Beat Bieri über Luzerner Flüchtlingskurs

«Ich fürchte mich vor den Reaktionen auf den Film»

Der erste Schultag für die 15 Flüchtlinge, die im Integrationskurs in Emmenbrücke von Filmer Beat Bieri begleitet wurden.

(Bild: SRF)

«Auf euch hat in der Schweiz niemand gewartet.» Eine harte Aussage im Luzerner Integrationskurs für Flüchtlinge. Der Filmemacher Beat Bieri hat den Kurs gerade deshalb dokumentiert. Nun ärgert er sich, dass der Kanton diesen nicht mehr durchführen will. Und die Ausstrahlung seines Films ist für ihn nicht nur mit Freude verbunden.

Die Flüchtlingszahlen steigen stetig an, die Regierungsvertreter streiten sich über Lösungen und die Frage der Verantwortung. Doch die Zukunft wird davon abhängen, wie die Integration dieser Menschen in die Gesellschaft funktioniert. Denn die Mehrheit der über 100’000 Flüchtlinge, die heute in der Schweiz sind, wird wahrscheinlich bleiben. Aktuell sind es in Luzern rund 60 Prozent (zentral+ berichtete).

In einem zweiteiligen Dokfilm beobachtet der Luzerner Autor Beat Bieri, wie der Erwachsenenbildner Heinz Gerig aus Uri eine Flüchtlingsklasse in einem Jahr fit macht für den hiesigen Gastro-Arbeitsmarkt. Die 15 Kursteilnehmer – Eritreer, Afghanen, Tibeter und ein Ugander – leben schon seit mehreren Jahren in der Schweiz, sprechen einigermassen Deutsch. Sie haben alle schon selbst versucht, eine Arbeit zu finden, auch mit professioneller Hilfe, jedoch umsonst. Alle leben von der Sozialhilfe und wollen weg davon. Gerig führt sie aus dieser heraus – und das mit viel Realitätssinn: «Auf euch hat in der Schweiz niemand gewartet», so begrüsst er die 15 Flüchtlinge zu Beginn des einjährigen Kurses in Emmenbrücke, der vom Kanton angeboten wurde.

Der Dokfilm zeigt, dass Integration eine knochenharte Arbeit ist – für alle Beteiligten. Der erste Teil von «Auf euch hat hier niemand gewartet» wurde diesen Donnerstag, 4. Februar, um 20.05 Uhr auf SRF1 ausgestrahlt (wir zeigen ihn ganz unten in diesem Artikel als Stream). Der zweite Teil folgt am Donnerstag, 11. Februar um 20.05 Uhr.

zentral+ hat sich mit dem Filmemacher Beat Bieri über seine Arbeit und die heikle Thematik unterhalten:

Beat Bieri (Bild: SRF)

Beat Bieri (Bild: SRF)

zentral+: Wie kamen Sie dazu, eine Dokumentation über diesen Kurs zu drehen?

Beat Bieri: Begonnen hat der Kurs vor einem Jahr im Februar. Die Thematik war schon damals aktuell, hat sich aber zwischenzeitlich – wie wir alle wissen – noch verschärft. Gerade durch die Flüchtlingsströme im Sommer. Ich wollte den Fokus eigentlich auf die Flüchtlinge legen, mehr von ihnen erfahren. Doch bereits am ersten Tag wurde mir klar: Die Hauptperson ist der Kursleiter Heinz Gerig. Denn er hat den gleichen Hintergrund wie wir.

zentral+: Wie wir?

Bieri: Wir Schweizer. Er steht stellvertretend für uns. Er löst die Aufgabe der Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft. Er als Schweizer mit unseren Wertvorstellungen, unserem kulturellen Hintergrund sucht Lösungen und Ideen, um den Flüchtlingen unsere Gesellschaft näherzubringen und sie zu integrieren.

zentral+: Weshalb war der Kursleiter als Protagonist besonders spannend für Sie?

Bieri: Er hat mich zu Beginn ziemlich irritiert. Er ging sehr frontal vor und mit einer ungewohnten Härte. Er hat die Kursteilnehmer nicht verhätschelt, ihnen nicht das Blaue vom Himmel versprochen. Aber das ist die Wirklichkeit. Die Schweiz ist für Flüchtlinge nicht das Paradies, wie es viele Menschen glauben. Auch wenn die Flüchtlinge brutale, teilweise traumatische Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht hinter sich haben. Auch hier erwartet sie nochmals eine harte Anfangszeit.

«Man muss das Thema Flüchtlinge nur ansprechen und schon entleert sich der Hass über einem.»

zentral+: Was haben Sie beim Kurs am schwierigsten wahrgenommen?

Bieri: Dass es sich um vollkommen unterschiedliche Kulturen handelt. Deshalb die Frage: Wie finden sich diese Menschen bei uns ein? Die Flüchtlinge im Film sind alle schon eine Weile in der Schweiz, wollen unbedingt arbeiten, fanden aber alleine den Weg in den Arbeitsmarkt nicht. Es existieren so viele Hürden. Im Kurs werden daher auch ganz grundlegende Sachen vermittelt, Werte und Normen. Es waren teilweise auch fast peinliche Situationen, wenn es zum Beispiel darum ging, wie man in der Schweiz ein WC benutzt. Aber es ist notwendig, ganz unten anzufangen, denn es sind gewaltige kulturelle Unterschiede da. Und diese zu überwinden ist eine Knochenarbeit für beide Seiten.

Beat Bieri

Der Journalist, Filmer und Autor wurde 1953 in Luzern geboren. Seit 2000 macht er «DOK»-Filme für das Schweizer Fernsehen. Bieri ist Ökonom und arbeitete für das Wirtschaftsmagazin «Bilanz», danach für Cash-TV und «10vor10». Er war Mitbegründer der Wirtschaftssendung «ECO» und arbeitet auch für die Sendung «Reporter».

Mit dem Journalisten Ruedi Leuthold hat Bieri den Dokumentarfilm «Vom Glück eines Egoisten» gedreht. Bieri und Leuthold, beide aus Luzern, haben als Co-Autoren bereits mehrere Filme realisiert. Für den «DOK»-Film «Neue Heimat Lindenstrasse» bekamen sie 2007 den Europäischen Filmpreis Civis.

zentral+: Nun hat der Kanton Luzern diesen Kurs gestrichen.

Bieri: Wir haben Ende der Dreharbeiten, im Dezember, davon erfahren. Ich begreife es noch immer nicht und halte diese Entscheidung für einen grossen Fehler. Erst wird die Caritas abgesägt und dann dieser Kurs. Gute Leute, die gute Arbeit leisten und unserem Land einen grossen Dienst erweisen.

zentral+: Am Donnerstag wird der 1. Teil ausgestrahlt. Welche Rückmeldungen erwarten Sie?

Bieri: Ehrlich gesagt fürchte ich mich vor den Reaktionen. Es ist momentan so viel Wut und Hass in den Köpfen und Herzen der Menschen. Man muss die Thematik Flüchtlinge nur ansprechen und schon entleert sich dieser Hass über einem. Das wird ziemlich offensichtlich, wenn man sich online in den Kommentarspalten von Zeitungen umschaut. Viele Leute können bei dem Thema nicht mehr rational denken und schon gar nicht diskutieren. Das macht mir Angst (Anmerk. Red.: Zumindest auf SRF-Online sind die ersten Kommentare zum Film fast ausschliesslich positiv, wie der PrintScreen zeigt).

PrintScreen vom Kommentaren auf SRF-Online, die nach der Ausstrahlung des ersten Teils am Donnerstagabend abgegeben wurden.

PrintScreen vom Kommentaren auf SRF-Online, die nach der Ausstrahlung des ersten Teils am Donnerstagabend abgegeben wurden.

zentral+: Die Thematik Migration scheint Sie zu verfolgen.

Bieri: Das stimmt teilweise tatsächlich. Mein erster Film ging jedoch genau in die andere Richtung. Er handelte von Schweizer Auswanderern in Paraguay. Später kam «Neue Heimat Lindenstrasse» über die internationalste Strasse Luzerns, dann ein Film über die tamilischen Einwanderer und die Integration der ersten und der zweiten Generation. Schliesslich der Film über James Schwarzenbach. Ein sehr spannendes Thema. Man sieht an diesem Beispiel sehr klar, wie die Vorwürfe von damals an die Italiener genau dieselben waren, wie sie heute wieder auftauchen. Diese Wellen kommen immer wieder.

Asylkoordinator Ruedi Fahrni über die Entscheidung des Kantons Luzern

zentral+: Weshalb wurden der Gastrokurs von Heinz Gerig gestrichen?

Ruedi Fahrni: Wir überprüfen die Integrationsangebote des Kantons regelmässig und sprechen uns bezüglich der Arbeitskräfte-Nachfrage mit der Wirtschaft ab. Daraus resultierte diesmal, dass mehr Arbeitskräfte im Bau und der Pflege gesucht sind. Diesem Umstand müssen wir Rechnung tragen.

zentral+: Das bedeutet, es sind bereits neue Kurse in diesen Bereichen aufgegleist?

Fahrni: Es sind bereits wieder drei Kurse erfolgreich am Laufen. Einer für Maurer, einer für Pflegepersonal und einer für Logistiker. Alle drei Kurse sind mit je 15 Kursteilnehmern voll besetzt.

zentral+: Wie sieht die Erfolgsquote der Kurse aus?

Fahrni: Wir waren mit dem Gastrokurs beispielsweise sehr zufrieden. Deshalb ist er auch lediglich sistiert worden. Die Erfolgsquote lag bei 70 bis 80 Prozent. Wobei man sagen muss, dass die Nachhaltigkeit nicht überprüfbar ist.

zentral+: Wie wichtig sind solche Programme für die Integration?

Fahrni: Sie sind grundsätzlich wichtig, aber auch teuer. Ein Betrag von 20’000 bis 30’000 Franken muss pro Flüchtling, der einen solchen Kurs besucht, gerechnet werden. Deshalb werden diese im Vorfeld in einer Form von Assessment genau ausgesucht. Man sollte aber auch bedenken, dass man eine solche Investition in Relation setzen muss mit der Sozialhilfe, die ansonsten vielleicht Jahre oder gar Jahrzehnte ausbezahlt werden müsste, falls die Person ohne Hilfe keinen Anschluss im Arbeitsmarkt findet.


Der Live-Stream zum SRF-Dok: «Auf euch hat hier niemand gewartet»

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