Kantonsrat wagt «Hoselupf» mit Luzerner Regierung

«Ich höre zunehmend, dass man der Regierung nicht mehr glaubt»

FDP-Kantonsrat Herbert Widmer will den politischen Prozess im Kanton Luzern verbessern.

(Bild: Montage les)

Es kriselt zwischen den politischen Akteuren im Kanton Luzern. Nun greift der Kantonsrat durch und will die politische Kultur einer grundlegenden Prüfung unterziehen. FDP-Kantonsrat Herbert Widmer erklärt im Interview die Hintergründe, richtet Tipps an Finanzdirektor Schwerzmann und sagt, was er von Zeugnissen für die Kantonsräte hält.

Es harzt in der Luzerner Politik. Nicht nur, weil das Geld knapp ist. Kantonsräte aus allen Fraktionen haben eine Motion eingereicht, welche eine Evaluation über die politische Kultur und die Zusammenarbeit im Kanton Luzern verlangt (siehe Box). Die Kantonsräte monieren fehlendes politisches Vertrauen, eine mangelnde Informationspolitik seitens der Regierung und Leerläufe im Ratsbetrieb.

Erstunterzeichner der Motion ist FDP-Kantonsrat Herbert Widmer. Er ist Präsident der Stabsgruppe der Geschäftsleitung des Kantonsrates, welche die Motion erarbeitet hat. Widmer sitzt seit 1995 im Kantonsrat und kennt den Betrieb dementsprechend aus dem Effeff. zentralplus hat mit ihm gesprochen.

Wortlaut der Motion

Der Regierungsrat wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit Verwaltung, Parlament und Gemeinden zeitnah eine Evaluation der politischen Kultur und der politischen Zusammenarbeit im Kanton Luzern in allen davon betroffenen Bereichen durchzuführen.

Im Begleitbrief zur Motion schreiben die unterzeichnenden Kantonsräte: Grundlegend evaluiert werden muss

  • wo die Ursachen für Probleme liegen,
  • wie das Vertrauen der Bevölkerung in Regierungsrat, Verwaltung und Parlament wieder deutlich verbessert werden kann,
  • ob die heutigen Instrumente mit Legislaturprogramm, AFP, Leistungsaufträgen, Indikatoren, etc. den politischen Anforderungen genügen.

zentralplus: Herr Widmer, Sie sind offensichtlich unzufrieden mit der Regierung. Was steckt hinter Ihrem Vorstoss?

Herbert Widmer: Es handelt sich beim Vorstoss nicht um ein Misstrauensvotum. Trotzdem meinen wir es mit dem Vorstoss absolut ernst. Wir sind nicht zufrieden damit, wie es derzeit in der Luzerner Politik läuft. Ich nenne gerne ein paar Indizien. Eine Bevölkerungsbefragung zeigt, dass die Luzerner zunehmend unzufrieden mit der Informationspolitik der Luzerner Regierung sind und sich zu wenig ernst genommen fühlen. Uns Kantonsräten geht das ähnlich – das aktuelle Beispiel mit der ausbleibenden Kommunikation über die Abnahme der NFA-Gelder zeigt dies exemplarisch auf. Auch dass wichtige Botschaften wie der Aufgaben- und Finanzplan mehrmals abgelehnt wurden, ist für uns nicht zufriedenstellend.

zentralplus: Steckt der Wurm drin?

Widmer: Lacht. Entscheidend ist wohl die Grösse des Wurmes. Nein, die Situation könnte und sollte besser sein. Wir sehen Verbesserungspotential.

zentralplus: Dass sich Kantonsräte aus allen Fraktionen einer Motion anschliessen und grundlegende Probleme in der Politik orten, ist doch aussergewöhnlich. Wie kam es dazu?

Widmer: Entstanden ist der Vorstoss aus der Stabsgruppe der Geschäftsleitung des Kantonsrats. In dieser ist jede Fraktion mit einem Mitglied vertreten. Im Gespräch untereinander und mit wichtigen Vertretern der Verwaltung haben wir Handlungsbedarf festgestellt. Der Vorstoss ist überhaupt nicht parteipolitisch gefärbt, sondern rein sachpolitisch. Auch die Aufgaben- und Kontrollkommission AKK hat uns mitgeteilt, dass wir ihren Nerv getroffen haben. Und weil sehr viele Kantonsrätinnen und Kantonsräte hinter dem Vorstoss stehen, erwarten wir auch, dass die Regierung diesen ernst nimmt und umsetzt.

«Man macht keine verbindlichen Aussagen, sondern verwendet nichtssagende Floskeln.»

zentralplus: Kritisiert wird fehlendes Vertrauen im politischen Prozess. Können Sie das erläutern?

Widmer: Es ist kein einfacher Begriff. Aber immer mehr höre ich in den Voten im Kantonsrat, dass man Aussagen der Regierung nicht mehr glaubt. Oder in der Kommissionsarbeit sehen sich Mitarbeitende seitens der Verwaltung immer wieder mit Misstrauen konfrontiert. Ein Grund kann auch sein, dass immer häufiger taktische Aussagen gemacht werden. Man macht also keine verbindlichen Aussagen, sondern verwendet nichtssagende Floskeln.

zentralplus: Bei der Steuererhöhung aufs Jahr 2014 hin, versprach die Regierung, dass diese nach drei Jahren wieder rückgängig gemacht werde. Dieses Versprechen wird, wie wir wissen, gebrochen. Im Rahmen des KP17 ist erneut eine Steuererhöhung vorgesehen, diese soll 2019 aber teilweise rückgängig gemacht werden. Die Regierung kommunizierte dazu: «Bei einer realistischen Gewichtung der Risiken ist eine Senkung des Staatssteuerfusses per 2019 machbar. Aber wir treffen zum heutigen Zeitpunkt einfach Planungsannahmen. Garantien gibt es keine.» Dieses Geschwurbel ist doch ein treffendes Beispiel?

Widmer: Ich hoffe doch, dass die Regierung etwas gelernt hat. Es war damals blauäugig, dieses Versprechen abzugeben. Auch der Kantonsrat beachtete damals zu wenig, wie stark die Aufgaben in unserem Kanton wachsen und dass eine Senkung kaum möglich sein wird. Die steigenden Spitalkosten etwa sind das beste Beispiel.

«Vor 20 Jahren haben wir politisiert, heute wird mehr traktandiert.»

zentralplus: Es ist wohl kein Zufall, dass dieser Vorstoss in einer finanzpolitischen Schlechtwetterphase eingereicht wird.

Widmer: Ich würde eher von Hagel und Donner sprechen. Aber es ist in der Tat eine schwierige Situation. Immer wieder müssen wir Hauruck-Übungen starten. Es fehlt eine langfristige Vision für unseren Kanton.

zentralplus: Sie sind seit 1995 im Kantonsrat dabei. Was ist anders geworden?

Widmer: Die Geschäfte wurden komplexer und schwieriger. Was ich allerdings feststelle: Vor 20 Jahren haben wir politisiert, heute wird mehr traktandiert. Früher gingen die Diskussionen sachpolitisch mehr in die Tiefe, der Kampf um einzelne Geschäfte war grösser. Heute produzieren wir auch oft Leerläufe oder diskutieren um unwichtige Dinge, weil wir uns profilieren wollen.

Es gibt Spannungen zwischen dem Kantonsrat und der Luzerner Regierung.

Es gibt Spannungen zwischen dem Kantonsrat und der Luzerner Regierung.

zentralplus: Die Besetzung des Parlaments hat sich auch grundlegend verändert. Die SVP wurde zu einer starken Kraft im Kanton. Was hat die stärkere Polarisierung des Parteiensystems bewirkt?

Widmer: Diese Veränderungen sind natürlich eine Tatsache. Das Parlament ist durch die Polarisierung weniger lösungsorientiert und die Kompromissbereitschaft hat abgenommen.

zentralplus: Muss man heute einfach polemisch sein, damit das politische Wirken medienwirksam ist?

Widmer: Solche Tendenzen gibt es. Wir merken ja im Rat selbst, wann wir gute, effiziente Stunden haben und wann wir Leerläufe produzieren.

«Es wäre nicht schlecht, wenn der Finanzdirektor häufiger den Kontakt zu den Fraktionen suchen würde.»

zentralplus: Wie dramatisch ist die Situation?

Widmer: Dramatisch ist es nicht, aber ich will keinesfalls die Kraft des Vorstosses mindern. Wir haben eine klare Aussage gemacht, dass wir unzufrieden sind, wie es derzeit läuft.

zentralplus: Es fällt auf, dass heute die Hauptkritik auf Finanzdirektor Marcel Schwerzmann fällt. Hat er als Parteiloser den Nachteil, dass ihn keine Partei schützt?

Widmer: Ja, das spielt ganz sicher mit. Schwerzmann hat keine Fraktion, die einen Teil der Kritik absorbieren würde. Es wäre nicht schlecht, wenn der Finanzdirektor häufiger den Kontakt zu den Fraktionen suchen würde.

«Ich bin schon öfters durch protestierende Mengen zum Regierungsgebäude gelaufen.»

zentralplus: Besonders heftige Kritik kommt von links. Spielt es eine Rolle, dass die SP nicht mehr in der Regierung vertreten ist?

Widmer: Das kann sein, das traf die Partei natürlich. Und Marcel Schwerzmann ist nun einmal der Verwundbarste. Gegen Paul Winiker zu schiessen, ist aussichtlos und bisher auch nicht begründet. Er bietet niemals diese Angriffspunkte, und dass die SVP in die Regierung gehört, bestreitet wohl auch niemand.

zentralplus: Im Vorstoss erwähnen Sie auch heftige Proteste von Verbänden. Hat das zugenommen?

Widmer: Nein, ich bin schon öfters durch protestierende Mengen zum Regierungsgebäude gelaufen. Aber man darf die Bedeutung der Verbände nicht unterschätzen. Gerade der Verband der Luzerner Gemeinden VLG hat eine gewisse Macht. Im Rahmen des KP17 mit der Ankündigung eines Referendums lässt er die Muskeln spielen.

zentralplus: Innerhalb der Verwaltung hat sich in den letzten Jahren viel entwickelt. WOV (Wirkungsorientierte Verwaltung) und New Public Management wurde eingeführt. Sie haben diese Prozesse begleitet. Was hat sich verändert?

Widmer: Angeführt durch Professor Schädler (Uni St. Gallen) hat dieses Modell seit 1995 die Strukturen und Prozesse verändert. Der Sinn war, die Verwaltung bürgernah, kostengünstig und kundennah auszurichten. Es sind viele gute Ideen dabei, etwa werden Entscheidungsprozesse klarer oder die Aufsichten besser geregelt.

«Es braucht aussagekräftige Indikatoren, damit die Politik beurteilen kann, wo sie was erfüllt hat.»

zentralplus: Die Verwaltung wurde dadurch gestärkt. Politikberater und CVP-Kantonsrat Adrian Bühler sagte im zentralplus-Interview, dass die Verwaltung heute die Gesetze ausarbeitet und nicht mehr der Kantonsrat. Teilen Sie diese Einschätzung?

Widmer: Es ist ganz wichtig, dass wir gleich stark sind und mit der Verwaltung auf Augenhöhe diskutieren können. Heute macht der Kantonsrat nur noch die Feinjustierung und bringt kleine Änderungen an. Dabei sollten wir den Rahmen umschreiben und den Zaun abstecken können, bevor die Gesetze formuliert werden.

zentralplus: Die Parteien könnten sich ja auch im Vernehmlassungsverfahren stärker einbringen.

Widmer: Das stimmt. Allerdings wird dort ein Fragebogen zugestellt, und man antwortet auf diese Fragen statt sich mit dem konkreten Inhalt des Gesetzes auseinanderzusetzen. Die Parteien verfügen weiter nur über geringe Ressourcen. Immerhin haben wir mit einem Vorstoss erreicht, dass die aus dem Vernehmlassungsverfahren eingeflossenen Änderungen in der folgenden Botschaft zusammengefasst werden.

zentralplus: Nun soll also eine Evaluation Klarheit schaffen und mögliche Massnahmen vorschlagen. Der Kanton Aargau hat eine solche durchgeführt. Was kam heraus?

Widmer: Ein sehr interessanter 110-seitiger Bericht. Die Erkenntnisse stellten den Akteuren positive wie negative Zeugnisse aus. Insbesondere Verbesserungen im Legislaturprogramm und der Ausgestaltung des AFP wurden vorgenommen. Zudem stellte man fest, dass viele Leistungsaufträge nichtssagend sind und nicht bewertet werden können. Es braucht aussagekräftige Indikatoren, damit die Politik beurteilen kann, wo sie was erfüllt hat. Und es kam auch heraus, dass auch das Parlament gefordert ist.

zentralplus: Sie beurteilen die Arbeit des Kantonsrates also auch selbstkritisch?

Widmer: Ja. Wir müssen die Sache ernster nehmen und uns intensiver mit den Geschäften auseinandersetzen. Ich höre immer wieder Sätze wie «wir können nichts verändern, stimmen wir einfach zu». Es braucht mehr Vorbereitungszeit und man sollte als Kantonsrat die Geschäfte besser kennen. Dies heisst aber nicht, dass mehr Sitzungen notwendig sind.

zentralplus: Ein Thema ist auch die Flut an Vorstössen. Aber man kann einer politischen Minderheit kaum verbieten für ihre (aussichtlosen) Anliegen zu kämpfen. Das wäre ja demokratisch höchst fragwürdig.

Widmer: Das stimmt und die Motionen und Postulate sind auch kein Problem, sondern ein wichtiges demokratisches Mittel. Bei den Anfragen ist es aber ein Problem. Ich gewinne den Eindruck, dass man sich oft einfach profilieren will. Viele Fragen liessen sich klären, indem man einfach mit einer Dienststelle per Telefon oder Mail Kontakt aufnimmt.

«Die Selbstkontrolle innerhalb der Fraktionen sollte verstärkt werden.»

zentralplus: Was halten Sie von der Idee, dass man allen Kantonsräten ein Zeugnis ausstellen würde?

Widmer: So absurd wäre das nicht. Es würde die Glaubwürdigkeit stärken. Aber wer soll das machen, wie bewerten wir? Ich denke, die Idee würde daran scheitern.

zentralplus: Die Medien können nur die Debatten verfolgen. Was in den Kommissionsitzungen passiert unterliegt dem Kommissionsgeheimnis.

Widmer: Plus hat jedes Medium auch eine politische Einstellung. Eine Option wäre sicherlich, dass die Selbstkontrolle innerhalb der Fraktionen verstärkt wird. Und man müsste halt auch den Mut haben, «Fehlbare» zurechtzuweisen. Für die Fraktionschefs wäre dies eine grosse Herausforderung.

zentralplus: Eine Bewertung würde auch dem Stimmbürger dienen. Dieser könnte sich darauf stützen und entscheiden, welche Politiker wirklich ihre Leistung erbringen.

Widmer: Man spricht ja oft von Hinterbänklern in den Parlamenten. Ich höre in Wahlkämpfen jeweils von Bürgern, dass man die Kantonsräte einfach zu wenig kenne und nicht wisse, wer was erreicht. Eine bessere Informationspolitik wäre auch hier hilfreich.

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