Ein Leben mit Spielsucht

«Ich habe über 320’000 Franken verzockt»

In den Casinos lockt der grosse Gewinn. (Bild: Emanuel Ammon / AURA)

Roulette, Black Jack und Poker im Casino: Spielsucht trieb einen Megger Familienvater in die Schulden. Um dabei nicht aufzufliegen, log er seine Familie, seine Freunde und seinen Arbeitgeber an. Solange, bis der Familienvater kurz davor stand, sich das Leben zu nehmen.

Rolf Herzog (*) verschaffte sich am frühen Morgen des 31. Dezembers 2009 noch etwas Zeit. Leise zog er den Telefonanschluss aus der Wand. Auf keinen Fall sollte der Vermieter zu Hause in Meggen anrufen können. Dann, ohne jemanden aufzuwecken, verliess er die Wohnung und ging in die Garage zu seinem Dienstwagen. Er startete den Motor und fuhr los. Das Ziel des zweifachen Vaters war die Schnellstrasse in Richtung Malters. «Ich wollte mir da irgendeinen Baum aussuchen», sagt er.

Es war «die Wende», wie Rolf Herzog diesen Augenblick seines Lebens heute nennt. An jenem Silvestermorgen vor vier Jahren geriet alles ausser Kontrolle und er wusste keinen Ausweg mehr. Herzog hatte von seinem Arbeitgeber die fristlose Kündigung erhalten. Mit der Miete war er 18 Monate in Verzug. Die Krankenkasse war seit 50 Monaten ausstehend und eine Lungenentzündung raubte ihm die letzte Kraft. Er hatte damals insgesamt 640’000 Franken Schulden.

Die Realität wird verdrängt

Rolf Herzog erinnert sich, wie es dazu kommen konnte. Rund die Hälfte seines Schuldenberges, also rund 320’000 Franken, hat er verzockt. Herzog wirkt intelligent, gefasst und wach, während er seine Geschichte erzählt. Der gut Sechzigjährige schildert: «Den vernünftigen Teil des Hirnes schaltet man einfach aus», sagt er. So werde die Realität einfach verdrängt.

Ein schwieriger Prozess für Betroffene

Schweizer Casinos verhängen Spielsperren, wenn sie Anzeichen auf Spielsucht feststellen. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Wie ein Besuch im Casino Luzern zeigt, ist dieser Prozess standardisiert und die Mitarbeiter wissen offenbar, wie sie mit der Problematik umzugehen haben. Das Casino Luzern hatte 2013 insgesamt 123 Meldezetteln nachzugehen. Entweder wurden diese vom Team selber, oder von Angehörigen der auffälligen Spieler ausgefüllt. Durch Abklärungen, Gespräche und gesetzlich erzwungene Offenlegung der finanziellen Situation (Lohnausweis, Vermögensunterlagen) wurden letztes Jahr 70 Prozent, also rund 85 Personen, durch diese Meldungen schlussendlich gesperrt.

Bei den Luzerner Sozialdiensten haben sich 2013 insgesamt 53 Spielsüchtige beraten lassen. Beat Waldis, Leiter des Sozialberatungszentrums Luzern (SoBZ) sagt: «Zu merken, dass man sich nicht mehr im Griff hat, ist für die Betroffenen ein sehr schwieriger Prozess. Bis sich Spielsüchtige Unterstützung holen, dauert es oft lange und die Auswirkungen ihrer Probleme sind für sie stark spürbar.» Nicht selten kämen Verschuldung, Verzweiflung, Schlaflosigkeit und Anzeichen von Depression zusammen.

Seine Sucht trieb ihn als einst finanziell erfolgreichen Menschen in den Ruin. Gespielt habe er schon immer gerne. Und mit viel Leidenschaft. Ob beim Fussball, beim Jassen oder bei der Arbeit. Herzog mag es, wenn es ums Ganze geht. «Ich bin so ein Typ, für den es immer nur schwarz oder weiss gibt», sagt er über sich. Ein Macher eben.

Schon als Jugendlicher sass er mit Vorliebe im Casino Luzern am Black-Jack-Tisch beim Kartenspiel. Das Prinzip ist ganz einfach: auf 21 Punkte, ein bisschen Mathematik und viel Glück. Genauso unwiderstehlich fand Herzog den Nervenkitzel beim Roulette oder Poker.

In den Anfängen, den Achtzigerjahren, war Geld einfach da. Herzog konnte sich das Spielen leisten. Als erfolgreicher IT-Berater verdiente er bereits damals über 10’000 Franken pro Monat. Es war zu jeder Zeit noch mehr als genug für die Familie übrig.

17 Mal Jackpot in Folge

Doch beruflich ging Herzog genauso hohe Risiken ein. Vor zwanzig Jahren gründete er seine eigene IT-Firma und investierte das sorgfältig angesparte Kapital. Eine sichere Sache, so schien es vorerst. Das Geschäft lief gut an. Und abends holte sich Herzog jeweils den Adrenalinkick im Casino. Es war seine verdiente Belohnung und sein Ausgleich in der Freizeit. «Einmal hatte ich 17 Mal hintereinander am Black Jack-Tisch gewonnen», schwärmt er noch heute.

Doch es kam, wie es kommen musste. Nach zwei Anfangsjahren brachen die Umsätze von Herzogs EDV-Firma drastisch ein. Die dazumal sprudelnden Geldquellen versiegten plötzlich. «Wir hatten gedacht, wir könnten alles auf einmal machen», sagt Herzog. Zu euphorisch seien sie gewesen, er und seine Geschäftspartner. «Zu hohe Ausgaben, Prestige-Büros, teure Dienstwagen und viel zu viel Personal auf einmal.»

Der Konkurs liess nicht lange auf sich warten. Zu dieser Zeit begann Herzog am Spieltisch, die Verluste wirksam auszublenden. «Man negiert das einfach», sagt er. Und mit dem kleinen Wettbüro, das Herzog gründete, drehte sich die finanzielle Abwärtsspirale schneller und schneller. Sein Wettbüro diente ihm als guter Vorwand, um sich von verschiedenen Freunden kurzfristig Geld leihen zu können. Diese Schulden sollten dann wiederum zurückgezahlt werden.

Herzog liess sich nichts anmerken

Bald sass Herzog täglich am Black Jack-Tisch und verschleuderte jeweils locker 500 Franken. Bei Verlusten verdoppelte er dann den Einsatz. Nicht selten ging er schon über Mittag ins Casino. Er sei an Geschäftsmeetings, täuschte er seinen jeweiligen Arbeitgebern vor. Herzog kann sich gut verkaufen. Er fand immer einen Job und hatte während diesen fünzehn Jahren – als seine Sucht am schlimmsten war – insgesamt zwölf verschiedene Anstellungen.

Im Luzener Casino spielte er während den Black Jack-Turnieren sogar noch in den Pausen. Die anderen Teilnehmer mussten ihn an den Turniertisch zurückholen. «Irgendwann muss die Glückssträhne kommen», dachte er. Und Herzog blieb unterdessen äusserlich ganz ruhig. Er liess sich nichts anmerken, wurde nie ausfällig oder nervös. Den Alkohol an den Spieltischen mied er gänzlich. Damit die Croupiers des Casinos keinen Verdacht schöpfen konnten, wechselte er regelmässig das Casino (siehe Box: Spielsperren).

Doch die ersehnte Glückssträhne kam nicht wieder. Manchmal hatter er sogar die zehn Franken für das Parkhaus noch verspielt. «Dann lieh ich mir von einem Freund wieder etwas. Es fiel mir immer wieder eine gute Ausrede ein.»

Neue Schulden, um alte zu tilgen

Zu Hause sagte er seiner Familie kein Wort. Niemand durfte etwas über die Schwierigkeiten von Rolf Herzog erfahren. Neue Notlügen halfen ihm gegen die kritischen Fragen seiner Frau. Gleichzeitig gab er zu Hause den souveränen Familienvater, der die Finanzen stets im Griff hatte. Seine Tochter und seinen Sohn lehrte er, stets die Wahrheit zu sagen. «Lügen hätten kurze Beine», ermahnte er sie. Die vielen Mahnungen in der Post sortierte er sorgfältig aus.

Dank seinen früheren Geschäftsbeziehungen waren ihm die Banken noch eine Zeit lang wohlgesinnt. Seinen Kreditgebern log Herzog «einen heissen Geschäftstipp» vor. Die neuen Schulden brauchte er dann, um alte zu tilgen. «Ich habe alle belogen, meine Familie, meine Freunde, meine Arbeitgeber».

«Wir wissen alles»

Bis zum erwähnten Silvestermorgen 2009 konnte Herzog alle Schulden irgendwie unter dem Deckel halten. Dann war aber seinem Vermieter der Geduldsfaden gerissen und er sollte alles auffliegen lassen. Er käme mit dem Räumungsbefehl vorbei, hatte er am Telefon gesagt. Herzog war also auf der Schnellstrasse in Richtung Malters unterwegs. Und rechtzeitig fasste er seine Gedanken wieder klar. Er schaffte es nicht, seinem Leben ein Ende zu setzten.

Beim nächsten Restaurant machte er Halt und ging zur Telefonstation. «Eigentlich wollte ich nur prüfen, ob die Verbindung zur Wohnung noch unterbrochen ist», sagt Herzog. Sein Sohn sprach am anderen Ende der Leitung zu ihm. «Papa, wo bist du? Bitte komm nach Hause. Die Verwaltung steht vor der Tür. Wir wissen alles.»

«Spielsüchtig bin ich nach wie vor»

«Meine Frau und meine Kinder halten bis heute zu mir», sagt Herzog. Auch auf viele seiner Freunde könne er noch immer zählen. «Hier habe ich das grösste Glück meines Lebens gehabt.» Dass er vielen Menschen weh getan habe, bereue er sehr. Nun verwaltet die Tochter für ihren Vater die Finanzen. Sie liess ihn vor vier Jahren für den Eintritt ins Casino sperren.

Wegen seiner Spielsucht ist er heute in therapeutischer Behandlung. «Spielsüchtig bin ich nach wie vor», sagt Herzog. Ein Grossteil seines jetzigen Lohnes werde zur laufenden Schuldentilgung verpfändet. Der Gang zu den Beratungs- und Sozialstellen sei ihm schwer gefallen. Er lebe momentan mit dem Existenzminimum und sei bereit, nach seiner Pension weiter zu arbeiten. Auf einen Teil der Forderungen verzichteten die Gläubiger. Rund ein Viertel sei inzwischen abbezahlt. «Bis 2016 möchte ich wieder schuldenfrei sein», sagt Herzog.

(*) Name von der Redaktion geändert

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon