Bilanz nach 10 Folgen der zentralplus-Serie

Gottesdienste kritisieren, darf man das? Aber sicher!

War ebenfalls Bestandteil unserer Testreihe: Die Pfarrei St. Michael, Zug

(Bild: Remo Wiegand))

Darf man Gottesdienste bewerten? Diese Frage stellten wir uns bei zentralplus letzten Herbst und entschieden uns selbstbewusst dafür. In der Zwischenzeit besuchten wir zehn Kirchen in Luzern und Zug, ernteten viel Resonanz, aber auch Kritik. Vor allem eine Beurteilung gab zu reden.

Seit letztem November publiziert zentralplus alle zwei Wochen eine Gottesdienstkritik (siehe Dossier). Bereits im Vorfeld war klar: Nach zehn Folgen ziehen wir Bilanz. Nun ist es eine Schlussbilanz. Ist das Experiment damit gescheitert? «Nein, keineswegs», sagt Christian Hug seitens zentralplus. «Wir haben einiges ausgelöst und sind überzeugt, dass auch Gottesdienstbesucher von einer Berichterstattung über andere Kirchen profitieren.»

Positive Resonanz, aber auch Ärger

Urban Schwegler von der Katholischen Kirche Stadt Luzern ergänzt: «Es ist doch gut, wenn in der Öffentlichkeit über Kirche diskutiert wird.» Schwegler weiss, dass man sich aber auch über Kritiken geärgert habe. «Das macht nichts, es darf auch einmal etwas kontrovers sein.» Tatsächlich haben auch die Redaktion immer wieder Zuschriften von erbosten Lesern erreicht, die eine Einstellung der Serie verlangten.

Anders sieht dies zentralplus-Leser Heinrich Hauenstein aus Zug, der selber gern verschiedene Gottesdienste der Region besucht und dabei sein eigenes privates Rating macht. Er sagt etwas salopp: «Die Reformierten nehmen so stark ab und ihre Angestellten verdienen so gut, da ist es wichtig, dass ihnen etwas auf die Sprünge geholfen wird.»

«Wenn man den Autor kennt, und er sitzt dann im Kirchenbank, geht in Kopf und Herz schon etwas ab.»

Franziska Loretan, Theologin und Dozentin

Über die Aufmerksamkeit, die den Gottesdiensten in der Artikelserie zugekommen ist, freute sich auch Franziska Loretan von der Universität Luzern. «Es wurde eine bunte Vielfalt von Kirchen und Feiern ausgewählt. Und zentralplus hat es sich mit den Kriterien und dem Bewertungsraster nicht leicht gemacht.»

Gleichzeitig hätte sie sich gewünscht, dass die Seelsorgenden mit einbezogen worden wären. «Ich habe es am letzten Sonntag selbst erlebt: Wenn man den Autor kennt, und er sitzt dann im Kirchenbank, geht in Kopf und Herz schon etwas ab», sagt die Luzerner Theologin und Dozentin. Eine Gefühlsregung, mit der Remo Wiegand wohl auch bei zukünftigen Kirchenbesuchen, wenn auch nicht mehr im Auftrag von zentralplus, wird rechnen müssen.

Wider den tierischen Ernst

Oder bei Restaurantbesuchen. Denn mit solchen wurden die Bewertungen immer wieder gerne verglichen. Dennoch gibt es Unterschiede. «Ein Menü lässt sich jederzeit nachkochen und bestellen. Der Gottesdienstkritiker hingegen erlebt einen Gottesdienst, der nur einmal in dieser Form gefeiert wird», weist Urban Schwegler auf einen wichtigen Unterschied hin.

 

Nicht immer traf der Autor auf volle Kirchenbänke (im Bild die Hofkirche Luzern).

Nicht immer traf der Autor auf volle Kirchenbänke (im Bild die Hofkirche Luzern).

(Bild: Remo Wiegand)

Gelobt wurde Wiegand für seine Sprache: «Die gepflegte, lebendige und bisweilen originelle Sprache der Kritiken hatte etwas Spielerisches, Leichtes. Ich hatte bei Remo Wiegands Kritiken stets den Eindruck, dass man sie mit einer gesunden Portion Humor lesen sollte. Also bitte nicht tierisch ernst nehmen!», fordert Schwegler auf.

Positive Beurteilung des Autors

Und wie hat Remo Wiegand die Testreihe selbst erlebt? «Überrascht hat mich eigentlich, dass das Positive in den Gottesdiensten klar überwog. Die Kirchen haben besseres Personal, die Gottesdienste sind besser als ihr Ruf. Hingegen gab es bei den Predigten aus meiner Sicht recht viel Luft nach oben.»

In der Konzeption zwischen der Redaktion und dem Autor boten die Beurteilungskriterien viel Diskussionsstoff. «Einen Gottesdienst ein Stück weit wie ein Theaterstück oder ein Fussballspiel zu besprechen, war sicher ungewohnt», erzählt der Autor. «Zentral bleibt für mich: Gottesdienste dürfen keine medialen Tabuzonen sein. Auch sie sollten öffentlich besprochen werden dürfen. Ehrliche Diskussionen können der Sache nur nützen».

«Und wieder ein Drittel schwieg die Sache tot. Das bedauerte ich am stärksten.»

Remo Wiegand, Journalist und Theologe

Die Pfarrpersonen wurden immer vorgängig über das Erscheinen des Artikels informiert. Ein Drittel hätte sich nach der Publikation wohlwollend geäussert – durchaus auch bei eher kritischen Berichten -, ein weiteres Drittel hätte ablehnend reagiert, ein Drittel schliesslich schwieg die Sache tot. «Das bedauerte ich am stärksten, da ich nicht wusste, was die Beurteilung bei ihnen auslöste», so Wiegand.

Einer, der sich als Betroffener äusserte, ist der Hildisriedener Pfarreileiter Werner Bucher. Er fordert jedoch, dass die Kritiken professionell sein müssten, was bei dieser Serie der Fall gewesen sei. Und lobt Wiegands spezielles «Gschpüri» für Einzelheiten, für Atmosphäre, für Personen, für theologische Fragestellungen.

Vorwurf des Sexismus

Dass die Kraft des Wortes nicht nur in der Kirchenkuppel gilt, zeigte sich bei der Besprechung eines reformierten Gottesdienstes in Cham. Nachdem das Äussere der jungen Pfarrerin unter dem Titel «Die Reformierten und die schöne Pfarrerin» gewürdigt wurde, wurde auf zentralplus, aber auch auf Drittseiten eine rege Debatte über den Artikel losgetreten und der Vorwurf des Sexismus erhoben.

Würde Wiegand den Text heute, vier Monate später, noch einmal so verfassen?  «Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, den Artikel so abzugeben, und zuletzt in einem ungewöhnlichen Schritt die betroffene Pfarrerin quasi noch um Erlaubnis gefragt», erklärt Wiegand, und ergänzt: «Mein Gewissen war dadurch relativ rein.»

«Dieser Beitrag hat für mich aber allzu sehr mit diesem Äusserlichen gespielt.»

Urban Schwegler, Katholische Kirche Stadt Luzern

Vorbehalte kommen in dieser Sache von anderer Seite. «Liturgie hat durch ihren darstellenden, zur Schau stellenden Charakter auch eine Seite, die auf das Äusserliche zielt. Dieser Beitrag hat für mich aber allzu sehr mit diesem Äusserlichen gespielt», sagt Urban Schwegler.

Für Franziska Loretan waren die Kritiken generell nicht ganz frei von Klischees. «Warum muss bei einer Frau ein enges schwarzes Kleid erwähnt werden? Oder warum ist der Blick einer Frau, die Mentorin eines Studenten ist, ‹mütterlich› zu nennen?», fragt sie und zeigt damit auf, wie sensibel die bildhafte Beschreibung einer Situation wahrgenommen wird, insbesondere, wenn es um geschlechtsspezifische Zuschreibungen geht.

Verbindung von Körperlichkeit und Kirche

Wiegand sagt, er hätte insofern Lehrgeld bezahlt, als dass die Verbindung von Körperlichkeit und Kirche, die in den Kritiken oft eine Rolle spielte, teils zu Polarisierungen geführt habe. «Ich kann verstehen, dass man wenig euphorisch reagiert, wenn eine Stimme, ein Laufstil oder eben das Aussehen öffentlich besprochen werden. Dinge, die man ja nicht gross ändern kann.» Dennoch, so Wiegand, seien es oft solche ästhetischen Oberflächlichkeiten, die in einem Gottesdienst stärker ins Gewicht fallen als noch so schöne Worte. «Sich dessen zumindest bewusst zu sein, kann helfen, sie gewinnend einzusetzen.»
Pfarrerin Rahel Albrecht, die selber unverhofft mitten in eine Sexismus-Debatte geriet, wollte sich zum Artikel auf Anfrage nicht mehr äussern.

Und weshalb wird die Serie nicht weitergeführt? Einerseits konnte zentralplus die Vielfalt der verschiedenen Gottesdienste exemplarisch zeigen. Gleichzeitig sind wir kein konfessionell orientiertes Medium, wenngleich wir Kirche und Religion als gesellschaftlich relevantes Thema verstehen. Dies sieht auch Remo Wiegand so: «Es war insgesamt eine abenteuerliche und sehr, sehr spannende Erfahrung. Nach Abschluss des Projekts bin ich aber ziemlich froh, endlich wieder einmal einen Gottesdienst ohne Schreibauftrag – und vor allem ohne Fotografieren – besuchen zu können».

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