Zug

«Ich bin für den Kindergarten und die 1. Klasse»

Die Bildungskosten in Zug sind überdurchschnittlich hoch. (Bild: Yvonne Anliker)

Im Kanton Zug soll das Schulgesetz überarbeitet werden. Thema dabei wird die sogenannte Grundstufe sein. Der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss (SVP) möchte dieses Schulmodell nicht definitiv einführen. Die Gründe dafür legt er im Interview mit zentral+ dar. Und er spricht über die Unzufriedenheit der Zuger Lehrer.

zentral+: Stephan Schleiss, sind Sie nach eigener Einschätzung ein guter Bildungsdirektor?

Stephan Schleiss: Ich hoffe es. Und es ist mein Anspruch. Ich möchte deshalb noch näher an die Basis und werde im laufenden Jahr 30 Schulen besuchen. Ich freue mich auf die Zeit in den Schulzimmern und die Gespräche mit den Lehrpersonen.

zentral+: Zufrieden mit Ihnen sind aber nicht alle. Die Volksschullehrer fühlen sich überlastet, nicht ernst genommen. Sie haben kürzlich eine Petition eingereicht und fordern, dass das Pflichtpensum generell um eine Lektion herabgesetzt wird.

Schleiss: Ich kann verstehen, dass sich gewisse Lehrpersonen vertröstet fühlen. Denn in den vergangenen Jahren wurde das Thema zwar immer wieder aufgegriffen, doch keine Entscheide gefällt. Nun jedoch habe ich den politischen Prozess angeschoben.

zentral+: Sie möchten also die Lehrer entlasten?

Schleiss: Ich kann keine Zusage machen, ob der Aufwand für die Lehrpersonen in naher Zukunft tatsächlich reduziert wird. Denn, wie ich kürzlich in einem Brief an die Lehrerinnen und Lehrer ausgeführt habe: Das ist ein politisches Geschäft, das mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist. Was ich sagen kann: Meine Direktion und ich arbeiten darauf hin, dass der Regierungsrat diesen August einen ersten Grundsatzentscheid fällen wird.

zentral+: Können Sie die Forderung der Lehrpersonen verstehen?

Schleiss: Das Umfeld hat sich bewegt: In den umliegenden Kantonen wurde und wird das Thema Reduktion der Unterrichtsverpflichtung diskutiert. Es ist also naheliegend, dass dieser Punkt auch in Zug aufgegriffen wird. Bewegt hat sich ebenso die Schule. Die integrative Schulungsform und eine zweite Fremdsprache auf Primarstufe wurden eingeführt – um nur zwei Beispiele zu nennen. Dieser Mehraufwand für die Lehrpersonen hat die Arbeitssituation verschärft. Ebenso die vielen Zusatzaufgaben, die oftmals den Schulen übertragen werden.

zentral+: Zug muss also handeln.

Schleiss: Ob Handlungsbedarf besteht, prüfen wir. Auf alle Fälle müssen wir bei der Rekrutierung von Lehrern auch in ein paar Jahren noch attraktiv sein. 

zentral+: Sie befürchten somit, der Kanton Zug könnte als Arbeitsort für Lehrpersonen unattraktiv werden? Somit spricht doch alles für eine Herabsetzung des Pflichtpensums.

Schleiss: Wie gesagt, dazu braucht es einen politischen Entscheid. Denn eine solche Herabsetzung wird den Kanton und die Gemeinden jährlich je rund zwei bis zweieinhalb Millionen Franken kosten.

zentral+: Sie haben die zweite Fremdsprache auf Primarstufe erwähnt. Neuere Erhebungen zeigen, dass dies manchen Schülern zu viel ist. Muss das System überdacht werden?

Schleiss: In Zug hat sich das Volk im Mai 2006 für zwei Fremdsprachen auf Primarstufe ausgesprochen. Ohne konkreten Handlungsbedarf werde ich daran nicht herumschrauben. Aber es ist nicht zu verneinen, dass sich in der Zentralschweiz Druck aufbaut.

zentral+: Druck?

Schleiss: Keiner der sechs Zentralschweizer Kantone ist dem HarmoS-Konkordat beigetreten. Das heisst, es müssten keine zwei Fremdsprachen in der Primarschule angeboten werden. Und in gewissen Kantonen sind Lehrer und Eltern mit der momentanen Situation tatsächlich nicht zufrieden; es gibt politische Vorstösse. Es kann also gut sein, dass auch in Zug das Thema erneut aufs Tapet kommt.

«Persönlich denke ich, dass schon ein Jahr Kindergarten reicht, um Deutsch zu lernen.»

zentral+: Wie ist denn die Stimmung in Zug?

Schleiss: Nach meinem Wissensstand funktioniert der Unterricht. Und der Kanton Zug hält sich an die Empfehlungen der Zentralschweizer Bildungsdirektorenkonferenz: In der dritten und vierten Klasse wird Englisch während dreier Lektionen pro Woche unterrichtet, in der fünften und sechsten sind es noch zwei Lektionen, weil während diesen Schuljahren je drei Lektionen Französisch hinzukommen. Es gibt Kantone, die den Französischunterricht auf zwei Lektionen gekürzt haben. Ich bin nicht überrascht, wenn Schüler dann die Lernziele nicht erreichen. In der Schule gibt es keine Abkürzungen.

zentral+: Aber wie stehen die Lehrpersonen und Schüler konkret zum Thema?

Schleiss: Das möchte ich in diesem Jahr während meiner Schulbesuche und Gespräche mit den Lehrpersonen herausfinden. 

zentral+: Für Gesprächsstoff wird auch die per Schuljahr 2014/2015 anstehende grosse Revision des Schulgesetzes sorgen, die dieses Jahr in die Vernehmlassung geht.

Schleiss: Ja. Dabei steht unter anderem die Kunst- und Sportklasse in Cham im Fokus. Dieser Schulversuch hat sich bewährt, die Nachfrage nach einer solchen Talentklasse ist vorhanden, die Erfahrungen der Schule Cham sind positiv. 

zentral+: Andere Revisionspunkte werden mehr Opposition hervorrufen.

Schleiss: Ja, dabei denke ich vor allem an die altersgemischte Eingangsstufe, die den Kindergarten und die erste – manchmal auch noch die zweite – Primarklasse zu einer gemeinsamen Stufe verbindet. Es ist die Frage zu klären, ob wir den Gemeinden ermöglichen sollen, eine Basis- oder eine Grundstufe zu führen (Anm. d. Red. Die Grundstufe verbindet den Kindergarten und die erste Primarklasse, die Basisstufe verbindet den Kindergarten und die erste und zweite Primarklasse zu einer Stufe.). In Oberägeri läuft seit Sommer 2008 der Schulversuch Grundstufe. Die Gemeinde ist zufrieden. In Zürich wiederum hat die Mehrheit der Stimmenden vor kurzem die flächendeckende Einführung der Grundstufe abgelehnt und sich für eine klare Unterscheidung von Kindergarten und Primarschule ausgesprochen.

zentral+: Als SVP-Politiker werden Sie wohl auch eher davon absehen wollen, in Zug die altersgemischte Eingangsstufe definitiv einzuführen.

Schleiss: Persönlich bin ich der Ansicht, dass das Leben aus Übergängen besteht. Diesen sollen markiert und gefeiert werden; nicht ausgebügelt oder eingeebnet. Alle Kulturen kennen solche Übergänge und entsprechende Übergangsrituale. Ich erinnere mich sehr gut an meinen ersten Schultag. Ich war kein Kindergärtler mehr, sondern ein richtiger Schüler. Das war mit Angst, Loslassen und dann wieder mit Stolz und Freude verbunden. Also persönlich bin ich für klare Übergänge und damit für den Kindergarten und die 1. Klasse. 

zentral+: Aber?

Schleiss: Die Einführung einer Basis- oder Grundstufe ist aber letztlich nicht mein Entscheid, sondern jener der Regierung und schliesslich des Kantonsrats. Tatsache ist, dass die Grundstufe den Kanton teurer zustehen kommt als der Kindergarten. Und Kinder, die die Grundstufe besuchen, zeigen bezüglich ihrer Leistungen keine Vorteile gegenüber jenen Gleichaltrigen, die den Kindergarten und danach die erste Primarklasse absolvieren. Zudem ist in den Schulen eine gewisse Reformmüdigkeit auszumachen. Und sollte sich der Kantonsrat trotzdem für die definitive Einführung der altersgemischten Eingangsstufe aussprechen, ist ein Referendum so sicher wie das Amen in der Kirche.

zentral+: Ein Diskussionspunkt in der Revision wird auch eine erst vor kurzem im Kantonsrat behandelte Motion sein. Es geht um die sprachliche Frühförderung von Kindern vor dem Eintritt in den Kindergarten.

Schleiss: Der Kanton Basel-Stadt kennt ein solches Modell. Kinder werden dort schon früh abgeklärt, ob ihr Deutsch gut genug ist, um dem Unterricht im Kindergarten zu folgen. Persönlich denke ich, dass schon ein Jahr Kindergarten reicht, um Deutsch zu lernen. Die meisten Kinder sind nach einem halben Jahr Eintauchen in eine neue Sprache fähig, dem Unterricht entsprechend ihren Fähigkeiten zu folgen. Wo die Kinder in einem Kindergarten aber mehrheitlich nicht mehr Deutsch sprechen, kann dieses Eintauchen natürlich auch nicht stattfinden. Dann gibt es ein Problem. Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu prüfen, ob Zug etwas Ähnliches wie Basel-Stadt aufbauen will. Dabei sind viele Fragen zu klären: Wer soll diese Frühförderung umsetzen? Ist es tatsächlich eine Aufgabe der Schule? Soll also quasi die Schulpflicht ausgeweitet werden? Was kostet es? Wer bezahlt?

zentral+: Apropos Kosten: Der Kanton Zug will sich ab dem nächsten Schuljahr eine eigene Pädagogische Hochschule leisten und rechnet mit einem jährlichen Gesamtaufwand von rund 14 Millionen Franken. Wieso muss Zug seine Lehrer selber ausbilden?

Schleiss: Die Lehrpersonen haben am meisten Einfluss auf die Unterrichtsqualität. Deshalb ist eine gute Ausbildung umso wichtiger.

zentral+: Aber eine gute Ausbildung bieten beispielsweise auch die Pädagogischen Hochschulen in Zürich und Luzern.

Schleiss: Selbstverständlich. Aber die Kantone haben in der Lehrerausbildung einen Spielraum, den auch Zug nutzen sollte. Ein Beispiel ist das Projekt Lehrplan 21, mit dem für alle deutsch- und mehrsprachigen Kantone ein gemeinsamer Lehrplan für die Volksschule ausgearbeitet wird. Es gibt Befürchtungen, dass damit den Lehrpersonen mehr und mehr Details ihres Unterrichts vorgeschrieben werden. Das halte ich für keine gute Idee. Ich habe lieber hervorragend ausgebildete Lehrer mit Spielraum für ihr Potential. Zudem ist es für die Zentralschweiz nur positiv, dass mit Schwyz und Luzern zusätzlich zwei andere Kantone eine Lehrerausbildung anbieten. Etwas Vielfalt ist bei der gegenwärtigen Zentralisierungstendenz im Schweizer Schulwesen wichtig für die Qualität.

zentral+: Wieso?

Schleiss: Weil Konkurrenz befruchtend ist.

zentral+: Eine letzte Frage: Was halten Sie eigentlich von der Aussage von Geschichtsprofessor Philipp Sarasin, die Maturitätsquote sei in der Schweiz dringend zu erhöhen?

Schleiss: Wenn ich direkt sein darf: Das ist natürlich absoluter Quatsch. Sein Code scheint einfach: «Aufmerksamkeit» oder «keine Aufmerksamkeit». Natürlich bekommt man mit solchen Aussagen schnell mediale Plattformen. Wahr werden die Aussagen dadurch aber nicht.

zentral+: Erklären Sie.

Schleiss: Die Schlussfolgerung «Mehr Maturanden = mehr Uniabschlüsse = mehr Erfolg» ist völlig verkürzt. Mehr Maturanden bedeuten nicht mehr gescheite Leute. In Zug liegt die gymnasiale Maturitätsquote bei rund 20 Prozent, und es ist ganz und gar nicht meine Absicht, diese zu erhöhen. Denn eine hohe Maturitätsquote geht jeweils mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit einher, wie in anderen europäischen Ländern nur all zu gut zu beobachten ist. Da ist mir unsere Bildungssystem mit dem Nebeneinander von Berufsbildung und Allgemeinbildung entschieden lieber. Unser Bildungssystem schafft nämlich genau das, was den Bildungssystemen in vielen europäischen Ländern versagt bleibt: Es schafft echte Chancen für alle. Unsere tiefe Jugendarbeitslosigkeit ist der beste Beweis dafür. Wenn Herr Professor Sarasin hier gerne mit dem Feuer spielt, dann bin ich liebend gern der Feuerwehrmann in diesem Spiel.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Adrian Huerlimann
    Adrian Huerlimann, 18.01.2013, 22:10 Uhr

    Mit «Quatsch» sind Philipp Sarasins Kritik kaum loszuwerden, Herr Schleiss! Lausige 15 % junger Männer mit Maturaabschluss werden den Zustrom von deutschen Fachkräften kaum bremsen helfen. Nun ist der vieldiskutierte Tagi-Artikel ja in voller Länge in Zug erschienen: im Buch «Das Gymnasium im Land der Berufslehre» (Veröffentlichungen der Kantonsschule Zug, Herausgeber Andreas Pfister), Ende Oktober. Lesen Sie nochmals nach. Adrian Hürlimann, Zug

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