Andrea Balmer schneidert die Trachten fürs ESAF

Hünenbergerin kleidet die Ehrendamen ein

Andrea Balmer aus Hünenberg schneidert Trachten.

(Bild: Renate Wernli)

Am Anfang stand die Faszination für das Schneiderhandwerk. Zu den Trachten und zum Schwingen kam Andrea Balmer allerdings durch Zufall. Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest von Zug findet ihre Arbeit nun eine vorläufige Krönung.

Wie ein Wirbelwind durchquert Andrea Balmer den Verkaufsraum ihres Schneiderateliers. Man merkt, es fehlt ihr an Zeit. Der Raum riecht nach frischer Farbe. Am 1. Januar hat sie das Geschäft von ihrer Mutter Irma Grüter übernommen, die sie weiterhin unterstützt. Anfang März war der Umbau fertig, Ende Monat folgte die Atelier-Eröffnung: Aus «Couture Grüter» wurde «Atelier Balmer». Ausserdem liegt zum Zeitpunkt unseres Treffens die Zuger Trachtenbörse, die sie als Präsidentin der Kantonalen Trachtenkommission organisierte, erst wenige Tage zurück.

Als wäre das nicht genug Aufregung, findet in diesem Jahr auch noch das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Zug statt. Die Hünenbergerin darf die zwölf Ehrendamen einkleiden. In Zug werden diese in der kantonalen Festtagstracht ihren Auftritt haben. Klar, dass sie durch diesen Auftrag selber etwas an Berühmtheit erlangte. Man schneidert schliesslich nicht alle Tage eine Tracht fürs ESAF.

Rock, Latz, Schürze

Sobald die erste Frage zur Zuger Festtagstracht gestellt ist, sprudelt es nur so aus Andrea Balmer heraus. Sie beginnt beim schwarzen Rock aus Wollkaschmir, der mit einem Einsatz aus drei Streifen in Blau-Gelb-Blau auf Hüfthöhe versehen ist. Der Rockstoff wird in Basel plissiert, also durch Pressen mit Hitze gefältelt. Genau genommen sind es Stehplisseefalten. Diese sind gerade, haben einen Zentimeter Tiefe und sehen aus wie bei einer Ziehharmonika der Balg. Damit genügend Material für das Plissee vorhanden ist, benötigt man dreimal die endgültige Weite.

«Wenn der Rock zerknittert ist kann man ihn bei Nebel nach draussen hängen.»

Andrea Balmer, Trachtenschneiderin

Doch zuvor muss die Kundin zur ersten Anprobe erscheinen: «Wir brauchen die Länge der Kundin, da der Saum mit plissiert wird», erklärt die Trachtenschneiderin. Bei der Rocklänge gilt: 30 Zentimeter ab Boden. Unter dem Trachtenrock schauen fünf Zentimeter rote Samtborte hervor. Sie bildet den Abschluss des Unterrocks aus schwarzem Futterstoff. «Auf den sitzt man übrigens. Das Plissee kommt über die Stuhllehne, damit es nicht plattgesessen wird.»

Weshalb man Röcke in den Nebel hängt

Falls die Falten doch einmal nicht mehr so schön sind, gibt es einen Trick: «Alle zehn Zentimeter einen Faden ein- und das Plissee zusammenziehen und dann bei Nebel nach draussen hängen oder mit dem Bügeleisen dämpfen.» Auch wenn man die Tracht auf Reisen mitnimmt, empfehle sich diese Art des Fixierens der Falten.

Oberhalb des Rocks sitzt der Latz. Er ist aus schwarzem Seidensatin und von Hand bestickt. Die Kundin kann aus zehn gängigen Sticksujets auswählen. Diese bestehen meist aus Blumen, Ären oder Schmetterlingen. Sehr typisch ist eine Kombination von Mohn mit Ären. «Es gibt nicht mehr viele Leute, die einen solchen Latz von Hand besticken können», erklärt Andrea Balmer.

Kornblumen und Vergissmeinnicht

Für die ESAF-Trachten konnte sie zwei Stickerinnen verpflichten. «Es mussten zwei sein, die einen ähnlichen Stickstil haben. Denn jede Stickerin besitzt eine ganz eigene Handschrift, und wir wollten möglichst identische Trachten schaffen.» Ausserdem muss die Stickerei farblich zur Schürze aus Seidendamast passen. Diese ist hellblau, rosa oder rot. Die Ehrendamen tragen allesamt eine hellblaue Schürze, deshalb dominieren Kornblumen und Vergissmeinnicht den Latz.

Das Einreihen der Schürze ist übrigens Handarbeit. Mit einer Sublimierkreide – die geht unter Wärmeeinwirkung wieder weg – werden am oberen Schürzenrand im Abstand von einem Zentimeter sieben Striche eingezeichnet. Dann wird den Linien entlang und in regelmässigen Stichen die Seide gefasst. Am Ende zieht man den Stoff in gleichmässige Falten auf die gewünschte Breite. Mit angenähten Moirébändern in gleicher Farbe wird die Schürze gebunden.

Trachtenschneiderin – seltener Beruf

Nicht nur die Stickerinnen sind rar geworden im Kanton Zug, sondern auch die Trachtenschneiderinnen. Vor 13 Jahren kamen die ehemalige Trachtenschneiderin und die damalige Präsidentin der Trachtenkommission auf der Suche nach Nachwuchs auf Andrea Balmer zu. Bis dahin hatte die damals 25-jährige Frau nichts mit Trachten am Hut und vom Trachtenwesen keine Ahnung. Sie faszinierte vor allem das Schneiderhandwerk. Da passten die Trachten irgendwie dazu. «Bei einer Tracht muss die Passform einfach sitzen. Und mir gefällt, dass man noch vieles von Hand nähen kann», erklärt Balmer mit einem Funkeln in den blauen Augen.

Sie nähte sich in der Ausbildung zur Trachtenschneiderin eine Zuger Ausgangstracht: «Als Schneiderin kann man nähen, aber die Regeln der Tracht muss man lernen.» Unterdessen hat sie alle Schnittmuster der verschiedenen Zuger Trachten – und nach einer zusätzlichen Weiterbildung auch noch diejenigen der Luzerner – mit all ihren Spezialitäten und Eigenheiten fein säuberlich in Ordner abgelegt. So kann sie jederzeit nachschlagen, sollte sie etwas nicht mehr genau wissen.

Andrea Balmer schneidert die Trachten für die Ehrendamen am ESAF.
Andrea Balmer schneidert die Trachten für die Ehrendamen am ESAF.

(Bild: Renate Wernli)

Neben ihr gibt es im Kanton noch eine zweite Trachtenschneiderin, Alice Häseli. Für diese war der Auftrag mit 12 Trachten zu umfangreich, da sie keine Angestellten hat. «Ich musste mir auch zuerst überlegen, ob ich das schaffe», meint Balmer. Die Alternativen wären gewesen, die Trachten zu mieten oder den Auftrag ausserkantonal oder ins Ausland zu vergeben. «Aber die gemieteten Trachten wären nicht identisch gewesen und somit keine Einheit. Bei der Variante zwei hätte auch jemand die Details im Auge behalten müssen. Und irgendwie geht das doch gar nicht, die Trachtenproduktion für so einen Anlass auswärts zu vergeben!»

Mieder, Bluse und Zubehör

Das Mieder ist sehr wertvoll. Es besteht aus demselben roten Samt wie die Borte des Unterrocks. Auf dem Rücken ist ein grünes Stück Stoff aufgenäht, das keinen offiziellen Namen besitzt und einfach «Teppich» genannt wird. Niemand weiss genau weshalb: «Man nimmt an, es symbolisiere ein grünes Feld, also die Natur und das Land. Denn früher trugen in der Regel nur die Städterinnen die Festtagstracht», kommt die Erklärung von der Fachfrau.

Und das Mieder hat seitlich Einsätze aus Goldbrokatstoff. Dieser wird aus roten und gelben Fäden gewoben, die mit einem sehr feinen Golddraht umwickelt sind. Ein Meter davon kostet 600 Franken. Das Mieder muss am häufigsten ersetzt werden; manchmal oxidiert der Goldstoff: «Beim Verräumen muss man darauf achten, dass das Mieder nie mit dem geschwefelten Strohhut zusammen verpackt wird, sonst läuft das Metall an», erklärt Andrea Balmer. Auch verliert der Samt gerne seinen Flor. Im Gegensatz zum Rest der Tracht, kann das Mieder nicht gut ausgelassen werden. Üblicherweise hat man Stoffreserven in den Nähten und hat bis zu zwei Kleidergrössen Spielraum. Beim Mieder stimmen jedoch schnell einmal die Proportionen nicht mehr.

Stärke für die Ärmel

Die Trachtenbluse ist aus Leinenstoff. Zum Stärken nimmt man Silberglanzstärke, die man selber anrührt. Man kocht dazu Wasser auf, gibt das Stärkepulver dazu und kocht das Ganze noch einmal auf. Mit der Hälfte dieser Flüssigkeit stärkt man die Ärmel, die wirklich steif und faltenfrei sein müssen. Die andere Hälfte verdünnt man und benutzt sie für den Blusenkörper. Den Abschluss der Ballonärmel macht ein Spitzenbesatz mit Samtband. In der Regel ist Letzteres mit einer Silberhafte geschmückt. «Da für die ESAF-Trachten keine identischen ausgeliehen werden konnten, haben wir uns für Samtmaschen anstatt der Haften entschieden», ergänzt die Schneiderin.

Ebenfalls zur Bluse gehört der Tüllkragen. Mit einem Gerät, das aussieht wie eine Lockenzange, werden Röhren geformt. Das Material wird dazu mit Stärkewasser benetzt, durch die Hitze und den Druck entstehen die Röhren. Andrea Balmer hat das «Röhrlen» auch schon selber gemacht, gab es aber im Fall der ESAF-Trachten an Alice Häseli und Sonja Limacher ab «Fürs Röhrlen benötigt eine geübte Person zirka ein bis zwei Stunden. Ich hätte wahrscheinlich drei», meint sie. Da man einen solchen Kragen natürlich nicht so einfach waschen kann, ist beim Halsausschnitt ein maschinell gefertigter Stickkragen angenäht. Dieser lässt sich zum Reinigen einfach heraustrennen.

Ehrendamen aussuchen und betreuen

Andrea Balmers Engagement für das ESAF beschränkt sich nicht nur aufs Schneidern der Trachten. Sie half auch mit, die Ehrendamen auszusuchen. «Das Findungskomitee bestand zuerst nur aus Männern. Irgendwann war man der Meinung, eine Frau würde auch nicht schaden», meint Balmer schmunzelnd. In Kanton Zug gibt es vier Schwingklubs. Jeder von ihnen darf drei Ehrendamen stellen. Es sind alles Frauen, die zum Schwingsport eine Verbindung haben: Töchter, Schwestern oder Freundinnen. Ausserdem wird ein gewisses Mass an Allgemein- und Schwingwissen vorausgesetzt. «Es war wie bei einem Casting für die Miss-Schweiz-Wahlen.»

(Bild: Renate Wernli)

Ausserdem müssen sich die jungen Frauen für fünf Jahre verpflichten. Zwei vor dem Anlass und die drei darauffolgenden. In dieser Zeit dürfen sie weder heiraten noch schwanger werden. «Kleider- und Körpergrösse dürfen ruhig etwas unterschiedlich sein. Aber natürlich schauen wir, dass nicht gerade die Grösste und die Kleinste zusammen auftreten», erklärt Andrea Balmer.

Die ersten Auftritte haben die Ehrendamen bereits hinter sich. Die Munitaufe im Herbst 2017 war beispielsweise so einer. Die jungen Frauen können sich nicht selber einkleiden. Es muss immer jemand helfen. Am ESAF selber wird ein ganzes Team dafür im Einsatz stehen: Ankleiderinnen, Coiffeusen und Kosmetikerin. «Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal so in der Schwingszene verkehren würde», ist Andrea Balmers Antwort auf die Frage, wie eigentlich ihr Bezug zum Schwingen sei. Wie mit den Trachten, die zum Lebensinhalt geworden sind, ist sie einfach irgendwie in den Schwingsport hineingerutscht. Ihrem Enthusiasmus tut dieser Zufall sicherlich keinen Abbruch.

Eine Tracht, zwei Monate Arbeit
Im Kanton Zug gibt es fünf Frauentrachten: Arbeits- oder Werktagstracht, Ausgangs-, Sonntags-, Festtags- und Patriziertracht. Alle Regionen haben dieselbe Tracht, mit Ausnahme der Gemeinde Walchwil. Für die Männer gibt es drei verschiedene Trachten, für die Kinder je eine für Mädchen und eine für Buben.

Eine Zuger Festtagstracht kostet ohne Schmuck zirka 6000 Franken. Zwei Drittel entfallen auf aterialkosten und ein Drittel auf die Arbeit. Mit Schmuck kann der Preis bis auf 12 000 Franken ansteigen. Für die ESAF-Trachten wird der Schmuck bei Privatpersonen ausgeliehen. Da der Schmuck sehr wertvoll ist, ist er versichert und wird beim ESAF aufbewahrt.

Für eine Zuger Festtagstracht benötigt eine Schneiderin zirka 50 bis 60 Stunden Arbeit. Zusätzlich kommen Zeit für das Sticken, das Herstellen der filochierten (geknüpften) fingerfreien Handschuhe, das Plissieren und andere Spezialaufgaben dazu. Alles in allem etwa zwei Monate Produktionszeit pro Stück. Zubehör zur Zuger Festtagstracht:

• Socken oder Strumpfhose

• Schuhe

• Hut (oder selten eine Haube) mit einem Kranz aus Blumen. Er ist aus geschwefeltem Stroh. Bei einem Umzug trägt man ihn auf dem Kopf, ansonsten hängt er am Rücken. Die Ehrendamen des ESAF tragen keinen Hut.

• Schmuck: Göllerketten, Halsschmuck (Kreuz aus Silberfiligran geschwärzt und mit rotem Stein oder Dehli, das ist ein Anhänger mit Hinterglasmalereien), Silberfiligran-Haften an Mieder und Ärmeln, Ohrringe sind nicht zwingend. Bei den ESAF-Trachten wurde darauf geachtet, dass die ausgeliehenen Schmuckstücke ähnlich sind. Als Halsschmuck dienen deshalb Kreuze statt Dehli.

• Beuteltasche aus Wollkaschmir oder eine handbestickte Seidentasche mit Bügel.

Das Trachtenstoff-Lager gehört der Kantonalen Trachtenvereinigung. Meist muss Stoff speziell gewoben werden. Das geht meist nur in Mengen für mindestens zehn Trachten. Oder vom Nestelband, auch Apfelband genannt, fürs Schnüren des Mieders müssten 500 Meter bestellt werden. Pro Tracht werden jedoch nur gerade einmal zweieinhalb Meter benötigt.

Dieser Artikel stammt aus TYPISCH, das Magazin für Tradition. www.typischmagazin.ch

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