33 Verletzte letztes Jahr – und kein Ende in Sicht

Gewalt gegen Polizei: Stadt Luzern national auf Platz 1

Ein Grund für die häufigen Übergriffe auf Polizisten ist das ausufernde Nachtleben von Luzern. (Bild: Emmanuel Ammon / Aura)

Bespuckt, beschimpft, geschlagen: Nirgendwo in der Schweiz werden – im Verhältnis zur Bevölkerung – mehr Fälle von Gewalt und Drohung gegen Behörden registriert als in der Stadt Luzern. Was sind die Gründe? zentralplus macht sich auf Spurensuche.

Der Fall steht stellvertretend für viele: Eine Frau verständigt die Polizei, weil sie Angst hat, dass ihr Freund sich etwas antun könnte. Dieser hat psychische Probleme – und ist nach einem Streit einfach verschwunden. Die Polizisten wollen helfen und klappern die Luzerner Bars ab.

Als sie den Mann finden, ist er betrunken – und versteht nicht, warum die Polizei ihn mitnehmen will. Er wehrt sich massiv. Beschimpft die Polizisten, spuckt ihnen ins Gesicht.

209 solche oder ähnliche Fälle wurden letztes Jahr im Kanton Luzern gemeldet. Die Zahl der betroffenen Polizisten liegt bei 220, 33 von ihnen wurden dabei verletzt. Das heisst: Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass in Luzern eine Polizistin angefeindet, bedroht oder gar angegriffen wird.

Das Nachtleben ist ein Problem

Eine Auswertung des Bundesamts für Statistik zeigt, dass es 2020 in keinem anderen Schweizer Bezirk im Verhältnis zur Bevölkerungsgrösse so viele Fälle von «Gewalt und Drohung gegen Behörden» gab wie in der Stadt Luzern.

Warum ist das so? Ein Grund ist das aktive Nachtleben, das die Stadt Luzern im Vergleich zu den umliegenden Gemeinden hat. Polizeisprecher Christian Bertschi schildert einen «typischen Fall», der an einem frühen Sonntagmorgen passiert ist. «Der Sicherheitsdienst eines Lokals in der Stadt Luzern bat um eine Hilfe, weil eine Besucherin des Lokals gegenüber den Angestellten aggressiv und ausfällig geworden sei.» Beim Eintreffen der Patrouille schrie die Frau vor dem Lokal herum.

Die Frau sei dazu aufgefordert worden, das Areal zu verlassen und nach Hause zu gehen. «Sie lief dann einige Meter davon, traf auf eine Kollegin und begann die Polizisten mit Beleidigungen einzudecken. Dann bäumten sich die beiden Frauen in drohender Haltung vor den Polizisten auf und schrien sie an», erzählt Bertschi.

Als sie daraufhin festgenommen wurden, trat die eine Frau mehrfach mit den Beinen gegen die Polizisten. «Bei der Befragung am anderen Tag gaben die beiden Frauen an, sich aufgrund des Alkoholkonsums an nichts mehr erinnern zu können», so Bertschi.

Das öffentliche Leben stand still – nicht aber die Zahl der Übergriffe

Die Fälle von Gewalt und Drohung gegen Polizisten ereignen sich also meist an den Wochenenden, «oftmals gepaart mit übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum und fehlendem Respekt», wie Bertschi sagt. Zu denken gibt, dass die Zahl der Zwischenfälle in Luzern 2020 trotz Beizen-Lockdown kaum zurückgegangen ist.

Das öffentliche Leben stand letztes Jahr über Monate fast still. Trotzdem ist die Zahl der Übergriffe gegenüber Polizisten nicht gesunken. Könnte das allenfalls mit dem Widerstand gegen die Corona-Massnahmen zusammenhängen?

Die Zahl der unbewilligten Demonstrationen ist in den letzten drei Jahren in der Stadt angestiegen (zentralplus berichtete). Bekannt ist zudem, dass im Zusammenhang mit einer Corona-Kundgebung Polizisten verletzt wurden (zentralplus berichtete).

Illegale Demonstrationen sind eine Belastung

Polizeikommandant Adi Achermann räumte gegenüber zentralplus ein, dass diese Einsätze für die Luzerner Polizei eine Belastung sind. Es sei aber schwierig abzuschätzen, ob die Zahl der Fälle von Gewalt und Drohung deswegen zunimmt, meint Christian Bertschi.

Die Szene ist für Provokationen gegen Polizisten bekannt. Im Netz kursiert beispielsweise ein Video von der Mass-Voll-Kundgebung letzte Woche vor dem Verkehrshaus. Eine Demo-Teilnehmerin rückt einem Polizisten derart auf die Pelle, dass er sie wegstösst. Daraufhin nähert sich ein weiterer Demonstrant dem Polizisten bis auf wenige Zentimeter und bläst ihm Zigarrenrauch ins Gesicht.

Verbreitet wird das Video als «Beispiel für Polizeigewalt» – und nicht etwa umgekehrt. «Eine so nahe Annäherung ist weder anständig noch nötig», sagt Christian Bertschi. In der Statistik landen wird der Fall aber nicht. «Aus unserer Sicht hat es vor allem mit Anstand zu tun, wie man sich den Mitmenschen gegenüber verhält», meint der Polizeisprecher.

Alltagsprovokationen landen nicht in der Statistik

«In diesem konkreten Fall war es uns im Einsatz wichtig, keine Auseinandersetzung oder Gewalttätigkeiten auf der Gegenseite zu provozieren. Unsere Aufgabe bestand darin, die Ausfahrt des Bundesrates aus dem Verkehrshaus zu ermöglichen», sagt Bertschi weiter. Gleichzeitig betont er: «Selbstverständlich muss und darf sich ein Polizist nicht alles bieten lassen.»

Der Fall zeigt, welche Provokationen die Polizei neben den expliziten Beschimpfungen erlebt. Ruhig zu bleiben, dürfte da nicht immer leicht fallen. «Der professionelle Umgang mit Personen und ihren Emotionen spielt in der Aus- und Weiterbildung eine zentrale Rolle», sagt Bertschi. «Allerdings sieht die Praxis oft noch unberechenbarer aus. Da sind eine hohe Sozialkompetenz, Wachsamkeit sowie ein gutes Gespür für Menschen besonders gefragt.»

Diese Eigenschaften spielen bereits im Rekrutierungsverfahren eine wichtige Rolle. Dieses bereitet der Luzerner Polizei allerdings in den letzten Jahren zunehmend Schwierigkeiten (zentralplus berichtete).

Betroffene werden betreut

Nach jedem Einsatz findet ein sogenanntes Debriefing oder eine kurze Einsatzbesprechung statt. «Weiter haben wir bei der Luzerner Polizei einen professionellen psychologischen Dienst, zudem erfahrene Polizistinnen und Polizisten als sogenannte Peers zur Verfügung, die von betroffenen Polizistinnen zur Betreuung in Anspruch genommen werden können», sagt Bertschi.

Gemäss der Statistik ist das Risiko, als Polizist Opfer eines Übergriffs zu werden, in der Stadt am höchsten. Gab es deshalb schon Gesuche um Versetzung? «Bei der Luzerner Polizei kommt es immer wieder zu Arbeitsplatzwechseln von Polizistinnen und Polizisten», meint dazu Bertschi. In erster Linie würden die Abteilungswechsel allerdings nicht mit Vorfällen von Gewalt und Drohungen begründet.

Der Mangel an Respekt und eine latente Gewaltbereitschaft gegenüber Polizistinnen ist im Kanton Luzern schon lange Thema. Zuletzt forderte die Mitte 2016, dass sie besser geschützt werden (zentralplus berichtete). Die neusten Zahlen zeigen: Genützt haben die bislang ergriffenen Massnahmen wenig bis nichts.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von schaltjahr
    schaltjahr, 21.10.2021, 09:06 Uhr

    Nun gehen die Wellen wieder einmal hoch. Gewalt gegen die Polizei … Schon 2016 war das ein Thema. Neue Schutzwesten und Spuckhauben wurden beschafft .. und Ruhe war. Regierung und Parlament legten sich wieder zur Ruhe.
    Nun erneut das selbe Bild und die Schläfer sind wachgerüttelt .. Man gibt sich ratlos. Fünf neue Stellen sollen es diesmal richten ,,
    Wacht endlich auf. Die Politik hat die Luzerner Polizei in den vergangenen Jahren zur Juxtruppe verkommen lassen. Fehlende Resourcen ( Personell und Materiell ) sind Fakt und nicht Enschuldbar. Nun gibt es Offenbar wieder Geld in der kantonskasse, so rüstet endlich die Polizei so aus, dass sie Arbeiten kann.
    Vielleict müsste man auch das Führungpersonal austauschen. Spätestens bei den nächsten Wahlen sollte das dann möglich sein…

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  • Profilfoto von Onlyone
    Onlyone, 20.10.2021, 18:42 Uhr

    Die steigende Gewalt gegen Polizisten ist absolut gerechtfertigt. Es ist nur ein Angleichen an das respektlose und überhebliche Verhalten der Staats-Schlägertrupps.

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  • Profilfoto von Oliver Heeb
    Oliver Heeb, 20.10.2021, 11:41 Uhr

    Sofern ich mich richtig erinnere, hat es während der letzten Debatte zum Sicherheitsbericht im Grossen Stadtrat nur sehr vereinzelte bis gar keine warnenden Stimmen gegeben. Offenbar gehen Wahrnehmung und Realität auch bei den Palamentarier/innen sehr stark auseinander. Und solange bestimmte Probleme nicht angesprochen werden dürfen, solange lassen sich auch keine Lösungsansätze finden. Die SIP und der Posten des Sicherheitskoordinators werden gerne als Beispiele dazu herangezogen, wie gut man in der Stadt Luzern unterwegs sei. Scheinbar reicht das nicht. Was die Polizei auslöffeln muss, sind auch Defizite in anderen Politikbereichen; namentlich der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Kurzfristig dürfte es sicher helfen, wenn die Polizei personell aufgestockt werden könnte. Sie hat weiss Gott auch noch andere Herausforderungen zu bewältigen, die nicht kleiner werden.

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