Trend verstärkt durch Corona

Homeschooling: Luzern ist offen, Zug bleibt streng

Das Interesse, Kinder zuhause zu unterrichten, ist in den letzten Jahren gestiegen. Nicht nur wegen Corona. (Bild: Unsplash/ Jessica Lewis)

Immer mehr Zugerinnen und Luzerner finden Gefallen an der Idee, Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken, sondern zu Hause zu unterrichten. Während der Kanton Luzern dem Homeschooling offen gegenübersteht, hält der Kanton Zug nichts davon. Insbesondere ein Aspekt des Privatunterrichts stösst der Regierung sauer auf.

Sein Kind in einem Schulzimmer mit 20 anderen Kindern Deutsch und Mathe büffeln lassen, während die Welt in einer Pandemie steckt? Das scheint vielen Zuger und Luzerner Eltern nicht ganz geheuer zu sein. In der Zentralschweiz zeichnet sich ein Trend ab, dass Erziehungsberechtigte ihre Söhne und Töchter vermehrt privat unterrichten möchten.

Der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss sagt: «Anfragen gab es tatsächlich mehr als üblich. Allerdings wurden anschliessend keine Gesuche um Privatschulung eingereicht.» Da die Beratungsgespräche nicht statistisch erfasst werden, könne die Nachfrage nur geschätzt werden. «Nach Einschätzung der Schulaufsicht waren es etwa 15 bis 18 Beratungen seit März 2020.»

Eine Tendenz in diese Richtung hat man auch in Luzern gespürt. Im Schuljahr 2019/20 besuchten 71 Schüler Privatunterricht, im darauffolgenden Schuljahr waren es 19 Lernende mehr, also 90. Aktuell fürs Schuljahr 2021/22 wurden 105 Bewilligungen vergeben. Fünf weitere sind pendent und werden voraussichtlich bewilligt, wie zentralplus beim Bildungsdepartement erfährt.

Ein Trend, der seit Jahren anhält

Aldo Magno, Leiter der Luzerner Dienststelle Volksschulbildung (DVS), erklärt: «Vereinzelt können auch die Erfahrungen während der Lockdownphase im vergangenen Jahr Eltern in der Absicht bestätigt haben, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Dennoch lassen die erhobenen Zahlen diesen Schluss nicht eindeutig zu.» Dies, da auch in den letzten zwei Jahren ein ähnlicher Anstieg erkennbar gewesen sei, ebenso wie in den Jahren zuvor.

Zu den Gründen für die Anfragen in Zug sagt Stephan Schleiss: «Mehrere Erziehungsberechtigte waren mit den Corona-Massnahmen in den öffentlichen Schulen nicht einverstanden und wollten deshalb ihre Kinder selber beschulen.» Doch auch andere Argumente seien genannt worden: «Familien, die aus dem angelsächsischen Raum, aber auch aus anderen Ländern in den Kanton Zug ziehen, sind sich oftmals Homeschooling in ihren Herkunftsländern gewohnt und wollen dies gelegentlich hier weiterführen.» Nicht selten spielten auch Vorurteile eine wesentliche Rolle für das Interesse an Privatschulung. «Nämlich, dass die Unterrichtsqualität in öffentlichen Schulen schlecht sei.»

«Eine Isolation durch den Einzelunterricht muss vermieden werden.»

Stephan Schleiss, Zuger Bildungsdirektor

Der Umgang mit Privatunterricht wird in den Kantonen sehr unterschiedlich gehandhabt, wobei Zug eine strenge Gesetzeslage aufweist. «Da die Privatschulung in der Familie mit besonderen Risiken verbunden ist, werden Bewilligungen nur dann erteilt, wenn das Besuchen einer gemeindlichen Schule oder einer Privatschule aus besonderen Gründen unmöglich ist. Eine Isolation durch den Einzelunterricht muss vermieden werden», ist Schleiss überzeugt. «Die Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit, die sogenannte Enkulturation, wird hoch gewichtet. Der Unterricht darf bei Privatschulung nur von Lehrpersonen erteilt werden, die im Besitze der erforderlichen Lehrdiplome sind.»

Stephan Schleiss in seinem sehr aufgeräumten Regierungsratsbüro. (Bild: wia)

Das strenge Regime zeigt Wirkung: Seit Inkrafttreten der aktuellen rechtlichen Vorgaben im Jahr 2013 sind gemäss Schleiss keine Gesuche mehr gutgeheissen worden, da die Bewilligungsvoraussetzungen in keinem der Fälle erfüllt worden seien. Diese fast aussichtslose Situation dürfte denn auch der Grund dafür sein, dass die Anfragen seit März 2020 zu keinen konkreten Gesuchen beim Kanton geführt haben.

Sozialisierung durch Engagement in Vereinen

Im Kanton Luzern haben es Freunde des Privatunterrichts deutlich einfacher. Obwohl es auch hier eines Gesuches bedarf. Um eine befristete Bewilligung zu erhalten, muss etwa der Lehrplan der Volksschule eingehalten werden. Auch «muss die soziale Integration der Lernenden in einer ausserfamiliären Gruppe, deren Mitglieder nicht selbst gewählt werden können, gewährleistet sein», heisst es auf Anfrage. Und weiter: «Die Lehrperson respektive die Erziehungsberechtigten müssen sicherstellen, dass die Lernenden sich mit verschiedenen Themen kritisch auseinandersetzen und in ihrem Urteilsvermögen gefördert werden.» Das klingt zwar schön und gut. Doch wie kann der Kanton kontrollieren, ob diese Vorgabe eingehalten wird?

Aldo Magno sagt dazu: «Die Frage der Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit  ist eine zentrale Kompetenz für die soziale Kohäsion unserer Gesellschaft. Diese Förderung geschieht bei Kindern im Privatunterricht am ehesten durch die Mitgliedschaft in Vereinen oder ähnlichen Gruppierungen.» Entsprechend werde dieser Aspekt bereits während des Gesuchsverfahrens, aber auch später bei den jährlichen Aufsichtsbesuchen überprüft. «Bei begründeten Zweifelsfällen muss die Teilnahme in Vereinen gegenüber der Dienststelle Volksschulbildung mit einer Bestätigung nachgewiesen werden.»

«Ich habe viele Homeschooling-Schüler aufwachsen sehen. Asoziale Kinder habe ich dabei nie erlebt.»

Vreny Spichtig, Präsidentin Verein Bildung zu Hause Kanton Luzern

Das Vorurteil der fehlenden Sozialkompetenz bei zu Hause unterrichteten Kindern lässt Vreny Spichtig nicht gelten. «Diese Kritik war nie gerechtfertigt», sagt die Präsidentin des Vereins Bildung zu Hause Kanton Luzern. «Die Familie als kleinste Einheit sozialisiert selber. Meist sind es nicht Einzelkinder, die im Homeschooling sind, sondern Familien mit mehreren Kindern. Da findet die Sozialisierung automatisch durch die Altersabstufung statt. Es gibt keine isolierten Homeschooling-Familien.» Man kenne sich untereinander und sei sehr gut vernetzt. Die Familien würden sich häufig zum Lernen oder auf Exkursionen treffen. Auch seien Homeschooling-Kinder meist in Vereinen oder Musikgruppen anzutreffen. «In den letzten 20 Jahren habe ich viele Homeschooling-Schüler aufwachsen sehen. Asoziale Kinder habe ich dabei nie erlebt», so Spichtig.

In Luzern braucht's nicht zwingend eine Lehrerausbildung

Eine besondere Regelung im Kanton Luzern: Will man bloss die eigenen, nicht aber weitere Kinder auf Kindergarten- oder Primarschulstufe unterrichten, reicht eine Matura oder ein unspezifischer Fachhochschulabschluss. Dazu muss die fachdidaktische und methodische Kompetenz nachgewiesen werden, zudem müssen etwa Planungsunterlagen vor Beginn des Privatunterrichts eingereicht werden. Danach müssen die Lehrpersonen dem Kanton während der gesamten Laufzeit der Bewilligung regelmässig die Unterrichtsplanung und jeweils auf Ende des Semesters auch eine Beurteilung der Lernenden einreichen. Zudem fänden im 5. und 8. Schuljahr obligatorische standardisierte Leistungsmessungen statt, die den Lehrpersonen und der DVS einen wichtigen Einblick in das Leistungsvermögen der Lernenden erlauben, so Magno.

Gab es in den letzten Jahren Fälle, in denen den Privatlehrpersonen die Erlaubnis entzogen werden musste? Aldo Magno dazu: «Dies kam in den letzten fünf Jahren nicht vor. Die auf Regelmässigkeit ausgelegte Aufsichtstätigkeit der DVS ermöglicht eine frühzeitige Erkennung allfälliger Probleme und führt im Zweifelsfall zu entsprechenden Interventionen.» Daraus resultiere bei einigen Lehrpersonen die Erkenntnis, dass der Privatunterricht doch nicht die richtige Unterrichtsform darstelle und sie daher den Privatunterricht selbst beenden.

«Wie garantiert der Kanton, dass die öffentliche Schule nicht gewissen Kindern schadet?»

Vreny Spichtig, Verein Bildung zu Hause Kanton Luzern

Beim Kanton Zug sieht man das anders. Auch aus dem Grund, dass ein sorgfältiges Controlling im Homeschooling kaum mehr möglich sei, wurde eine geplante Lockerung des Schulgesetzes in diesem Bereich abgelehnt.

Vreny Spichtig gibt zu bedenken: «Die Kantone sind nicht im Bilde, ob es jedem Kind im öffentlichen System wirklich gut geht. Wenn sie das überprüfen würden, würden sie merken, dass es vielfältigere Schulangebote geben müsste.» Sie führt aus: «Also lautet die Gegenfrage: Wie garantiert der Kanton, dass die öffentliche Schule nicht gewissen Kindern schadet?» Spichtig unterrichtet selber als Berufsschullehrperson. «Ich erlebe jedes Jahr viele schulgeschädigte Jugendliche, die wir wiederaufbauen müssen, damit sie merken und erfahren, dass sie ok sind.»

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