «Das Problem ist, dass man auch eine Eignungsabklärung machen müsste: Ist eine Familie überhaupt geeignet, um Asylsuchende aufzunehmen? Und passen die Asylsuchenden in diese Familie? Passen die zusammen? Was ist, wenn es schiefläuft? Kann man sich vorstellen, die Küche und das Bad mit einer fremden Person aus einem anderen Kulturkreis zu teilen?»

Wer haftet, wenn etwas passiert? Es dürfe nicht passieren, dass eine Familie nach zwei Wochen merke: «Der nette Asylsuchende ist vielleicht gar nicht so nett, weil er traumatisiert ist, in der Nacht Angstzustände hat und in der Wohnung auf und abläuft, Musik hört und vielleicht noch um 3 Uhr mit Kochen beginnt», sagt Bischof.

«Wenn wir eine Platzierung nach zwei Wochen abbrechen müssten, dann wäre der Scherbenhaufen so gross, das können wir nicht riskieren.»

Jris Bischof, Leiterin des Zuger Sozialamtes

Es könnten auch ungesunde Abhängigkeiten entstehen: Wenn etwa jemand, der seine Wohnung mit Asylsuchenden teilen möchte, enttäuscht sei, dass diese sich nicht so verhalten würden, wie es hier üblich sei. «Da kann es zu harten Kulturschocks kommen. Und wenn wir eine Platzierung nach zwei Wochen abbrechen müssten, dann wäre der Scherbenhaufen so gross, das können wir nicht riskieren.»

Jugendliche Asylsuchende als Herausforderung

Zudem seien die Asylsuchenden bei Privatplatzierungen ihren Aufnehmenden auch ein Stück weit ausgeliefert: Sie würden sich nicht wehren können, wenn sich etwas Problematisches ereignen würde. Eine private Platzierung schaffe automatisch eine Abhängigkeitssituation. «Da muss man genau abklären, wer dafür wirklich geeignet ist. Und diese Abklärungen können wir uns schlicht nicht leisten, das müsste eine NGO machen», sagt Bischof.

Noch schwieriger werde es bei minderjährigen Asylsuchenden. «Die sind nicht nur geflüchtet und möglicherweise durch die Flucht traumatisiert, sie sind vielleicht vergewaltigt worden, sie stecken auch mitten in der Adoleszenz, das macht ein Zusammenleben noch schwieriger.»

Kritik an der Schweizer Flüchtlingshilfe

Das Grundproblem der Idee sei, dass die Organisation, die sie hatte, völlig überlastet sei, sagt Bischof. «Am Anfang ist die Flüchtlingshilfe damit gekommen und hat die Idee der Unterbringung bei Privatpersonen propagiert.» Es sei ja auch keine schlechte Idee. Nur habe sich die Flüchtlingshilfe damit komplett überfordert. «Sie müsste eigentlich diese Abklärungen vornehmen oder wenigstens mit uns an einen Tisch sitzen.» Bischof schickt alle Anfrager weiter an die Flüchtlingshilfe, nur bekommen die von da keine Antwort mehr.

Bis jetzt haben sich zehn Leute im Kanton Zug bereit erklärt, Asylsuchende aufzunehmen. Von der Flüchtlingshilfe bekommen sie aber kein Lebenszeichen. «Die Organisation hat sich jetzt auf vier Versuchskantone beschränkt und meldet sich nicht mehr bei allen, die anfragen. Ich finde, wenn eine Organisation so ein Projekt schon lanciert, dann muss sie sich auch darum kümmern oder hätte mindestens offiziell auf die einzelnen Kantone zugehen müssen», sagt Bischof.

Denn für sie sei zurzeit die grosse Masse viel wichtiger als die Unterbringung von Einzelnen: «Wir sind völlig ausgelastet damit, grössere Unterkünfte für bis zu 100 Asylsuchende zu finden.»

 «Was passiert, wenn plötzlich hundert Asylsuchende pro Monat kommen? Das weiss niemand.»

Jris Bischof, Leiterin des Zuger Sozialamtes

Es sei schlicht zu viel Aufwand für ihr Team, das jetzt schon völlig am Anschlag laufe, auch noch private Unterbringungen zu prüfen. «Wenn wir lange so weitermachen, machen mir die ersten Mitarbeiter Zusammenbrüche», sagt Bischof. «Wir haben alle Ressourcen freigespielt, die wir konnten, um diese aussergewöhnliche Situation zu meistern. Aber was passiert, wenn plötzlich hundert Asylsuchende pro Monat kommen? Das weiss niemand.»

WGs und Einlegerwohnungen als Option

Was allerdings problemlos funktioniere, seien Einlegerwohnungen: «Wenn uns jemand eine Einlegerwohnung vermietet, dann ist uns das sehr willkommen. Dann haben die Asylsuchenden einen eigenen Eingang, eine eigene Küche.» Und was sie auch befürworten würde, wären jüngere Asylsuchende in WGs, wie das etwa von Freiwilligen im Kanton Bern organisiert wird. «In einer WG ist die Dynamik noch mal ganz anders – da wird das Prinzip der Gemeinschaft ja schon gelebt.»

Wir fassen zusammen: Privatplatzierungen im Kanton Zug haben gar keine Chance? «Wenn sich die Flüchtlingshilfe zusammen mit einem Freiwilligen mit uns an einen Tisch setzt, und es findet sich eine Organisation wie zum Beispiel die ‹Asylbrücke›, welche die Verantwortung für die Abklärungen unternimmt, dann bin ich nicht dagegen. Aber wir können das nicht übernehmen.»

Stattdessen habe das Sozialamt ein Konzept für freiwillige Flüchtlingsbetreuung ausgearbeitet. «Wir werden das Konzept im Januar präsentieren», sagt Bischof. «Das macht aus unserer Sicht viel mehr Sinn, dass sich die Leute so für Flüchtlinge einsetzen. Denn dann können sie am Abend auch wieder nach Hause gehen, nachdem sie zum Beispiel Deutsch-Nachhilfe gegeben haben.»

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