Insekten auf dem Speiseplan

Gibt es bald Mehlwürmer in Luzerner Restaurants?

Bald legal in der Schweiz: Insekten als Lebensmittel.

(Bild: fotalia)

Ein neues Gesetz ebnet Speise-Insekten den Weg in Schweizer Küchen und Supermärkte. Gibts bald frittierte Heuschrecken statt grilliertem Rindsfilet? Filigrane Beinchen statt saftiger Steaks? Hiesige Discounter und Gastrobetriebe bleiben fürs Erste skeptisch.

Hand aufs Herz: Ekelt Sie die Vorstellung, Insekten zu verspeisen? Oder reizt es Sie, Neues auszuprobieren? Falls Letzteres zutreffen sollte, dürfen Sie sich freuen. Denn die Schweiz erhält ein neues Lebensmittelgesetz. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) schickt die neuen Verordnungen bis Ende Oktober in die Anhörung. Die Absicht: Zulassung neuer Lebensmittel vereinfachen und technische Handelshemmnisse abbauen (siehe Box).

Diese Liberalisierung auf dem Lebensmittelmarkt hat zur Folge, dass schon bald Insekten in die hiesigen Speisekarten sowie ins Sortiment der Supermärkte aufgenommen werden dürfen. Konkret sind es deren drei: Mehlwürmer, Grillen und Wanderheuschrecken.

Geplant sei ein Paradigmenwechsel, heisst es vonseiten des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Alle Lebensmittel, die sicher sind und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, sollen neu erlaubt sein. Bisher waren in der Schweiz all jene Lebensmittel verboten, welche nicht im Lebensmittelgesetz umschrieben oder explizit bewilligt waren.

Insekten im Einkaufswagen?

Insekten auf Schweizer Tellern? Zum Verzehr angebotenes Kriechgetier im heimischen Detailhandel? Es bleibt zumindest fraglich, ob Schweizer Konsumenten ihre Speisepläne alsbald um frittierte Heuschrecken und karamellisierte Mehlwürmer erweitern werden. Oder lassen sich etwa schon bald Grillen im Multipack mit Cumulus-Punkten bezahlen?

Monika Weibel, Mediensprecherin der Migros, winkt ab: «Wir haben uns über solche Produkte noch keine Gedanken gemacht. Auch stellen wir seitens unserer Kunden keine Nachfrage oder ein Bedürfnis fest.» Der Rest ist Schweigen.

Bei Coop wird es etwas konkreter: «Wir verfolgen die Lebensmittelrevision mit Interesse, planen jedoch zurzeit nicht, Insekten ins Sortiment aufzunehmen», sagt Mediensprecherin Nadja Ruch. Bei Coop habe man aber bereits Erfahrungen mit Insekten gesammelt, allerdings in einer vorgelagerten Phase. Will heissen: Es wurde die Fütterung von Zuchtfischen mit Insektenmehl getestet. «Die Tests haben ergeben, dass das Insektenmehl sehr gut geeigent ist für die Fischfütterung», fasst Ruch das Pilotprojekt zusammen.

Schön und gut, ist man geneigt zu sagen, doch lassen wir die Fische Fische sein und wenden uns wieder dem menschlichen Insektenverzehr zu. Laut den beiden Grossdetaillisten herrsche diesbezüglich also keine Nachfrage. Wie aber sieht die Sachlage in Gourmetrestaurants aus? Schliesslich lässt sich dort mit ausgefallenen Menükreationen und exotischen Zutaten allenthalben Revolutionäres vollbringen. Sind in der Innerschweizer Gastroszene etwa erste ernstzunehmende avantgardistische Zuckungen spürbar?

«Der Verzehr von Insekten entspricht nicht unserer Kultur.»

Stefan Wiesner, Gasthof Rössli Escholzmatt

Für den Konsumentenschutz

Das Parlament hat am 20. Juni 2014 das neue Lebensmittelgesetz verabschiedet. Das vordergründige Ziel: Die Lebensmittelsicherheit weiter stärken. Die Gesundheit der Bevölkerung und der Täuschungsschutz hätten dabei oberste Priorität, lässt das BLV verlauten. Die Konsumenten sollen vor Täuschungen bei Kosmetika und Lebensmitteln geschützt werden. Kurz: Es muss drin sein, was drauf steht. Das revidierte Gesetz soll in der ersten Jahreshälfte 2016 in Kraft treten.

«Entomophagie» lautet der Fachbegriff für den Verzehr von Insekten. Geschätzte zwei Milliarden Menschen essen bis zu 1900 verschiedene Insektenarten – vornehmlich in Zentralamerika sowie weiten Teilen Afrikas und Asiens. Insekten werden dort aber nicht infolge einer Notsituation gegessen, sondern sind fester Bestandteil der Ernährungskultur und gelten zuweilen als Delikatessen.

Mehlwurm vs. Fondue

«Nein», sagt Stefan Wiesner vom Gasthof Rössli in Escholzmatt. «Eine Revolution wird es mit Sicherheit nicht so schnell geben.» Der hochdekorierte und äusserst experimentierfreudige Koch, der nach eigenen Angaben in seinem Betrieb eine «avantgardistische Naturküche» anbietet, sieht insbesondere in kultureller Hinsicht ein nahezu unüberwindbares Hindernis. «Der Verzehr von Insekten entspricht schlicht nicht unserer Kultur. Es mag diesbezüglich eine Trenderscheinung aus Asien geben. Aber wir werden nicht plötzlich diese uns fremde Kultur annehmen», ist Wiesner überzeugt.

Fredi Bloch vom Restaurant Obstgarten in Freienbach sieht diesbezüglich keinen Handlungsbedarf: «Das machen wir nicht mit. Wir bleiben bei unserem Fokus auf Fischgerichten.» Bloch glaubt indessen nicht, dass in absehbarer Zeit eine ernstzunehmende Nachfrage nach essbaren Insekten aufkommen werde. «Ich sehe hier kein Potential. Vielleicht wird sich das in 50 Jahren ändern», spekuliert der Gastronom.

Wiesner wartet mit einem Gegenbeispiel auf: «Eine ähnliche Situation ergibt sich, wenn asiatische Touristen zu uns kommen und ein Käsefondue probieren. Es bleibt aber bei diesem kulinarischen Erproben. Ein Fondue-Restaurant in China hätte einen sehr schweren Stand, weil es nicht deren Kultur entspricht», erläutert der Gastronom. So sei es auch bei uns; hin und wieder würden zwar vereinzelte Wagemutige exotische Speisen probieren, doch bleibe dies in der Regel eine einmalige Angelgenheit.

Sehr gute Ökobilanz

Dabei ist der Gebrauch von Insekten als Lebensmittel ökologisch höchst sinnvoll. So werden für die Gewinnung von einem Kilogramm Insektenmasse gerade mal zwei Kilogramm Futter benötigt. Zur Veranschaulichung: Das Verhältnis bei Rindfleisch beträgt ungefähr eins zu acht. Ausserdem sind die kleinen Tierchen wahre Proteinbomben, frei von Kohlehydraten, fettarm und reich an Vitaminen. Glaubt man darüber hinaus den unzähligen Erfahrungsberichten, dann schmeckten die Viecher nicht mal schlecht, weckten doch Mehlwürmer angeblich geschmackliche Assoziationen zu gerösteten Nüssen und Mandeln.

«Das machen wir nicht mit.»

Fredi Bloch, Restaurant Obstgarten Freienbach

Wiesner bleibt unbeeindruckt: «Ich sehe das nüchtern. Es muss in den Köpfen der Schweizer schalten, sonst bleibts bei einer periodischen Trenderscheinung.» Wenn überhaupt, dann würde sich dieser Prozess nicht von heute auf morgen vollziehen, sondern mehrere Generationen dauern, meint der Koch.

Ein tiefer kultureller Graben

Selbst im China-Restaurant Shanghai an der Haldenstrasse in Luzern besteht nicht die Absicht, künftig Insekten in die Speisekarten aufzunehmen. «Bei uns gibt es keine Insekten zum Verspeisen und wird es auch in Zukunft nicht geben», heisst es auf Anfrage. Schliesslich werde keine traditionelle chinesische Küche angeboten, sondern eine auf europäische Gäste abgestimmte chinesische Küche. Auch hier spielen kulturelle Schranken die Hauptproblematik.

Negative Rückmeldungen gibt es auch aus den in Luzern situierten Lokalen Bing Haus, Li Tai Pe und Chang Cheng. Ein wortkarger Küchenchef aus dem Bing Haus meint fast lapidar: «Wir bieten das nicht an. Ich selber esse keine Insekten und weiss auch nicht, wie man diese zubereitet.» Und im Chang Cheng wolle man bei der Pekingente bleiben.

Europa ist nicht China und Luzern ist nicht Peking. Der kulturelle Graben ist schlicht zu tief. Der Kopf steht im Weg. Was in China, Thailand und Afrika weitestgehend normal ist, wird bei uns wohl auch in naher Zukunft eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Die politischen und rechtlichen Hürden werden zwar abgebaut, doch die Vorbehalte in den Köpfen der Menschen verschwinden – wenn überhaupt – nur sehr gemächlich.

«Ich weiss nicht, wie man Insekten zubereitet.»

Küchenchef Bing Haus Luzern

Die Revision des Lebensmittelgesetzes hat darüberhinaus einen entscheidenen Haken: Die offerierten Insekten müssen eindeutig als solche erkennbar sein. Dabei wird unweigerlich eine hohe Hemmschwelle zum Tragen kommen. Denn pürierter Insektenbrei in Form eines Nuggets beispielsweise würde seitens der Konsumenten mit Sicherheit auf Akzeptanz stossen – zumindest auf eine höhere Akzeptanz, als wenn man der frittierten Grille vor dem Verspeisen in die Augen blickt.

Bis es zu einem Umdenken kommen wird, haben Gastronomen zumindest genügend Zeit, um sich ausgefallene Rezepte mit den neuen Zutaten auszudenken.

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