Aufbruchstimmung trotz Musikkrise

Herzblut statt Marktmacht: Kleines Luzerner Label will es anders machen

Die vier hinter 6003 Records (von links): Sacha Ischi, Rico Fischer, Cyril Montavon und Martin Koch. (Bild: jwy)

In Luzern ist das neue Label 6003 Records an den Start gegangen. Die Macher glauben trotz einbrechender Verkaufszahlen unerschütterlich an den Musikmarkt. Zugute kommt ihnen, dass Urgesteine wie Dada ante Portas und Vera Kaa genug haben von den grossen Labels.

In Luzern gibt es ein neues Musiklabel: 6003 Records, benannt nach der Postleitzahl der Büro-Adresse. Es ist ein fast schon waghalsiges Unterfangen, in Zeiten von einbrechenden CD-Verkäufen, unsicheren Aussichten und Digitalisierung das Abenteuer eines professionellen Labels einzugehen.

Die vier Männer dahinter tun es trotzdem, weil sie glauben, dass es immer noch – oder jetzt erst recht – Labels braucht, die den Bands in turbulenten Zeiten den Rücken freihalten.

Hinter 6003 Records stecken Cyril Montavon und Martin Koch von der Luzerner Booking-Agentur Fettes Haus sowie Sacha Ischi und Rico Fischer von der Künstler-Agentur Starfish. Sie teilen schon seit Jahren ein Büro in Luzern und alle vier haben Erfahrung bei Major-Labels wie Universal und Sony gesammelt.

100 Jahre Musikerfahrung

So lag der Schritt nahe, ein eigenes Label auf die Beine zu stellen. «Zusammen haben wir etwa 100 Jahre Erfahrung in der Musikbranche», sagt Cyril Montavon. Es wäre verschenkt, dieses Wissen, die Kontakte und Kanäle nicht zu nutzen. Die Idee sei nicht neu, aber die Zeit bisher noch nicht reif dafür gewesen.

«Bands sollen sich auf das konzentrieren, was sie können: auf die Musik.»

Cyril Montavon

Für die neuesten Releases hat 6003 Records schon einige bekannte Namen an Bord: Die Luzerner Matadoren Dada ante Portas veröffentlichen am 11. Oktober ihr neuntes Album «Hush!», Vera Kaa hat Ende September «Längi Zit» herausgegeben, bereits ihr zwölftes Werk. Und Anfang 2020 folgt die bekannte Hard-Rock-Band Shakra. Ebenfalls dabei ist das Duo Zibbz, das für die Schweiz am Eurovision Song Contest antrat.

Die Luzerner Sängerin Vera Kaa. (Bild: zvg)

Alles selber machen

Kontakte zur Musikszene haben die vier Musikbesessenen also, nun können sie mit 6003 Records neben dem Booking auch Promo- und Pressearbeit für den Albumrelease anbieten – quasi ein Rundum-Paket für Musiker. Die Idee dazu kam beim letzten Album von Montavons eigener Band Maxxwell, für das sich die Metal-Truppe von einem Label verabschiedete und die Fäden selber in die Hand nahm (zentralplus berichtete). «Das war ausschlaggebend: Je mehr wir selber machen, desto mehr bleibt letztlich für uns.»

6003 Records macht klassische Label-Arbeit: Es sorgt dafür, dass die Alben in den Läden und auf den digitalen Kanälen verfügbar sind, weibelt bei Presse und Radio und erledigt allen Papierkram, etwa mit der Verwertungsgesellschaft Suisa. Der Vorteil: Die Musiker von Maxxwell brauchen für den Vertrieb der Alben keine externen Partner und liefern selber. «So ist die Struktur schlank und die Kosten sind tiefer», sagt Montavon.

Nähe versus Marketingmacht

Die Band ihrerseits hat für alle Belange nur einen Ansprechpartner. «Wir sind sehr nah dran», sagt Montavon. Grosse Labels hätten zwar mehr Macht in Sachen Marketing – aber in allen anderen Bereichen sieht er keine Nachteile durch die Kleinheit. «Bands sollen sich auf das konzentrieren, was sie können: auf die Musik. Es fehlen ihnen oft die Zeit und die Kontakte, dort setzen wir an», bringt es Montavon auf den Punkt.

Montavon redet ganz pragmatisch von Dienstleistungen, wenn er die Arbeit des Labels vorstellt. 6003 Records tritt erst in Erscheinung, wenn das Album in trockenen Tüchern ist, die Produktionskosten trägt die Band selbst. «Die Künstler bezahlen uns einen fairen Pauschalbeitrag und wir erledigen dafür sämtliche anfallende Labelarbeit wie Promo oder Distribution.»

Der Vorschuss wird bei den Künstlern mit den Verkaufseinnahmen verrechnet, bis die Pauschale abbezahlt ist. «Erst danach partizipiert 6003 Records wieder auf alle weiteren Verkäufe, Downloads und Streams, und dies zu einem fairen, nicht überrissenen Anteil», erklärt Montavon.

Dienstleister, nicht Kreativer

6003 Records lässt den Bands volle künstlerische Freiheit. «Wir sind der Dienstleister, ich sehe unsere Arbeit nicht im kreativen Bereich. Ausser es ist gefragt, dann geben wir gern unseren Senf dazu», sagt Montavon.

«Wir sind jetzt mehr unsere eigenen Chefs.»

Pee Wirz, Dada ante Portas

Aber natürlich muss das Label auswählen und nimmt nur Bands unter Vertrag, bei denen sie kommerzielles Potenzial sehen. Das Ziel sind etwa fünf bis acht Releases pro Jahr.

Dada ante Portas aus Luzern wollen es nochmals wissen – und veröffentlichen ihr neuntes Album. (Bild: zvg)

Dada hatten genug von grossen Labels

Mit Dada ante Portas und Vera Kaa haben zwei höchst unterschiedliche Namen bei 6003 Records eine neue Heimat gefunden. Die Luzerner Dadas sind bereits seit 25 Jahren aktiv und erfolgreich mit treibender Gitarrenmusik und schmeichelhaften Melodien, die ebenso auf der Bühne wie im Radio-Morgenprogramm ankommen. Für 6003 Records haben sie das Major-Label Universal verlassen, bei dem der Spardruck immer stärker zu spüren gewesen sei, wie Sänger Pee Wirz sagt. «Wir haben gemerkt, dass es für uns nicht mehr stimmt.»

Im richtigen Moment kam die Label-Idee, Fettes Haus erledigte zuvor schon das Booking für die Dadas. Das Konzept und die Nähe in Luzern haben die Band überzeugt. «Neu ist für uns, dass wir gewisse Aufgaben jetzt selber übernehmen müssen, wir müssen stärker mitdenken», sagt Wirz. Dafür sei der Kontakt niederschwelliger – und die Band verdient an jeder verkauften Scheibe mehr. «Wir sind jetzt mehr unsere eigenen Chefs», sagt Wirz.

Die neue Unabhängigkeit tut der Band spürbar gut, die Scheibe kommt mit viel Frische und Spielfreude daher. «Wir haben uns nicht viel überlegt, sondern einfach alles aufs Album gepackt, worauf wir Lust hatten», sagt Wirz.

Video zu «Mayhem», das Endzeit-Science-Fiction-Szenario erhält noch zwei weitere Folgen und wird zu einem Film:

Vera Kaa: Back to the Roots

Die Luzernerin Vera Kaa hat in den 80ern mit Punk angefangen und war in der Luzerner Szene zuvorderst dabei. Nun hat sie sich für ihre neue Platte achteinhalb Jahre Zeit gelassen. Ihr tiefgründiges, stilles Mundart-Werk ist im Muotathal entstanden, wo sie herkommt. Und man merkt der Musik die Abgeschiedenheit und die raue Landschaft an.

«Man merkt einfach, ob das jemand mit Herzblut macht oder um Punkt fünf aus dem Büro geht.»

Vera Kaa

Auch Vera Kaa war lange bei Major Labels unter Vertrag und schwört jetzt auf das Kleine: «Mich gibts jetzt dann 40 Jahre in der Musik, ich will etwas Nachhaltiges.» Das könne ihr ein familiäres Umfeld viel eher bieten. Ihre Songs auf «Längi Zit» wirken darum in der schnelllebigen Zeit etwas anachronistisch.

Video von Vera Kaa «So rächt wie Bärge»:

Das Herzblut zählt

«Es lag auf der Hand, ein kleines, aber topmotiviertes Label zu suchen», sagt Vera Kaa, die seit langem in Zürich lebt. Auf die Marketing-Maschine der grossen Labels kann sie verzichten. «Man merkt einfach, ob das jemand mit Herzblut macht oder um Punkt fünf aus dem Büro geht.»

Die Zusammenarbeit sei eine Win-win-Situation, sagt sie. «Wir waren beide zur rechten Zeit am rechten Ort.» Sie habe jetzt die maximale Kontrolle über ihr Schaffen und müsse musikalisch keine Kompromisse eingehen.

Zudem sei es schön, mit ihrem Label wieder in ihrer Heimatstadt gelandet zu sein. «Ich habe meine Roots immer noch in Luzern.»

Immer wieder Absagen

Für die Zukunft von 6003 Records sind neben den Etablierten ebenso Newcomer-Bands denkbar, Cyril Montavon sieht die Label-Arbeit auch als Kulturförderung. Trotzdem muss sich die Musik am Ende des Tages verkaufen können. «Wir haben eher den Mainstream-Ansatz, unser Label ist nicht einfach ein Herzblut-Ding – aber auch.»

Letztlich muss Montavon in seiner täglichen Arbeit vor allem eines: absagen. Mit der Booking-Agentur Fettes Haus erhält er täglich neue Anfragen von Bands. «Den meisten muss ich absagen, nicht weil sie schlecht sind, aber es fehlt schlicht die Zeit.»

Beim Label dürfte es bald nicht anders sein. Der Musikmarkt bleibt hart umkämpft.

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