Ehemaliger IT-Chef vor Luzerner Kantonsgericht

«Ich bin auf dem Markt ein Geächteter»

Auf dem grünen Sessel im Kantonsgerichtssaal nahm am Donnerstag Regierungsrat Marcel Schwerzmann Platz. (Bild: zvg)

Der ehemalige IT-Chef des Kantons Luzern musste sich am Donnerstag vor Gericht verantworten. Sein damaliger Vorgesetzter, Marcel Schwerzmann, sagte vor Gericht aus, er habe nichts von dessen Provisionsverträgen gewusst. Die Verhandlung warf indes kein gutes Licht auf die damalige Kontrolle der Verwaltung.

Viele Augen blickten gespannt auf den grün gepolsterten Sessel in der Mitte des Saales. Darauf Platz nahm am Donnerstagmorgen Regierungsrat Marcel Schwerzmann. Der langjährige Finanzdirektor war als Zeuge vorgeladen im Prozess gegen den ehemaligen Informatikchef des Kantons (zentralplus berichtete).

Der heute 51-Jährige soll 2010 und 2011 Provisionen in Höhe von über 300'000 Franken kassiert haben von Firmen, die Aufträge des Kantons erhielten. Das Kriminalgericht hat ihn 2017 wegen Sich-bestechen-Lassens verurteilt, was er nicht akzeptierte (zentralplus berichtete).

Die Staatsanwaltschaft spricht von einem Korruptionsfall. Die Verteidigung hingegen sieht in ihrem Mandanten den Sündenbock, der von den Verfehlungen der Verwaltung ablenken soll.

Schwerzmanns Aussagen lassen tief blicken

Knapp eine Stunde stand Regierungsrat Marcel Schwerzmann vor Gericht Red und Antwort. Dabei bestritt er, von den Verflechtungen des Ex-Kadermannes mit Auftragsnehmern der Dienststelle Informatik (DIIN) gewusst zu haben. Der Beschuldigte habe zwar offengelegt, dass er an einer Firma beteiligt und angestellt sei. «Dass diese Firma mit der DIIN in einem Vertragsverhältnis steht, war mir nicht bewusst.» 

Verteidiger und Staatsanwaltschaft waren sich nicht einig, wer in der Pflicht gestanden wäre, diese Informationen zu liefern beziehungsweise einzuholen – Beschuldigter oder Vorgesetzte. Klar ist aber: Hätte Schwerzmann von den «Provisions- und Tippgeber»-Verträgen gewusst, hätte man diese aufgelöst oder den Beschuldigten nicht zum Dienststellenleiter ernannt. «Es geht nicht, dass Angestellte Verträge haben mit Firmen, die mit dem Kanton Geschäfte machen», so der langjährige Finanzdirektor.

Informatik-Debakel
Der Beschuldigte war zunächst als externer Berater und Projektleiter für den Kanton tätig. 2009 übernahm er ad interim die Leitung der Dienststelle. 2010 schliesslich wurde er ordentlicher Leiter der kantonalen Dienststelle. Der mutmassliche Korruptionsfall kam dank der Aufsichts- und Kontrollkommission des Kantonsrats ans Licht. Die AKK deckte damals Ungereimtheiten im Beschaffungswesen der Dienststelle auf. Sie kam zum Schluss, dass in mehreren Fällen das Recht verletzt wurde und Schwerzmann die Tragweite des Ganzen unterschätzt habe. Der Regierungsrat reichte daraufhin Strafanzeige ein. Das Kriminalgericht hat den ehemaligen Kaderangestellten 2017 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von 10'800 Franken verurteilt. Er muss rund 227'000 Franken zurückzahlen und für knapp 30'000 Franken Verfahrenskosten aufkommen.

Doch wieso hat sich der Regierungsrat nicht über den neuen Dienstleiter und seine möglichen Interessenskonflikte erkundigt? Die Antwort des Regierungsrates darauf rückt die Arbeit des Gremiums in ein unschmeichelhaftes Licht. Denn offensichtlich interessierte das beim Kanton gar niemanden.

«Es gab in dieser Zeit kein Verfahren, mit dem man das systematisch abgefragt hätte», sagte Schwerzmann. Er konnte sich nicht erinnern, dass man den Beschuldigten explizit nach Interessensbindungen gefragt hätte. Eine erstaunliche Aussage. Inzwischen sei das anders, versicherte der Regierungsrat. «Heute haben wir ein solches Formular.»

Eine Bombe platzen liess Schwerzmann in seiner mit Spannung erwarteten Einvernahme indes nicht, wesentlich neue Erkenntnisse suchte man vergeblich. Sinnbildlich dafür steht vielleicht die folgende Szene: Die Verteidigung behauptete, der Ex-Kadermann habe dem Regierungsrat bei seinem Umzug geholfen.

In der Version Schwerzmann hingegen ging es lediglich um einen einzelnen Schrank, den er in einem Raum im Haus der Dienstelle Informatik zwischenlagern wollte. Weil er keinen Schlüssel zum Gebäude hatte, fragte er den Beschuldigten, ob er ihm den Raum öffnen könne. Dabei habe er ihm netterweise gleich beim Tragen geholfen.

Streitpunkt: Gab es einen Schaden?

Der Beschuldigte seinerseits betonte in seiner Einvernahme, dass er von den Vorgesetzten beim Kanton die Erlaubnis bekommen habe, seine bestehenden Verträge zu behalten. «Ich habe nie einen neuen Vertrag erhalten und niemand verlangte, dass ich etwas aufgeben muss.» Auf die Frage des Richters, ob er das rückblickend als heikel erachte, antwortete er: «Heute würde ich mir das von Herrn Schwerzmann schriftlich bestätigen lassen, denn Sie sehen ja, wo ich heute sitze.»

«Es hat nie eine Schädigungsabsicht gegeben, ich habe dem Kanton viel Gutes getan.»

Ehemaliger Leiter Dienststelle Informatik

Er zeigte vor Gericht keine Reue über sein Verhalten, vielmehr war er sich gar keiner Schuld bewusst. «Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas Unrechtes getan habe. Es hat nie eine Schädigungsabsicht gegeben und ich habe dem Kanton viel Gutes getan mit meinem Verhalten», sagte der Informatiker mit leicht englischem Akzent.

Seine Verteidigung zeichnete das Bild eines Sachverständigen, der in einem Amt, in dem vieles falsch läuft, aufräumte. Die Rede war von hohen Angestellten, die lukrative Aufträge für ihre Fasnachtsfreunde bereithielten, von einem Lager aus Geräten in einem Keller, die nur bestellt wurden, um das Budget auszureizen, ja von sehr viel achtlos ausgegebenem Geld.

Ein scheinbares Chaos, in dem sich der Beschuldigte bereichern wollte? Dagegen wehrte er sich vehement. «Es wird immer dargestellt, ich sei zum Kanton gegangen, um mich zu bereichern. Aber ich verdiente vorher viermal mehr», sagte der Beschuldigte. Er betonte, dass es sich bei den Provisionen um Einnahmen handelte, die er sich aufgrund seiner Tätigkeit vor der Anstellung beim Kanton erarbeitete – und die er auch erhalten hätte, wenn er nicht Dienststellenleiter geworden wäre.

Oder wie es sein Anwalt formulierte: «Es hat für seine Provisionen keinen Unterschied gemacht, ob er Tag und Nacht im Büro sass oder unter einer Palme in der Karibik.» Als «Tippgeber» vermittelte er bestimmten IT-Firmen, welche Behörden oder Firmen Bedarf an einem Produkt haben: Wenn es danach zu einem Vertragsabschluss kam, flossen über mehrere Jahre Provisionen zurück.

Seine Verteidiger monierten, dem Kanton sei durch sein Verhalten kein Schaden entstanden. Und ein Interessenskonflikt alleine reiche für eine strafrechtliche Verurteilung nicht aus.

Kontaktfreudiger Typ

Insgesamt wurde der Beschuldigte von allen Seiten, auch von Schwerzmann, als guter Projektleiter und kontaktfreudiger Mensch mit einem grossen Netzwerk charakterisiert. Er selber bezeichnete sich als «quirligen» Typ – und in der Tat gab er im Gerichtssaal ausgiebig Auskunft und unterstrich seine Äusserungen mit regem Gestikulieren.

«Keine Bürgerin wird in eine solche Behörde Vertrauen haben.»

Staatsanwalt

Doch der Staatsanwalt liess sich davon nicht beeindrucken: «Auch ein gmögiger Typ schliesst ein strafbares Verhalten nicht aus.» Er kritisierte, dass Korruption teilweise immer noch als Kavaliersdelikt betrachtet werde. Der Kanton Luzern hat in seinen Augen sehr wohl einen Schaden erlitten. «Keine Bürgerin wird in eine solche Behörde Vertrauen haben, die sich neben ihrem Lohn auch noch bereichert und die hohle Hand macht.» Der Staatsanwalt forderte eine Haftstrafe von drei Jahren, ein Jahr davon unbedingt.

Die Verteidigung ihrerseits beantragte einen Freispruch sowie eine angemessene Genugtuung und Schadenersatz für den Ex-Kadermann. Denn der Beschuldigte sei einer Vorverurteilung ausgesetzt gewesen. In seinem emotionalen Schlusswort kritisierte der Mann den Luzerner Regierungsrat, der ihn 2013 beschuldigt habe, einen Millionenbetrag unterschlagen zu haben, was ihm enorm geschadet habe.

Dass er seit inzwischen sechs Jahren in dieses Strafverfahren involviert sei, bereitet ihm ohnehin Schwierigkeiten. Trotz 20 Bewerbungen finde er keine Anstellung, sagte der Informatiker. «Früher war ich gesucht, heute bin ich ein Leprakranker, ein auf dem Markt Geächteter, schweizweit bekannt als Korrupter.»

Das Kantonsgericht wird sein Urteil zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eröffnen.

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