Neues Album der Luzernerin Martina Linn

«Ich kann eine absolute Drama-Queen sein»

«Ich will in den nächsten Jahren noch extrem Gas geben»: Sängerin und Gitarristin Martina Linn. (Bild: Tabea Hüberli)

Mut zur Einfachheit und zu persönlichen Texten: Die Sängerin Martina Linn hat sich für ihre neuen Songs stärker mit sich selbst beschäftigt. Nach den Konzerten will sie endlich in die Staaten.

Martina Linn schlägt auf ihrem dritten Album «Win What Yesterday Lost» poppigere Töne an. Der leichtfüssige und unbeschwerte Ton täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die starke Sängerin tief im Americana-Sound verwurzelt ist.

Vor zehn Jahren ist die Engadinerin durch die Musikhochschule in Luzern sesshaft geworden und fiel schnell als Songwriterin auf, die auch die Gitarre beherrscht. Warum es die 28-Jährige jetzt endlich in die Staaten zieht – und was sie müde macht, erzählt sie im Interview.

zentralplus: Dein neues Album wirkt gelassen und optimistisch. Stimmt der Eindruck?

Martina Linn: Ich teile diesen Eindruck, ja. Es ist das erste Album, auf dem ich mich stark mit mir selber beschäftigt habe. Ich habe zwei Jahre für mich an den Songs gearbeitet, bis ich sie der Band vorspielte. Aus dieser Gelassenheit heraus und ohne viel zu proben, haben wir das Album im Studio eingespielt.

zentralplus: Und warum ist es das mutigste deiner bisherigen Alben, wie du es ankündigst?

Linn: Ich habe in Sachen Lyrics einen rechten Step gemacht und traue mich mehr. Im Titelsong «Win What Yesterday Lost» singe ich «I’m Tired». Es braucht Mut, so ehrlich zu sein: Ich bin müde, und ich brauche etwas, das mich befreit. Solche Zeilen hatte ich in den ersten Alben noch nicht.

zentralplus: Was hat dich müde gemacht?

Linn: Ich interessiere mich für so vieles, sodass ich manchmal aufstehe und denke: Wieso habe ich nicht schon gestern angefangen? Ich komme dann in ein Dilemma, in einen Stress – und der macht mich müde. «Gewinne jetzt zurück, was du gestern verloren hast»: Das relativiert den ganzen Stress und ich kann besser im Jetzt sein.

«Ich mache, was ich will. Schon von Anfang an.»

zentralplus: Zurück zur Einfachheit könnte man auch als mutlos bezeichnen.

Linn: Das stimmt, aber es ist beides. Ich sehe in der Einfachheit eine grosse Freiheit. Jazzer haben ja oft den Drang, alles kompliziert zu machen. Das kann genauso einschränkend sein, auch wenn es sehr befreit wirkt.

zentralplus: Deine neuen Songs hören sich gesetzt, geerdet und reduziert an: Als ob du niemandem etwas beweisen müsstest.

Linn: Das ist schön gesagt. Ich mache, was ich will. Schon von Anfang an. Ich hatte noch nie das Gefühl, ich müsse einen expliziten Radiosong schreiben.

zentralplus: Deine Stimme erhält auf dem Album viel Platz und du spielst mehr E-Gitarre. Du exponierst dich mehr.

Linn: Ja, ich habe trotzdem das Gefühl, ich könnte noch stärker reduzieren. Ich sehe darin ein extremes Potential, aber nur, wenn ich den Platz auch musikalisch sinnvoll nutzen kann. Darum will ich in den nächsten Jahren noch extrem Gas geben mit meinem Gitarrenspiel. Das braucht Mut und Erfahrung.

Plattentaufe im Januar

Drittes Album von Martina Linn: «Win What Yesterday Lost». Die angekündigte CD-Taufe vom Mittwoch, 4. Dezember, muss wegen Krankheit verschoben werden. Neues Datum: 22. Januar, Schüür Luzern.

zentralplus: Woher kam deine Lust auf mehr Gitarre?

Linn: Urs Müller (Gitarrist in ihrer Band, Anm. d. Red.) und der Musiker Hank Shizzoe haben mich inspiriert. Und Produzent Marco Jencarelli natürlich. Er hat gesagt: Trau dich mehr an der E-Gitarre! Denn Frauen an der Gitarre gibt es halt immer noch nicht so viele in der Region.

zentralplus: Die erste Singe «I Will Run» ist nur spärlich instrumentiert. Eine mutige erste Single.

Linn: Ja sehr, auch das kaputte Gitarrensolo von Urs. Ich habe gesagt, er solle die E-Gitarre andersrum halten und spielen (lacht). Ich konnte von den zehn Songs kaum sagen, welches die Single ist. Mein Ziel ist, dass ich nicht töne wie alle anderen, ich glaube mit diesem Song ist mir das gelungen.

Hier der Song «I Will Run»:

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zentralplus: Im Titeltrack «Win What Yesterday Lost» fährst du mit Gospelchor und grosser Geste auf. Da wird’s hymnisch.

Linn: Auch das gehört zu mir, ich kann absolut eine Drama-Queen sein und muss manchmal dick auftragen. Ich mag das Gosplige.

«Bitte nicht Nora Jones oder Katie Melua.»

zentralplus: In anderen Songs wie «Under my Rooftop» zeigst du keine Berührungsängste zum Pop.

Linn: Wir haben ewig damit gerungen, ob der überhaupt aufs Album soll. Wir hatten auch ein paar Jazzballaden aufgenommen, aber ich wollte kein 15-Track-Album. Also musste ich mich entscheiden: Ob ich die jazzigen nehme oder poppiger fahren soll.

zentralplus: Welche Songwriterinnen haben dich geprägt?

Linn: Unbedingt Shawn Colvin, die kennen in der Schweiz mega wenige. Sie ist sackstark auf der Gitarre. Auch inspiriert haben mich natürlich Feist oder nordische Frauen wie Tina Dico. Aber bitte nicht Nora Jones oder Katie Melua, diese Vergleiche habe ich beim Debüt so oft gehört, weil es schön und lieblich sei (seufzt). Aber ich sah mich nie in ihnen.

zentralplus: Du hast wieder wie bei den vorherigen Alben bei Marco Jencarelli aufgenommen. Wieso?

Linn: Wir hatten musikalisch noch eine Rechnung offen. Er sagte mir: Martina, wir haben zu zweit noch nicht alles herausgeholt. Das war stark und ehrlich und hat mich motiviert. Es stimmt nämlich: Ich kam mit 18 aus dem Engadin mit meiner Ungeduld und fuhr gleich mit einer Band ein. Vielleicht wäre rückblickend zuerst ein Soloalbum besser gewesen.

zentralplus: Du blickst auf drei Alben und viele Konzerte zurück. Was kommt noch?

Linn: Ich muss jetzt unbedingt mal weg! Ich kenne die wichtigsten Leute hier, aber für das nächste Album suche ich eine neue Energie, und das muss eine andere Stadt sein. Ich will in die Staaten reisen, da war ich noch nie. Im März wird es hoffentlich so weit sein.

Nun zieht es sie in die Staaten: Sängerin und Gitarristin Martina Linn. (Bild: Tabea Hüberli)

zentralplus: Bleibst du Luzern als Musikerin erhalten?

Linn: Ich denke schon, ich fühle mich mega wohl und habe vor, wieder zurückzukommen. Ich liebe das Engadin, aber ich hätte da musikalisch keine Perspektive.

zentralplus: Was gefällt dir an Luzern?

Linn: Man ist zackig in der Natur, und man trifft viele Leute im Ausgang. Man kann an sympathische Orte wie das Meyer. Die Stadt ist klein, aber sie bleibt nicht stehen.

zentralplus: Wie schwierig ist es, dir als Frau im Musikbusiness Gehör zu verschaffen?

Linn: Teils ist es einfacher, teils schwieriger. Aber wenn du den Nightliner mit nur Männern teilst, wird es mit der Zeit anstrengend. Wir haben 2012 die schwedische Band Friska Viljor begleitet, und da war ich die einzige Frau. Auch an der Jazzschule wäre es schön, wenn es mehr Frauen hätte. Dafür sind Männer einfacher gestrickt, das ist auch cool. Ich hab’s gern entspannt (lacht).

Martina Linn spielt «Win What Yesterday Lost»:

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