Menschen zu Unrecht in bedrohliche Lage gebracht

«Schwarze Liste»: Zug hielt sich nicht an Bundesrecht

Wer auf der schwarzen Liste eingetragen ist, wird nur im Notfall behandelt. (Symbolbild) (Bild: Adobe Stock)

Zug ist einer von fünf Kantonen, der eine «Schwarze Liste» der Krankenkassen zulässt. Kürzlich wurde klar: Die Umsetzung dieser grundsätzlich stark kritisierten Liste lief in Zug seit 2012 nicht bundesrechtskonform. Nun wird die Praxis angepasst. Wie genau, ist jedoch unklar.

Eine ziemlich unscheinbare Meldung der Zuger Gesundheitsdirektion erreichte die Öffentlichkeit im Dezember. Eine, welche die meisten Menschen ignoriert haben dürften. Schlichtweg, weil sie ziemlich kompliziert und auf den ersten Blick für Nicht-Betroffene unverständlich ist.

Konkret geht es in der Mitteilung der Regierung um die Liste säumiger Prämienzahler (LSP), die sogenannte «Schwarze Liste». Dieses sehr umstrittene Instrument wird noch von einigen wenigen Kantonen als Druckmittel angewendet, um säumige Krankenkassenzahler dazu zu bringen, ihre Gesundheitskosten zu begleichen.

Auf dieser Liste will niemand stehen

Wer auf der unliebsamen Liste steht, erhält nur noch die medizinische Nothilfe zugesprochen. Das allein ist schon einschneidend. Dazu kommt, dass die Krankenkassen selber bestimmen können, wie Nothilfe definiert wird. So etwa wollte eine Krankenkasse im Kanton St. Gallen 2016 nicht für die Kosten einer Geburt aufkommen, da es sich bei einer Niederkunft nicht um einen Notfall handle.

Ein noch schwerwiegenderer Fall spielte sich im Jahr 2017 in Graubünden ab. Einem HIV-erkrankten Mann verweigerte die Krankenkasse mehrmals die Medikamente. Der Mann verstarb daraufhin. In der Folge schuf der Kanton Graubünden die Liste wieder ab. Ebenso taten dies etwa der Kanton Solothurn und St. Gallen.

«Es ergibt sich aufgrund des Verwaltungsgerichtsurteils ein Anpassungsbedarf.»

Martin Pfister, Zuger Gesundheitsdirektor

Zug hält bislang an diesem Instrument fest. Dies gemäss zuständigem Regierungsrat Martin Pfister insbesondere, weil «das Vorgehen im Zusammenhang mit der Nichtbezahlung von Prämien und Kostenbeteiligungen gesetzlich verbindlich geregelt» sei. Zwar habe der Regierungsrat Ende 2018 im Rahmen eines SP-Vorstosses mehrere Alternativen aufgezeigt. Doch wollte der Kanton die Entwicklungen auf nationaler Ebene abwarten.

Eine Praxisänderung, die von grossem Gewicht ist

Anfangs Dezember entschied nun nach dem Ständerat auch der Nationalrat mit knapper Mehrheit, die Möglichkeit solcher Schwarzer Listen für die Kantone zu erhalten. Martin Pfister sagt jedoch: «Gleichzeitig ergibt sich aufgrund des Verwaltungsgerichtsurteils ein Anpassungsbedarf bei den einschlägigen Bestimmungen im Kanton Zug.»

Diese genannte Praxisänderung, welche der Kanton Zug im Dezember ankündigte und für Laien insignifikant klingt, ist von grossem Gewicht. Nicht nur das. Sie ist ein Eingeständnis, dass der Kanton Zug in den letzten Jahren wider das Bundesrecht gehandelt hat.

Durch die bisherige Praxis wurden auch «die Falschen» erwischt

Zum Verständnis: Bislang landeten auf der Schwarzen Liste Zuger, die gemäss Pfändungsamt zahlungsunfähig waren, respektive bereits über einen Verlustschein verfügten. Ein Verlustschein wird erst dann erstellt, wenn bereits erwiesen ist, dass die Person nicht zahlen kann. Also erst dann, wenn das Pfändungsamt schon festgestellt hat, dass es bei der Person «nichts zu holen gibt».

Bloss: Das ist nicht die Idee der Liste. Vielmehr geht es darum, «jene Schuldner rechtzeitig zu erfassen, die zwar zahlungsfähig, aber zahlungsunwillig sind und bei denen deshalb davon ausgegangen werden kann, dass sie unter dem Druck des Betreibungsverfahrens früher oder später ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Versicherern nachkommen, beziehungsweise bei denen keine Aussicht auf einen Verlustschein besteht», hält das Verwaltungsgericht fest.

Die Zuger Handhabung war nicht bundesrechtskonform

Das Urteil vom August 2021, welches der Autorin vorliegt, weist ausserdem darauf hin, dass die Zuger Bestimmung «eine missverständliche und mithin nicht bundesrechtskonforme Formulierung» enthalte, auf welche sich der Beschwerdegegner nicht stützen dürfe. Die Regierung hat nun also darauf reagiert und die bestehenden Listeneinträge gelöscht.

Wie kommt es, dass diese Praxis in Zug so lange angewendet wurde? Gesundheitsdirektor Martin Pfister sagt dazu: «Die bisherige Praxis erfolgte im Einklang mit den kantonalen Bestimmungen. Die Differenz zum Bundesgesetz wurde vom Verwaltungsgericht in der zweiten Jahreshälfte 2021 festgestellt. Nach Bekanntwerden haben die Gemeinden und der Kanton umgehend reagiert.»

Schon vor diesem Urteil kam Bewegung in die Zuger Praxis. Dies insbesondere aufgrund einer SP-Interpellation aus dem Jahr 2018. Infolgedessen erhielt André Widmer den Auftrag vom Kanton, Fälle aufzuzeigen, in denen ein Listeneintrag unvertretbar sei. Widmer arbeitet als Schuldenberater für die Fachstelle Triangel in Zug. Er ist deshalb sehr häufig mit Menschen in Kontakt, die vom Kanton bereits sanktioniert wurden oder zumindest nahe dran sind.

Listeneintrag kann lebensbedrohlich werden

Die Gefahr, welche die bisherige Praxis gemäss Widmer berge: «Dass Zahlungsunfähige in Lebensgefahr geraten.» Klingt etwas gar dramatisch? Ist es aber nicht. Widmer kennt einige Fälle, für welche ein Listeneintrag lebensbedrohlich hätte enden können. Dies etwa, weil deren teils überlebenswichtige Medikamente nicht mehr von der Krankenkasse übernommen würden.

«Ich bin sehr froh, dass uns der Regierungsrat zugehört hat.»

André Widmer, Zuger Schuldenberater

André Widmer ist darum sehr erleichtert über die Sistierung der Praxis. «Ich bin sehr froh, dass uns der Regierungsrat zugehört hat.» Was Widmer jedoch nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet: «Die Gemeinden sind selber für den Vollzug der Schwarzen Liste zuständig. Ich wünsche mir, dass wir mit den Gemeinden eine einheitliche Umsetzung vereinbaren können.»

«Im Kanton Zug gibt es keine gesetzliche Regelung, die Sozialbezüger von einem Listeneintrag ausschliesst.»

André Widmer, Zuger Schuldenberater

Weiter gibt der Schuldenberater zu bedenken: «Im Kanton Zug gibt es keine gesetzliche Regelung, die Sozialbezüger sowie Bezüger von AHV/IV mit Ergänzungsleistungen (EL) von einem Listeneintrag ausschliesst, wie es etwa in Luzern der Fall ist. Einzig Minderjährige sind ausgenommen.»

Auch Sozialhilfebezüger sind nicht vor der Liste sicher

Beim Kanton bestätigt man, dass grundsätzlich auch Sozialhilfe- und EL-Bezüger auf der LSP erfasst werden können. Pfister sagt: «Dabei ist zu beachten, dass der Kanton Zug eine sehr wirksame und grosszügige Prämienverbilligung kennt.» Personen mit wirtschaftlicher Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen würden in praktisch allen Fällen keine Krankenkassenprämien verbleiben, wenn sie die Prämienverbilligung beantragen.

«Im Rahmen der anstehenden Gesetzesrevision wird aber der Regierungsrat eine Auslegeordnung vornehmen und die verschiedenen Varianten beurteilen», sagt Pfister.

Dies passiert mitunter durch Arbeitsgruppen der Gemeinden. Wie der Kanton laut Auskunft der Arbeitsgruppe mitteilt, sei es jedoch nicht einfach, den verschiedenen Ansprüchen zu genügen. Gerade eben, weil die einzelnen Gemeinden selber für den Vollzug zuständig seien.

«Die faire und korrekte Behandlung von Personen, die im engeren Sinne zahlungsunfähig sind, erweise sich als Herausforderung. Schliesslich sind neben rechtlichen auch administrative, informatiktechnische und datenschutzbezogene Fragen zu klären und zu beantworten», so Martin Pfister abschliessend.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Korrespondenz mit Martin Pfister
  • Persönliches Gespräch mit André Widmer
  • Artikel «Der Bund»
  • Berichterstattung «Tages-Anzeiger»
  • Artikel «SRF» zu Parlamentsentscheid
  • Medienmitteilung Zuger Gesundheitsdirektion
  • Urteil Verwaltungsgericht des Kantons Zug zu Chamer Fall
  • Interpellationsantwort betreffend «Nutzen / Schaden der «Schwarzen Liste» 2018
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