Die Gründerin von Terra Alta im Gespräch

Sie begleitete Schwangere jahrelang – nun tritt sie kürzer

Renate Ruckstuhl im Geburtshaus Terra Alta in Luzern. (Bild: mst)

Renate Ruckstuhl (61) hat in Oberkirch und Luzern die Geburtshäuser Terra Alta mitgegründet. Nach 18 Jahren gibt sie nun die Geschäftsleitung an eine jüngere Generation ab.

«Wir hatten nie geplant, ein Geburtshaus zu eröffnen,» sagt Renate Ruckstuhl und lacht. Wie so vieles im Leben wurde auch das Terra Alta 2005 aus der Not heraus geboren. Heute, 18 Jahre später, ist es mit drei Häusern, 12 Betten im Familienwochenbett, 4 Geburtszimmern und gut 70 Mitarbeiterinnen das grösste Geburtshaus der Schweiz. Aktuell begleitet das Terra-Alta-Team pro Jahr 500 Familien und hilft 250 Kindern, auf die Welt zu kommen.

Begonnen hat das Projekt mit einer Sparmassnahme. Damals arbeiteten Renate Ruckstuhl und ihre Kolleginnen in einer Hebammenpraxis und waren dazu im Rahmen eines Pilotprojekts als Beleghebammen im Spital Sursee angestellt. Doch das Spital strich das Projekt der Beleghebammen nach fünf Jahren aus Kostengründen wieder.

Aus der Not entstanden

Die Hebammen standen nun also ohne einen Ort da, an dem sie Schwangere auch bei der Geburt hätten betreuen können. So entstand die Idee, ein eigenes Geburtshaus aufzubauen, in dem Hebammen die Frauen sowohl vor wie auch während und nach der Geburt eins zu eins betreuen können, was 2005 auch geschah. Nach rund 20 Jahren im Beruf etwas selbst gestalten zu können, war für die erfahrenen Hebammen reizvoll, wie Renate Ruckstuhl erklärt.

Die betriebswirtschaftlichen und administrativen Aspekte einer solchen Gründung und Weiterentwicklung seien aber eine Herausforderung gewesen. So sind Ruckstuhls Arbeitskolleginnen im Laufe der Jahre nach und nach aus dem Betrieb ausgestiegen. Heute ist sie die letzte Aktive der ehemaligen Gründungsmitglieder. «Wir sind 2005 mit vier Familienzimmern in Oberkirch gestartet», erklärt die 61-Jährige, «und haben die Kapazität 2015 auf sieben Familienzimmer ausgebaut.» Die Nachfrage sei in den ersten neun Jahren kontinuierlich gestiegen. Der Um- und Anbau des Geburtshauses in Oberkirch kostete 1,5 Millionen Franken, dauerte rund ein Jahr und brachte vier weitere Familien-, zwei Gebärzimmer sowie grössere Aufenthaltsräume hinzu.

Übergabe der Geschäftsführung

Als auch diese Kapazität ausgeschöpft war und das Terra Alta mit dem neuen Standort in Luzern bei zwei Geburtshäusern, einem Wochenbetthaus und 70 Mitarbeiterinnen angelangt war (zentralplus berichtete), entschied der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung auf mehrere Schultern zu verteilen. Das geschieht nun.

«Ich habe schon so viel Organisationsentwicklung erlebt, dass das ein guter Moment war, um eine jüngere Generation nachrücken zu lassen, um die Häuser jetzt zu stabilisieren», sagt Ruckstuhl dazu.

Eine nachhaltige Familienform finden

In ihrer Zeit im Terra Alta hat sie viel erlebt. «Jede Geburt ist anders und auf ihre Art besonders. In den 18 Jahren habe ich aber ein paar Familien betreut, die vier oder fünf Kinder geboren haben. So habe ich sie über fast 10 Jahre weg begleitet. Das ist etwas sehr Besonderes», sagt Ruckstuhl.

Sie wird mit ihrem Mann weiterhin Wochenendkurse im Geburtshaus zum Thema Elternwerden anbieten. Viele Paare würden die erste Geburt unterschätzen, sagt sie. Das Familien- und Berufsleben sei so verschieden und die ihre Vereinbarung würde viele Eltern völlig überfordern. «Unser Ziel ist es, auch die Männer mit ihren Fragen abzuholen und darüber zu sprechen, wie sie als Paar und als Eltern ein Familienleben gestalten können, das für beide funktioniert.»

Frauen schätzen die Eins-zu-eins-Betreuung

Zurück zum Geburtshaus: Die Attraktivität des Angebots liegt laut Ruckstuhl vorallem in der Eins-zu-eins-Betreuung, die in einem Spital aufgrund der Dienstpläne nicht gewährleistet werden könne. Im Geburtshaus sei eine Hebamme dabei, die während ihrer Arbeitszeit nicht weggerufen werde. Die Frauen würden gerade diesen Sicherheitsaspekt sehr schätzen, sagt sie. «Man unterschätzt oft den körperlichen Prozess der Geburt. Es ist ein hormoneller Ablauf und wenn man im Kopf nicht frei ist, dann kann sich der Körper nicht auf die Geburt einlassen. Dafür brauche es einen intimen, geschützten Rahmen und eine kontinuierliche Betreuung.»

Zudem hätten sich Geburtshäuser als vertrauenswürdige Alternative etabliert: «Es gibt schweizweit eine Tendenz, dass Frauen, die eine normale Schwangerschaft haben und mit einer normalen Geburt rechnen können, sich die Frage stellen, ob es eine Spitalbetreuung braucht.»

Der Fokus von der Frau auf die Familie

Seit 2009 sind Geburtshäuser im Schweizer Gesundheitsgesetz verankert und somit den Spitälern gleichgestellt. Sie können sich um einen Platz auf der kantonalen Spitalliste bewerben. Daher gibt es für die Wöchnerin, also für die Frauen in den ersten Tagen nach der Geburt, auch keine Extrakosten für die Familienzimmer des Terra Alta.

Die enge Betreuung sei auch deshalb wichtig, da bei vielen Frauen heute eine grosse Unsicherheit bezüglich der Schwangerschaft und Geburt vorhanden sei, erzählt Renate Ruckstuhl. «Die Kaiserschnittrate ist Jahren sehr hoch. Viele Frauen trauen sich eine natürliche Geburt und einen natürlichen Umgang mit den Wehen nicht mehr zu.»

Das habe auch mit dem Wandel der Wohnformen zu tun. In Grossfamilien hätten Menschen früher den Umgang mit Kindern von klein auf gelernt und Schwangerschaften und Geburten in der Familie miterlebt. Die heutigen Wohnformen hätten den Druck gerade auf junge Eltern stark erhöht. Die Schwangerschaft sei davon nicht ausgenommen. Der soziale Druck, möglichst viele Krankheiten oder genetische Besonderheiten frühzeitig abzuklären, sei mit den vielen Diagnosemöglichkeiten gestiegen, sagt Renate Ruckstuhl.

«Viele realisieren erst relativ spät, welche Entscheidungen auf sie zukommen und mit welchen Fragen sie sich auseinandersetzen müssen.» Im Geburtshaus versuchen die Hebammen, die Eltern bei diesen Entscheidungen zu begleiten und ihnen einen eigenen Umgang mit diesem Druck aufzuzeigen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Renate Ruckstuhl
  • Website von Terra Alta
  • Website des Bundesamts für Statistik zu reproduktiver Gesundheit
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
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1 Kommentar
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    Sandra, 02.04.2023, 14:45 Uhr

    Danke all den terra alta hebammen ! auch an alle gründerinnen! ihr habt so viel tolle arbeit geleistet! 💚

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