LSO spielte Beethovens Fünfte – und Spannenderes

Gutes Marketing, grosse Überraschung

Die Solisten Stojan Krkuleski und Christoffer Sundqvist begeisterten das Publikum im Konzertsaal des KKL.

(Bild: zvg)

Das Luzerner Sinfonieorchester lockte für den Mittwochabend erfolgreich mit Beethovens Fünfter. Dabei war der Höhepunkt des Abends ein Bühnenstück für zwei schauspielernde Profimusiker. Siegfried Matthus’ Konzert für zwei Klarinetten und Orchester war gar eine Uraufführung.

In Pop- oder Rockkonzerten legen die Musiker gerne einen spektakulären Auftritt hin. Von der Decke abseilen, mit Motorrädern auf die Bühne brettern, durch dichten Nebel wie aus dem Nichts erscheinen. Der Vorstellung sind keine Grenzen gesetzt. Für ein klassisches Orchester mag das nicht wirklich infrage kommen.

Nichts aber kommt wohl einem solchen Auftritt näher, als ein Konzert mit John Adams’ Fanfare «Short Ride in a Fast Machine» beginnen zu lassen, wie am Mittwochabend im KKL geschehen.

Als Adams den Auftrag für das Eröffnungsstück des Great Woods Festival von 1986 erhielt, stand er noch unter dem Einfluss einer wilden Fahrt mit einem «schicken italienischen Sportwagen».

Er war nur Beifahrer eines Freundes, aber die verkrampfte Aufregung stecke ihm noch Monate später in den Knochen. Ein Glück für die Hörer, dass Adams sich die Erfahrung als Musik von der Seele schrieb.

Weltpremiere durch das Luzerner Sinfonieorchester

Es ist wirklich ein flotter Ritt, den das LSO mit dem finnischen Gastdirigenten Hannu Lintu am Taktstock auf das Parkett legt. Die rhythmischen Verschiebungen und ihre Aufhebung ineinander sind ganz dem Minimalismus verpflichtet und zeigen, wie gross die Wirkung kleiner Stilmittel sein kann.

Neue Musik ist in Luzern kein Feigenblatt zur Ouvertüre eines Konzertabends. Frisches Anschauungsmaterial für diesen Anspruch lieferte am Mittwoch die Uraufführung eines Doppelkonzerts für zwei Klarinetten und Orchester von Siegfried Matthus. Matthus war unter den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten der DDR und sein Erfolg auch nach 1990 zeigt, dass seine Musik über jeden politischen Zweifel erhaben ist.

Vor und nach der Wende schuf er Musik aller Gattungen, darunter viele Opern und Konzerte. Nachdem er im letzten Jahr bei einer Aufführung seines Streichquartetts «Das Mädchen und der Tod» durch das Luzerner Vector Quartett zugegen war, konnte er für eine Konzertkomposition gewonnen werden. Eine weitere glückliche Fügung ist die Auswahl der Solisten.

Eine glückliche Fügung ist die Auswahl der Solisten.

Stojan Krkuleski ist seit 2014 Soloklarinettist beim Luzerner Sinfonieorchester. Christoffer Sundqvist ist seit 2005 1. Klarinettist beim finnischen Radion sinfoniaorkesteri, dessen Dirigent eben Hannu Lintu ist. Lintu und Sundqvist kennen sich ausserdem mit Uraufführungen aus und zwar nicht nur jeder für sich selbst, sondern auch gemeinsam: 2013 erarbeiteten sie Peregrinus ecstaticus des Esten Erkki-Sven Tüür.

Dialog und Schauspiel der Solisten

Matthus’ Konzert ist dialogisch angelegt. Die Solisten interagieren und beziehen sich aufeinander. Der erste Satz gibt Ton und Stimmung des Konzerts vor: mal tonal eingehegt, mal in dissonanten chromatischen Läufen der Solisten. Vor allem wird es nicht zu ernst. In der Konzerteinführung berichtete Krkuleski, wie Matthus die Solisten zu schauspielerischen Leistungen anspornte, aber Ausmass und Qualität überraschten.

Die beiden winden sich, spielen einander vor, necken und spielen mit der Partitur. Auch der Dirigent beteiligt sich am Schauspiel. Die Kadenzen der Ecksätze bieten eine überraschende Mélange aus motivischer Arbeit, Slapstick und Konversation. Im zweiten Satz geben die Blechbläser den Ton an, der dritte ist verspielt. Zu den Qualitäten des vierten Satzes schreibt der Komponist selbst: «Der vierte Satz ist ein Rondo.» In der abschliessenden Kadenz beginnt die erste Klarinette, die zweite Klarinette penetrant zu imitieren.

Die beiden winden sich, spielen einander vor, necken und spielen mit der Partitur.

Alle musikalischen und technischen Tricks, die lästige Imitation abzuschütteln, misslingen. Entnervt geben beide Klarinettisten ihr Spiel auf. Nun protestiert das Orchester und «zwingt» die beiden Solisten zum Weitermachen. Tatsächlich verlassen beide die Bühne im augenscheinlichen Streit und werden unzweideutig vom Tutti zurückbeordert. Das Publikum reagierte heiter.

Ein schöner Nebeneffekt der Imitation ist übrigens, dass immer noch zwei Musiker und ihr eigenes Spiel erkennbar bleiben. Auch bei zwei Profis klingt nicht alles identisch, sondern jeder bringt eigene Qualitäten ein. Von ihrem guten Verständnis füreinander zeugt die Zugabe. Bartóks zehntes Duo für zwei Violinen (Sz. 98) trugen sie innig und ausgewogen vor.

Beethoven und seine populären Fünfte: Was verspricht sich das LSO?

Die zweite Konzerthälfte gehörte Beethovens fünfter Sinfonie. Sie ist auch Klassikaversen ein Begriff. Mindestens das Hauptmotiv des ersten Satzes, das ihn fest im Griff hält, kennt jedes Kind. Was verspricht sich also das LSO von einer Aufführung? Ein Indiz liefert der Titel des Konzerts. Nicht die Uraufführung ist namensgebend, sondern eben der Beethoven.

Künstlerisch trauen sich Orchester, Maestro und Intendant einiges, aber die Marketingabteilung vertraute vielleicht eher auf die Anziehungskraft des Altmeisters als auf den Reiz des Neuen. Ein volles Haus gibt ihr Recht.

Die Marketingabteilung vertraute vielleicht eher auf die Anziehungskraft des Altmeisters Beethoven als auf den Reiz des Neuen.

Aber es bestehen auch handfeste musikalische Gründe für die Programmierung. In keinen Werken ist Beethovens musikalisches Material kompakter als in seiner fünften und sechsten Sinfonie. In Letzterer stellt er das gesamte Material des ersten Satzes in den ersten vier Takten vor. Diese eigene Form des Minimalismus korrespondiert gut mit Adams’ eigener minimalistischer Spielart.

Hörerwartungen nicht oder ganz anders erfüllt

Auf eine zweite Verbindung wies die aufschlussreiche Einführung hin, die diesmal von Mitgliedern des Club U25 des LSO und dem Ensemble Helix der HSLU gestaltet wurde und ein wenig an die bernsteinsche Musikpädagogik angelehnt war. Sie wiesen zu Recht auf die Lust der drei Komponisten des Abends hin, Hörerwartungen aufzubauen und diese dann nicht oder ganz anders zu erfüllen.

Maestro Lintu brauchte keine Partitur und so trennte kein Pult ihn und seine engagierte Körpersprache von den Musikern. Trotzdem finden beide erst in der Wiederholung der Exposition so richtig zueinander. Die Mittelsätze gelingen prächtig. Weil die Tempofrage bei Beethoven wirklich lästig ist, bleibt hier nur wertneutral zu sagen, dass Lintu den vierten Satz im Verhältnis zu den anderen drei recht schnell nimmt, zumal in dieser grossen Besetzung.

Nächstes Konzert: Donnerstag, 17. November, KKL Luzern

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