Produktion und Arbeitsalltag bei Landis & Gyr

Hundert Jahre Industrie in 350 Fotos gepresst

Ulrich Straub vor einem historischen Foto der Shedhalle von Landis & Gyr an der Hofstrasse 15. (Bild: mbe.)

Viele Schicksale von Zugerinnen und Zugern sind eng mit dem Unternehmen Landis & Gyr verbunden, das 1987 verkauft wurde. Am Gründungsort der Firma in Zug ist jetzt eine Ausstellung zur Firmengeschichte eröffnet worden. Die Macher betonen, dass es keine Glorifizierungsschau sei, sondern um die Menschen gehe.

Landis & Gyr hatte schon vor hundert Jahren eine eigene PR- respektive Fotoabteilung. Die angestellten Fotografen dokumentierten mit Fotos und Werkfilmen so ziemlich alles, was im späteren Weltkonzern geschah. In hundert Jahren kamen so ganze 300’000 Bilder zusammen.
Dank den Nachfahren von Patron Karl Heinrich Gyr (1879-1946), die privat einen Fonds einrichteten, sind die Fotos erhalten geblieben. Sie lagern heute sicher im Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich.

«Mit der Übernahme des Firmenarchivs im Jahr 2010 wurden nicht nur 241 Laufmeter historisch wertvolle Akten gesichert, sondern ebenso das umfassende Fotoarchiv übernommen, das die Entwicklung der Firma und des Wirtschaftsstandortes Zug über den Zeitraum von 1896 bis 1996 bildlich dokumentiert», sagt Daniel Nerlich vom Archiv für Zeitgeschichte. Rund 4500 Fotos habe die ETH inzwischen digitalisiert und erschlossen.

Ein Prozent bisher digitalisiert

Das Archiv für Zeitgeschichte hat jetzt zusammen mit dem Verein Industriepfad Lorze eine Ausstellung konzipiert, in der rund 350 ausgewählte Fotos zu sehen sind (siehe Fotogalerie). Sie heisst «Zählen, Messen, Steuern, Regeln». Die Ausstellung findet sinnigerweise am Gründungsort des Unternehmens, in der Shedhalle an der Hofstrasse 15 in Zug statt.

«Es ist nicht einfach eine Schau, wie toll Landis & Gyr war.»
Daniel Nerlich, Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich

«Es ist nicht einfach eine Schau, wie toll Landis & Gyr war», sagt Daniel Nerlich, «es geht um die Stadt und den Kanton Zug, die Menschen und ihre Produkte.» Neben Bildern und Filmen aus den Fabriken werden auch soziale Aspekte thematisiert: Unfallverhütung, Firmenjubiläen, die Integration der Saisonniers, Freizeitaktivitäten für die Angestellten. Ein Thema sind auch die Reportagen für die Hauszeitschrift, Ausstellungen und Messen sowie die Architektur der Gebäude von Landis & Gyr in Zug. «Die Bilder der Werkfotografen geben ein Zeugnis der Repräsentation des Unternehmens gegen innen und aussen», erklärt Nerlich.

Ausstellung ab Sonntag offen

zentral+ durfte im Voraus einen Blick in die Ausstellung werfen, die am Freitagabend Vernissage feierte und ab Sonntag öffentlich zugänglich ist. So steht zum Beispiel einer der riesigen Original-Fotoapparate von anno dazumal in der Shedhalle. Ebenso dokumentiert wird die Entwicklung der Elektrizitäts-Zähler von den Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Und man kann sich so genannte Werk-Filme aus verschiedenen Epochen anschauen. Manch ein Zuger wird vielleicht den Vater, die Mutter, die Grosseltern, Verwandte oder Bekannte verewigt finden.

Die Ausstellung dauert bis 4. Dezember. Gemäss Daniel Nerlich laufen aber Verhandlungen, dass sie später an anderen Orten gezeigt werden kann. Die Firmengeschichte des Zuger Weltkonzerns sei auch bereits Thema verschiedener Masterarbeiten, erklärt der Wissenschaftler.

«Wir zeigen ein Stück schweizerischer Industriekultur.»
Ulrich Straub, Präsident Verein Industriepfad Lorze

Interview mit Gyr-Enkel Ulrich Straub

Ulrich Straub ist Präsident des Vereins Industriepfad Lorze. Der Historiker, Unternehmer und ehemalige Zuger Stadtrat ist zudem mütterlicherseits ein Enkel von Firmenpatron Gyr. Er hat das Firmenarchiv mit seinem Studienkollegen Daniel Nerlich zusammen aufgebaut und hat auch bei der Konzeption der Fotoausstellung in der Shedhalle mitgewirkt.

zentral+: Herr Straub, warum sollten Zuger Ihrer Meinung nach die Ausstellung «Zählen, Messen, Steuern, Regeln» besuchen?

Straub: Die Geschichte von Landis & Gyr ist ein wesentlicher Bestandteil der Zuger Wirtschaftsgeschichte. Die Dynamik, welche diese Firma an den Tag gelegt hat, ist ein Beispiel für die Industrialisierung in der Schweiz.

zentral+: Ist die Ausstellung ein Rückblick auf die goldenen Zeiten von Landis & Gyr?

Straub: Nein, was in der Ausstellung gezeigt wird, ist ein Stück schweizerischer Industriekultur. Aber auch ein Stück regionaler Kultur. Es ist ein Wiederfinden und Wiedersehen einer Zeit, die doch fast hundert Jahre gedauert hat.

 

zentral+: Gibt es eine Verbindung zur heutigen Firma Landis + Gyr?

Straub: Nicht direkt. Die Nachfolgefirma Landis + Gyr mit dem Pluszeichen im Namen ist wesentlich kleiner. Sie ist aber ebenso weltweit tätig, und zwar im Geschäft mit computergesteuerten Zähl- und Messgeräten. Es ist ebenfalls eine Technologiefirma, die aus der früheren L&G heraus entstanden sind. Neben vielen anderen Firmen.

zentral+: Wie viele ehemalige Mitarbeiter der L&G gibt es noch in Zug, die sich für die Ausstellung interessieren könnten?

Straub: Die ehemaligen Angestellten sind in Veteranenvereinigungen organisiert. Es leben noch sehr viele von ihnen. Tausende von Personen waren in Zug mit dem Unternehmen verbunden.

Rahmenprogramm und Publikation

Rund um die Ausstellung gibt es ein Rahmenprogramm mit Referaten. Zur Ausstellung haben das Archiv für Zeitgeschichte und der Verein Industriepfad Lorze ausserdem eine 100-seitige Begleitpublikation mit einer Auswahl der gezeigten Bilder und erläuternden Texten herausgegeben, die an der Ausstellung und im Buchhandel erhältlich ist. Detailliertes Programm auf www.industriebild.ethz.ch

zentral+: Sie sind durch Ihre Mutter mit dem 1946 verstorbenen Firmenpatron familiär verbunden. Haben Sie in der Ausstellung etwas Neues entdeckt, das Sie an Ihre Familie erinnert?

Straub: Ich kannte vieles schon, auch aus den Schilderungen meiner früh verstorbenen Eltern. Meine Mutter Ruth war ja die älteste Tochter von Karl Heinrich Gyr. Ich bin Historiker und Ökonom. Nach dem Verkauf der Firma an Stefan Schmidheiny 1987 habe ich mitgeholfen, das Firmenarchiv aufzubauen. Wir haben das über mehrere Jahre hinweg organisiert, ich habe damals eigens für diesen Zweck eine Firma gegründet.

zentral+: Warum hat Landis & Gyr schon früh eine eigene Fotoabteilung gehabt und ein so riesiges Archiv angelegt? Industriefirmen sind doch sonst eher zurückhaltend und befürchten Betriebsspionage.

Straub: Herr Gyr war ein sehr moderner Mensch, überzeugt von der technischen Machbarkeit von Dingen, die man im 19. Jahrhundert noch anders beurteilte. Aufgrund dieser Weltoffenheit und seiner Berufserfahrung in England hat er von Anfang an darauf gedrückt, dass die Produktionsprozesse fotografiert werden. Aber auch die Arbeiterwohlfahrt wurde bildlich festgehalten. Ausserdem hatte er einen Sinn für die räumliche Darstellung, alle Gebäude, die in Zug gebaut wurden, sind ausführlich dokumentiert. Landis & Gyr hatte auch eine Hauszeitschrift, in der man die Fotos publiziert hat. Die Fotos waren also nicht nur eine Produkteschau oder Innensicht, sondern auch eine Sicht für die Aussenwelt. Das ist schon etwas Spezielles. Die Wissenschaft hat bestätigt, dass nur wenige Firmen in der Schweiz, eine weitere war ABB, damals Brown Boveri, das ebenfalls so handhabten. Ansonsten haben sich Unternehmen eher bedeckt gehalten, da haben Sie recht.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon