Schadensbegrenzung ist angesagt

Hagel und Pilze vermiesen Zuger Winzern die Ernte

Renata und Ulrich Straub (und Hund) betreiben das Weingut Oberwil-Gimenen in Zug. (Bild: cbu)

Regen, Hagel, Donnerwetter. Der aktuelle Sommer hat vielerorts für lange Gesichter und grosse Schäden gesorgt. Auch in der Weinbranche. Zahlreiche Weingüter rechnen heuer mit enormen Ausfällen. Auf einem Zuger Weingut gibt man die Ernte trotz grossen Schäden nicht auf.

Die Aussicht ist fantastisch. Unten am Hang liegt das Dorf Oberwil bei Zug, dahinter der Zugersee. Über uns drehen Gleitschirmflieger ihre Runden, landen nur wenige nebenan in einer Wiese. Direkt daneben erstrecken sich auf rund 7'500 Quadratmetern die Weinreben des Weinguts Gimenen-Oberwil. Auf den ersten Blick wirkt alles idyllisch, sommerlich. Hier scheint die Welt in Ordnung – bis man sich die Reben genauer anschaut.

Denn vor wenigen Wochen wütete hier eines der grössten Unwetter der letzten Jahre. Hagelstürme und anhaltender Regen machte kaputt, wofür das Ehepaar Straub und eine Handvoll Helfer monatelang gearbeitet haben. In guten Jahren produzieren Renata und Ulrich Straub hier an die 2'000 Flaschen Wein, je 1'000 Flaschen Rot- und Weisswein. Ihr weisser Räuschling erfreut sich weit über die Kantonsgrenze hinaus grosser Beliebtheit.

Zug als kleines Wein-Mekka

Ulrich Straub hat den Hof auf der Anhöhe 1998 übernommen und baut seit 2008 Wein an. «Der Zuger Wein ist gefragt. Das Klima und der steinige Boden an der Südwestflanke des Zugerbergs ist bestens für Weinbau geeignet», erklärt der gelernte Historiker und Unternehmensberater, als wir zwischen den Reben hindurchgehen. Immer wieder hält Straub an und zeigt, was die Hagelfälle und die anhaltenden Regengüsse auf seinem Gut angerichtet haben. Die obersten Triebe sind braun, Blätter zerfetzt, durchlöchert oder abgestorben. Auch die Trauben haben stark gelitten, sind eingedellt oder braun.

Einige Reben weiter treffen wir Renata Straub an, Ulrichs Ehefrau. Mit dabei ist auch eine neugierige Labrador-Dame, die sich unter den Trieben im Schatten fläzt. Renata Straub zupft gerade verhagelte Triebe ab, prüft die Trauben, sortiert aus, was nicht mehr wachsen wird und nur noch faulen könnte. «Im weitesten Sinne betreiben wir noch Schadensbegrenzung», erklärt sie. Den Straubs steht ein Team von rund 20 Helfern zur Seite. Heute aber ist keine weitere Hand zur Stelle.

Der Hagel hat schwere Schäden an den Weinstöcken hinterlassen. (Bild: cbu)

Darum braucht Renata Straub rund eine Stunde pro Reihe. Bei den kontrollierten sind die schwarzen Schutznetze bereits herabgezogen. «Die Netze helfen in beschränktem Masse gegen Hagel», so Ulrich Straub. «Aber ich habe keine Freude an einer Totalverhüllung – das ist nicht nur teuer, es sieht auch schrecklich aus.»

Straub führt uns zu den Weisswein-Reben. Hier wachsen die Trauben, aus denen ein befreundeter Kelterer im zürcherischen Meilen den beliebten Räuschling herstellt. «Der Weisswein ist grundsätzlich robuster», sagt Ulrich. Und tatsächlich, auch hier sind die obersten Triebe braun, aber die unteren Blätter und Weintrauben machen einen besseren Eindruck. Zwar wird auf dem Weingut nach Bio-Regeln gearbeitet, auf ein Zertifikat verzichtet Straub jedoch. «Das nimmt uns auch etwas Druck weg, gerade wenn es um Fälle wie den Falschen Mehltau geht.»

Ein Pilz greift um sich

Was ist Falscher Mehltau? Das Wetter hat den Winzern nicht nur mit dem Hagel zu schaffen gemacht. Auch der Dauerregen hat einen negativen Nebeneffekt auf die Reben: Pilze. Einer davon ist der Falsche Mehltau. Und der hat in diesem Jahr vielerorts um sich geschlagen. «So viele neue Pilzinfektionen habe ich noch nie erlebt», sagt der Zentralschweizer Rebbaukommissär Beat Felder, selbst Winzer und Mitglied des Zentralschweizer Weinbauvereins, gegenüber zentralplus. «Trotz chemischer Bekämpfung muss mit Ausfällen gerechnet werden.»

Auch auf Ulrich Straubs Weingut greift der Pilz um sich, zeigt sich als weisslicher Flaum auf der Unterseite der Blätter. «Die Pilzsporen wachsen im Boden, bei heftigem Regen werden sie hochgeschleudert und haften an den Blättern», erklärt uns Straub. Eigentlich könnte man die Pflanzen mit einem Schutzmittel bespritzen, um den Pilz in den Griff zu bekommen. Das funktioniert allerdings nur, wenn es nicht regnet, weil das Mittel sonst gleich wieder abgespült wird.

«Die Schäden sind derart, dass wir nicht wissen, ob es dieses Jahr überhaupt eine nennenswerte Ernte gibt.»

Ulrich Straub, Winzer und Unternehmer

Im Vorteil ist, wer auf Piwi-Sorten setzt, also pilzwiderstandsfähige Reben. Die Straubs haben einige solche Reben auf ihrem Gut – und sind damit in guter Gesellschaft. Gemäss Beat Felder setzen 35 Prozent der Zentralschweizer Winzer auf Piwi-Reben und zementieren damit den Spitzenplatz der Schweiz als Piwi-Vorreiter. «Da sind wir der Welt voraus», sagt Felder, der damit rechnet, dass die Unwetterereignisse der letzten Wochen den Piwi-Sorten einen zusätzlichen Schub verleihen dürften.

Enorme Schäden prognostiziert

Wie hoch die Schäden in der Zentralschweiz ausfallen, kann derzeit noch nicht beziffert werden. Zwischen 10 und 90 Prozent ist alles möglich, so Rebbaukommissär Beat Felder. Grundsätzlich habe es die Zuger Winzer härter getroffen als die Luzerner. Stark betroffen war gemäss Felder auch das Weingut des Rischer Weinbauer Alfred Knüsel, dem zentralplus im Frühjahr einen Besuch abgestattet hat (zentralplus berichtete).

In Oberwil geht man derzeit von einem beträchtlichen Ernteausfall aus. «Die Schäden sind derart, dass wir nicht wissen, ob es dieses Jahr überhaupt eine nennenswerte Ernte gibt.» Auch wenn Schätzungen derzeit noch Spekulation wären, liegt der vermutete Ausfall «realistisch gesehen eher bei 60 als bei 40 Prozent», sagt Ulrich Straub.

Trotz den düsteren Zahlen und Bilder, noch ist das Weinjahr 2021 nicht vollends verloren. Ein goldener Herbst könnte hier und da noch etwas reissen. So sagt auch Felder: «Es wird heuer Wein geben, nur halt nicht so viel.» Deswegen gibt man auch beim Weingut Gimenen-Oberwil noch nicht auf. «Wir werden bis zum Letzten unser Bestes geben, denn der Wein ist so beliebt hier, dass es jammerschade wäre, darauf verzichten zu müssen», zeigt sich Straub kämpferisch. Und wer die Reben ganz genau betrachtet, erkennt, woher die Straubs ihren vorsichtigen Optimismus nehmen: Bei einigen Trieben sind bereits wieder erste Knospen sichtbar.

Einfach mal ausspannen

Das «Hobby» der Straubs soll in den kommenden Jahren ausgebaut werden. «Wir planen, die Anbaufläche zu erweitern und zu professionalisieren», erklärt das Ehepaar, das die Anlage nebenberuflich betreibt. Zurzeit kann das Weingut noch als Geheimtipp bezeichnet werden, denn die Straubs verzichten bewusst auf eine grosse Online-Präsenz. Die werde dann vielleicht ein Thema, wenn der Ausbau vorangeht, sagt Ulrich Straub.

Trauben mit Aussicht: Das Weingut der Straubs liegt in Oberwil bei Zug. (Bild: cbu)

Ungeachtet der schweren Schäden wollen die Straubs aber an ihrem Angebot festhalten. Auf dem Hof werden nämlich auf Anfrage Degustationen, Führungen und kulinarische Events angeboten. «Wir haben Besucher aus allen Schichten bei uns», sagt Ulrich Straub. Gesetzt wird bei den Anlässen auf Tradition. Ein gutes Brot, ein guter Käse, etwas Fleisch und ein guter Schweizer Wein. «Mehr braucht es nicht, um sich aus dem Alltag auszuklinken und sich hier oben etwas entspannen zu können.»

Und er präsentiert auch gleich den Beweis für seine Theorie. Im Schatten eines umgebauten Pferdewagens geben uns die Straubs eine Kostprobe ihres Räuschlings. Tatsächlich: Mit einem kühlen Glas Weisswein in der Hand und dem in der Sonne funkelnden See vor Augen lässt sich der Alltag schnell vergessen.

Schäden über 50 Millionen Franken

Wie die Schweizer Hagelversicherung gegenüber dem Weinmagazin «Obst- und Weinbau» bekannt gab, führten die Unwetter ab dem 18. Juni in der ganzen Schweiz zu einer erwarteten Schadenssumme von rund 50 Millionen Franken – verteilt auf über 6'000 Meldungen. Das liege über dem Durchschnitt – ebenso wie die langanhaltenden Regenperiode, welche die Situation vielerorts noch verschärft hat.

So schlimm die Zahlen sind, das katastrophale Hageljahr 2009 toppt der aktuelle Sommer (noch) nicht. Damals sind gemäss der Schweizer Hagelversicherung schweizweit rund 16'000 Schadensmeldungen eingegangen, die zu einer kumulierten Schadenssumme von über 110 Millionen Franken geführt haben.

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