Zwangsmassnahmen im Justizvollzug

«Hungern ist das einzige Druckmittel»

Eine Gefängniszelle im Grosshof Kriens.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Darf man einen Häftling verhungern lassen, wenn er jegliche Nahrung verweigert, oder soll man ihn zwangsernähren? Und wer bezahlt einem Gefangenen die persönlichen Auslagen – Kanton oder Gemeinde? Das Luzerner Justizvollzugsgesetz löst heikle ethische Fragen aus. Und wieder einmal geht es auch um Geld.

Mit 113 zu 0 Stimmen wurde im Luzerner Kantonsrat dem Entwurf zum Gesetz über den Justizvollzug in erster Lesung zugestimmt. Allerdings sind einige heikle Punkte auf später verschoben worden: Die Vorlage geht zur Vorbereitung der zweiten Lesung an die zuständige Kommission zurück.

Das Justizvollzugsgesetz, das aus dem Jahre 1957 stammt, soll umfassend revidiert werden. Nebst Anpassungen im Bundesrecht werden vor allem die Rechte und Pflichten von Gefangenen verbindlicher geregelt. Viel Neues bringt das Gesetz nicht, es fasst vielmehr zusammen, was bisher in Verordnungen oder Hausordnungen festgelegt war. Vor allem wird genauer definiert, ob und wie allfällige Zwangsmassnahmen angewendet werden sollen.

Wille des Häftlings respektieren

Knackpunkt ist vor allem die Thematik des Hungerstreiks: Diese ist im aktuellen Gesetz nicht geregelt. In einer Patientenverfügung kann ein Häftling verlangen, dass sein Wille respektiert wird – die zuständigen Behörden müssen ihn also hungern lassen, im Extremfall bis zum Tod. Ohne Verfügung kann eine Zwangsernährung angeordnet werden.

Auch bei der Zwangsmedikation gibt es neu klare Regeln. Verweigert ein Häftling die vom Psychiater als dringend nötig befundene Medikamenteneinnahme, können Beruhigungsmedikamente zwangsweise verabreicht werden – wenn diese Personen mit ihrem Verhalten sich oder andere gefährden.

Erwartungsgemäss gaben die Zwangsmassnahmen am meisten zu reden. «Bei Zwangsmassnahmen ist es wichtig, dass die rechtliche Grundlage vorhanden ist», sagt Johanna Dalla Bona-Koch (FDP, Kriens). «Aus ethischer Sicht ist es bei diesem Gesetz die Zwangsernährung, die am meisten Fragen aufwirft.» Einerseits sei es ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, andererseits habe der Staat die Pflicht, Leben zu schützen. «Das Recht auf Selbstbestimmung geht vor, darum unterstützen wir, dass eine Patientenverfügung zu respektieren ist», so Dalla Bona-Koch. Voraussetzung sei allerdings, dass die Person urteilsfähig sei.

Heikle ethische Fragen

Dass erst auf Antrag eines Arztes eine Zwangernährung angeordnet werden kann, findet Martin Krummenacher (SP, Willisau) richtig. «Das soll nur dann erfolgen, wenn alle anderen Mittel versagen.»

Kritik am neuen Gesetz gab es von Seiten der Grünen. Hans Stutz (Luzern) reichte gleich drei Anträge ein. Er wies darauf hin, dass Hungerstreikende eigentlich leben wollten. «Hungern ist aber das einzige Druckmittel, über das ein Gefangener verfügt.» Deshalb findet er es heikel, im Gesetz festzuschreiben, dass der Wille eines Inhaftierten respektiert werden müsse, wenn er in einer Verfügung ausdrückt, dass er eine Zwangsernährung ablehne. Stutz fordert deshalb, dass die Behörde auf Antrag eines Arztes eine Zwangsernährung anordnen könne.

«Zwangsernährung soll nur dann erfolgen, wenn alle anderen Mittel versagen.»

Martin Krummenacher, SP

Charly Freitag (FDP, Gunzwil), Präsident der vorberatenden Kommission Justiz und Sicherheit, hatte Verständnis für die Bedenken und zeigte sich bereit, «diese Fragen zur Beratung für die zweite Lesung zurückzunehmen». Dieses Vorgehen unterstützte auch Regierungsrätin Yvonne Schärli. Sie wies darauf hin, dass dies ein heikler Punkt des Gesetzes sei. «Das müssen wir nochmals genau anschauen.»

Mehrbelastung für Gemeinden

Abgelehnt wurde der Antrag von Hans Stutz, der verlangte, dass bei Beschwerden Häftlinge gegen Disziplinaverfügungen eine aufschiebende Wirkung erhalten. «Wir müssen die Führbarkeit einer solchen Institution garantieren können. Deshalb ist es wichtig, dass man disziplinarische Massnahmen umsetzen kann, wenn es sie braucht», so Yvonne Schärli.

Diskutiert wurde auch der Antrag von Jim Wolanin (FDP, Neuenkirch), der verlangt, dass persönliche Auslagen eines Häftlings statt von der Gemeinde durch den Kanton zu tragen seien. «Das bedeutet eine enorme und unfaire Mehrbelastung der Gemeinden», sagte Johanna Dalla Bona-Koch (FDP, Kriens). Auch Charly Freitag räumte ein, dass dies eine wichtige Frage sei, die man nochmals zurück in die Kommission nehmen wolle, um sie vertiefter in der zweiten Beratung zu diskutieren.

 

 

 

 

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon