Luzerner Gericht: Freispruch trotz Zweifeln

Hohe Hürden für IV-Betrug

Trotz Observierung in Mazedonien konnte dem Mann der IV-Betrug nicht ausreichend nachgewiesen werden. (Bild: Andrey Popov / Fotolia)

Der Fall scheint eigentlich klar: Ein seit über 20 Jahren arbeitsunfähiger und depressiver IV-Rentner besitzt in Mazedonien Restaurants, fährt Lastwagen und wird dabei gefilmt, wie er schwere Arbeiten verrichtet. Dennoch wurde er nun vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen.

143 Verdachtsfälle auf Betrug hatte die IV Luzern letztes Jahr, davon konnten 18 Personen überführt werden (zentral+ berichtete). Wie hoch die Hürden des Betrugsnachweises sind, zeigt auch ein Fall, den das Luzerner Kriminalgericht kürzlich zu beurteilen hatte.

Kurz nach Einreise krankgeschrieben

Ein heute 60-jähriger Albaner reiste 1991 in die Schweiz ein. Er fand eine Anstellung bei einer Baufirma und holte ein Jahr darauf seine Frau und die beiden Kinder in die Schweiz. Ebenfalls 1992 machte er geltend, dass er vor seiner Flucht in die Schweiz in Mazedonien wegen illegaler politischer Tätigkeiten täglich gefoltert und misshandelt worden sei. Seither sei er verstimmt, antriebslos und seelisch gebrochen, er leide unter Konzentrations- und Schlafstörungen. Er könne nicht mehr Auto fahren, höre Stimmen, habe Schmerzen beim Gehen und ertrage weder Menschen noch den Fernseher. Sein Gesundheitszustand habe sich im Lauf der Zeit eher verschlechtert. Gutachten attestierten ihm Depressionen sowie eine posttraumatische Belastungsstörung, was eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte.

Für sich und seine Familie erhielt er eine monatliche IV-Rente von 1308 Franken zugesprochen, ausserdem entrichtete die Versicherung seines ehemaligen Arbeitgebers eine monatliche von 1193 Franken. Seit 1997 bezog er überdies monatliche Ergänzungsleistungen der AHV von knapp 2000 Franken. Macht insgesamt 4501 Franken pro Monat. Im Jahr 2009 erhielt die Polizei einen Hinweis, dass der Albaner seit Jahren widerrechtlich Versicherungsleistungen beziehe, obwohl er kerngesund sei. Er lebe überdies in Mazedonien.

Besitzer von Lokalen, Lastwagen und Viehhandel

Die Versicherung observierte ihn mehrfach in Luzern und Mazedonien. Dabei zeigte sich, dass der Mann sein Zimmer in der Schweiz lediglich für die Standortgespräche bei der IV-Stelle nutzte. Nach drei Tagen reiste er zurück. Während der Überwachungen wurde ersichtlich, wie er in Luzern Einkäufe an stark frequentierten Plätzen und Zeiten tätigte, mehrmals ein Fahrzeug lenkte sowie Freunde traf und in Moscheen ging, in welcher sich über hundert Personen aufhielten. Er bewegte sich beschwerdefrei und schnell. In Mazedonien kaufte er am Markt Vieh und Ziegen und verlud diese mit Kraftanstrengungen in einen Lastwagen – den er selber lenkte. Der Lastwagen und auch ein Mercedes waren zu diesem Zeitpunkt auf ihn eingetragen. Ermittlungen in Albanien ergaben ausserdem, dass der Mann ein Lokal verpachtete und ein weiteres Restaurant besitzt, das er vermieten wollte.

Die IV reagierte darauf mit einer Begutachtung. Dieses ergab, dass die Antidepressiva entgegen den Angaben des Mannes nicht regelmässig eingenommen wurden. Und auch schwere psychische Störungen konnten keine festgestellt werden, so dass eine 80-prozentige Arbeitsfähigkeit diagnostiziert wurde. Damit wurden die kurz zuvor von Ärzten und dem Kantonsspital Luzern gestellten Diagnosen infrage gestellt.

Happige Rückforderung

Die IV reagierte mit einer Aufhebung der Rente. Zusammen mit anderen Versicherungen verlangte sie ausserdem die Gelder zurück, die der Albaner seit der Überwachung durch die Versicherung erhalten hat, insgesamt 88’642 Franken. Für eine Rückforderung der 18 Jahre zuvor lagen keine Beweise vor. Gleichzeitig verlangte die Staatsanwaltschaft, den Mann wegen gewerbsmässigen Betrugs mit 24 Monaten Haft zu bestrafen.

Das sah nun aber das Kriminalgericht anders. Es beurteilte insbesondere, ob dem Mann eine arglistige Täuschung nachgewiesen werden könne – und kam zu einem anderen Schluss. Der Mann habe ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass es ihm zwar schlecht gehe, jedoch der Verlauf der Beeinträchtigung veränderlich sei und er trotz den Einschränkungen mit seiner Frau einkaufen und mit Unterstützung von Kollegen oder Verwandten reisen könne. Die Observationen seien aus einem langen Zeitraum zusammengeschnitten und könnten lediglich Bruchstücke von Tagesabläufen wiedergeben. Und auch die beobachteten körperlichen Tätigkeiten würden nicht derart aus dem Rahmen fallen, als dass sie mit den Angaben des Beschuldigten nicht mehr vereinbar wären.

Im Zweifel für den Angeklagten

Obwohl die Richter durchaus auch Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen des Mannes hatten, konnte ihm kein strafbares Verhalten nachgewiesen werden. Das Gericht sprach ihn nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» frei. Eine Aussage, in welchem Masse der Mann arbeitsfähig sei, wollte es nicht treffen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Berufung angekündigt.

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