Luzerner Kantonsrätinnen lancieren mehrere Vorstösse

Gewalt an Frauen: Der Kanton soll mehr als nur «das Minimum» machen

Am Seebecken sind zwischen Seebrücke und Pavillon 1000 Windlichter aufgestellt. (Bild: Natalie Boo)

Gewalt in den eigenen vier Wänden bleibt ein Dauerproblem. Um dagegen stärker anzukämpfen, lancieren drei Luzerner SP-Kantonsrätinnen am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen mehrere Vorstösse. Denn viele Anliegen würden bis dato «stiefmütterlich» behandelt, finden sie.

In den eigenen vier Wänden beschimpft, erniedrigt, bedroht und geschlagen: Häusliche Gewalt ist ein Problem. In der Schweiz wurde letztes Jahr mit 18'522 Straftaten ein neuer Höchststand erreicht.

Jede Woche wird eine Person Opfer eines Tötungsversuchs. Letztes Jahr starben in der Schweiz 27 Personen – davon 24 Frauen. Auch in Luzern sind die Straftaten anhaltend hoch: 411 Fälle häuslicher Gewalt wurden letztes Jahr registriert. Tatsächlich dürften es wesentlich mehr sein. Die Dunkelziffer ist hoch.

Um darauf aufmerksam zu machen, fand in Luzern an diesem Montagabend die Aktion «Frauen sind unschlagbar» statt. Eine meterlange Lichterkette aus Windlichtern ziert derzeit das Luzerner Seebecken. Es soll den Start der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» markieren – heute ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Drei Luzerner SP-Kantonsrätinnen nehmen das zum Anlass, gleich fünf Vorstösse zu lancieren.

Der Kanton macht «das Minimum vom Minimum»

«Luzern macht das Minimum vom Minimum zum Schutz vor häuslicher Gewalt», sagte SP-Kantonsrätin Ylfete Fanaj in ihrer Ansprache vor dem Regierungsgebäude beim diesjährigen Frauenstreik (zentralplus berichtete).

Denn der kantonale Sparhammer machte auch bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt keinen Halt. Der Kanton Luzern kürzte im Frühling vor zwei Jahren die Koordinations- und Präventionsstelle Häusliche Gewalt um 40 Prozent. Sie sei «auf ein Minimum» reduziert worden, kritisiert Helene Meyer-Jenni. Denn bis dato stehen nur noch zehn Stellenprozente zur Verfügung.

Die SP-Kantonsrätin fordert in ihrem Vorstoss, dass die Regierung «die bestehende Mini-Koordinations- und Präventionsstelle» wieder um 40 Prozent erhöht – sodass wieder 50 Stellenprozente bereitstehen wie Anfang 2017. «Was immer noch sehr bescheiden ist», so Jenni in ihrem Vorstoss.

Die Gewalt in den Griff bekommen

Auch Melanie Setz Isenegger kritisiert, was der Kanton zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt macht – oder eben nicht macht. «Es gibt vieles, was stiefmütterlich behandelt wird, wenn es um Gewalt an Frauen geht», sagt sie gegenüber zentralplus. Sie will von der Regierung wissen, wie oft Wegweisungen, Betretungs- und Rayonverbote ausgesprochen werden und freiwillige oder Pflichtberatungen angeboten werden. Auch stellt sie Fragen zu Lernprogrammen.

«Viele Frauen sind in einem Zwiespalt.»

Melanie Setz Isenegger, SP-Kantonsrätin

«Ich bin überzeugt, dass man Gewalt in den Griff bekommen kann, wenn man fachliche Unterstützung erhält», sagt Setz Isenegger. Oftmals schwinge bei häuslicher Gewalt Scham mit. Opfer und Täter getrauten sich nicht, darüber zu sprechen. Zudem bestehe zwischen den beiden häufig eine Abhängigkeit. «Viele Frauen sind in einem Zwiespalt», so Setz Isenegger. Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, informieren zwar die Polizei oder suchen Schutz im Frauenhaus. Das Problem: «Weil die Frauen oft finanziell oder emotional abhängig von ihrem Mann sind oder Mitleid mit ihm haben, kehren sie häufig zu ihm zurück.»

Wo finden geflüchtete Frauen Schutz?

Wenn es um häusliche Gewalt geht, wird laut Setz Isenegger aber insbesondere eine Personengruppe links liegen gelassen: geflüchtete Frauen.

Und gerade sie seien es, die zu den verletzlichsten Personen gehörten: «Sie haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus, wissen nicht, wie es in einem Land weitergeht. Oftmals haben sie ausserdem dramatische Ereignisse auf der Flucht erlebt. Wenn man diese Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, nicht abfangen kann, ist das verheerend.»

«In der Hälfte aller Fälle häuslicher Gewalt sind Kinder im Haus. Und auch sie leiden darunter.»

Pia Engler, SP-Kantonsrätin

Kommt hinzu, dass die Regierung in einer früheren Antwort auf einen Vorstoss von Ylfete Fanaj antwortete, dass es in Luzern zwar verschiedene Stellen gebe, welche Aufgaben im Bereich Gewalt gegen Frauen wahrnähmen. Sie seien jedoch nur für Frauen mit gesichertem Aufenthaltsstatus zugänglich.

Hier findest du Hilfe

Du bist selbst von Gewalt betroffen? Das Frauenhaus Luzern bietet gewaltbetroffenen Frauen – mit oder ohne Kindern – Schutz, Unterkunft und Beratung. Auch kannst du rund um die Uhr auf die Helpline 041 360 70 00 anrufen.

Die Opferberatungsstelle ist für Menschen da, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sind. Zögere nicht, auf 041 228 74 00 anzurufen, wenn du Hilfe bei der Bewältigung einer bestimmten Situation brauchst.

Für Notfälle und Hilfe vor Ort ist die Polizei für dich da (Notruf-Nummer 117).

Wenn du als Mann selbst Gewalt ausübst und damit aufhören willst oder merkst, wie aggressive Gefühle in dir aufkommen, kannst du dich an Agredis wenden. Agredis bietet persönliche Gewaltberatungen an. Von Mann zu Mann. Telefonisch gibts über die Nummer 078 744 88 88 Unterstützung. Täglich von 7 bis 22 Uhr.

Setz Isenegger stellt in einem weiteren Vorstoss Fragen: Etwa zum Thema, an wen sich Menschen, die im Ausland Opfer von Gewalt wurden, wenden können, wenn sie in einem Asylverfahren sind. Oder einen negativen Entscheid erhalten haben oder keinen geregelten Aufenthaltsstatus vorweisen können. Auch möchte sie wissen, ob die geleistete Opferhilfe den Vorgaben der Istanbul-Konvention entspreche.

Auch Kinder leiden

Doch auch über Kinder und Jugendliche werde oftmals geschwiegen, wenn es um Gewalt in den eigenen vier Wänden gehe. Der Fokus liege stark auf Paarbeziehungen. «Wenn man von häuslicher Gewalt spricht, meint man meistens den Übergriff eines Mannes auf eine Frau», sagt Pia Engler. «Dabei sind in der Hälfte aller Fälle häuslicher Gewalt Kinder im Haus. Und auch sie leiden darunter.»

Unsicherheit, Angst, Stress und Drohungen würden zu ihrem Alltag gehören. «Unserer Gesellschaft und Politik ist das zu wenig bewusst.» Engler will deshalb von der Regierung wissen, wie Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen oder umgeben sind, geschützt werden.

Von links nach rechts die drei SP-Kantonsrätinnen Pia Engler, Helene Meyer-Jenni und Melanie Setz Isenegger.

Bundesgelder sollen abgeholt werden

Zudem fordert sie die Regierung auf, Fachpersonen aus Justiz, Gesundheit und Soziales verstärkt zu schulen. Grosses Fachwissen sei unumgänglich. Gerade in Bezug auf Kinder, die selbst oft nicht verstehen würden, was in der Familie geschehe. Oder anderen nicht verraten wollten, dass der Vater gegenüber der Mutter gewalttätig sei. Schulen, aber auch das Sozialwesen müssten sensibilisiert werden, ein offenes Ohr haben. «Nur so können Fachpersonen verstehen, dass es auch entsprechende Hintergründe haben kann, wenn ein Kind beispielsweise nicht mehr gut schlafen kann oder den Schulbesuch verweigert.»

«Gewaltbereite Männer werden in ihrem Handeln nur bestärkt und bestätigt, wenn zwar die Polizei im Haus war, es aber keine weiteren Folgen wie eine Wegweisung gab.»

Pia Engler, SP-Kantonsrätin

Auch der Bundesrat will die Massnahmen gegen Gewalt an Frauen und gegen häusliche Gewalt verstärken. Kürzlich verabschiedete er eine neue Verordnung und stellt für Präventions- und Bildungsarbeit ab 2021 einen Beitrag von rund drei Millionen Franken in Aussicht.

Engler fordert die Regierung auf, dass sie diese Bundesgelder für die Schulung von Fachpersonen aus Justiz, Gesundheit und Soziales abholt und geeignete Fachstellen für diesen Auftrag findet.

«Es braucht die Öffentlichkeit»

«Gewaltbereite Männer werden in ihrem Handeln nur bestärkt und bestätigt, wenn zwar die Polizei im Haus war, es aber keine weiteren Folgen wie eine Wegweisung gab», so Engler. Die abschreckende Wirkung entfalle – und häusliche Gewalt finde weiterhin statt. «Um dagegen anzukämpfen, braucht es die Öffentlichkeit und eine gute Präventionsarbeit.»

Um auf die Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen, stellten am Montagabend Engagierte des Frauenstreiks Luzern hunderte Windlichter entlang des Seebeckens auf. Jedes einzelne Windlicht setzt ein Zeichen gegen die Gewalt. Mit den Worten: «Frauen sind unschlagbar».

Auch in den kommenden Tagen sollen diese Windlichter in Luzern, in Schaufenstern, Beizen und privaten Fenstern anzutreffen sein, teilt das Luzerner Frauenstreikkomitee am Montagabend mit. «Um das Thema Gewalt an Frauen nicht im Dunkeln zu belassen.»

Um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen, wurden am Montagabend hunderte Windlichter aufgestellt. (Bild: Natalie Boo)
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