LGBT: So fatal steht’s um die Gesundheit der Community
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Depressionen, Suizidgedanken oder mangelndes Vertrauen in Ärztinnen: Ein neuer Forschungsbericht der Hochschule Luzern zeigt auf, wie es homo-, bisexuellen und Transpersonen geht. Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild, der Bundesrat ortet Handlungsbedarf.
Wie steht es um die Gesundheit lesbischer, schwuler, bisexueller und trans Menschen in der Schweiz? Wirklich wissen konnten wir das bis anhin nicht – denn in der Schweiz haben aussagekräftige Daten dazu gefehlt. Bis jetzt. Denn nun hat die Hochschule Luzern einen 226-seitigen Forschungsbericht veröffentlicht. Die Studie in Auftrag gegeben hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Der neue Bericht zeichnet ein düsteres Bild: So leiden LGBT-Personen deutlich häufiger an Depressionen oder Suizidgedanken als die restliche Bevölkerung – und unternehmen viermal häufiger einen Suizidversuch. Dahinter stehen häufig Diskriminierungen: Statistisch gesehen wurden mehr als 2 von 3 Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert oder haben Gewalt erfahren. Ein Viertel davon auch in der Gesundheitsversorgung. Das Forschungsteam geht davon aus, dass ein Teil der Regenbogen-Community keinen Arzt aufsucht, aus Angst, diskriminiert zu werden.
«Schwarz auf weiss zu sehen, wie hoch die Rate von LGBT-Personen ist, die einen Selbstmordversuch begangen haben, ist schockierend.»
Paula Krüger, Hochschule Luzern
Die Studie erstellt hat ein HSLU-Forschungsteam um Paula Krüger und Andreas Pfister (zentralplus berichtete). Am Telefon sagt Krüger, welche Ergebnisse am meisten Eindruck bei ihr hinterlassen haben: «Schwarz auf weiss zu sehen, wie hoch die Rate von LGBT-Personen – insbesondere von trans und non-binären Menschen – ist, die einen Selbstmordversuch begangen haben, ist schockierend.» Wenn die Ergebnisse auch nicht überraschend seien, weil man dies bereits aus anderen Studien wisse.
Warum non binäre und trans Menschen besonders oft leiden
Unter non-binären Menschen versteht man Personen, die sich weder als Mann noch als Frau definieren. Transmenschen sind Personen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde. Warum diese Menschen nochmals stärker psychisch belastet sind als andere aus der Regenbogen-Community, hat das Team um Paula Krüger in dieser Studie nicht erforscht.
Die Professorin hat dennoch eine Vermutung: «Unsere Gesellschaft diskutiert schon länger prominent über Themen wie sexuelle Orientierung und damit über die Rechte von lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen. Auch auf gesetzlicher Ebene hat sich in den letzten Jahren einiges getan.» Wie etwa das Ja zur Ehe für alle: Seit diesem Sommer dürfen auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Oder die ausgeweitete Rassismusstrafnorm, der die Schweizer Bevölkerung im Februar 2020 zugestimmt hat. Womit Aufrufe zu Hass und Hetze und Beschimpfungen gegen queere Personen strafbar sind.
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«Das Thema der Geschlechtsidentität wird in unserer Gesellschaft hingegen relativ neu so prominent diskutiert. Zudem werden diese Debatten für Betroffene oft emotional und hart geführt und führen auch wieder zu Demütigungen.» Indem etwa behauptet wird, dass es nur eine «Modeerscheinung» sei, dass sich junge Menschen nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. «Dabei wird unterschätzt, welches Leid oft dahintersteckt», so Krüger. Auch Transmenschen haben bei einer Transition einen langen und beschwerlichen Weg vor sich, müssen viel über sich ergehen lassen.
Bundesrat will handeln
Die Gesundheit, beziehungsweise die soziale und gesundheitliche Gleichstellung von sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten, gehe uns alle etwas an, betont Krüger. «Im Grunde geht's um den Umgang mit Diversität.»
Einfach hinnehmen, dass queere Menschen in der Schweiz gesundheitlich schlechtergestellt sind, kann auch der Bundesrat nicht. Insbesondere jetzt, da wir es schwarz auf weiss haben.
Er ortet Handlungsbedarf. Der Bundesrat will nun prüfen, wie er die Regenbogen-Community besser erreichen kann. Er will LGBT-Personen in nationalen Strategien und Programmen besser berücksichtigen. Sodass etwa bei Kampagnen rund um sexuell übertragbare Infektionen auch lesbische und bisexuelle Menschen angesprochen werden.
Ärztinnen, Hebammen und Spitäler sollen inklusiver denken
«Es ist wichtig, dass die Gesundheitsversorgung inklusiver wird», sagt Paula Krüger dazu. «Und dazu gehört, dass Fachpersonen entsprechend weitergebildet und sensibilisiert sind für LGBT-spezifische Themen, damit sie LGBT-Personen unvoreingenommen zu Gesundheitsfragen beraten und behandeln können.» Damit es beispielsweise nicht mehr zu unnötigen Behandlungen wie einem Schwangerschaftstest bei einer lesbischen Frau ohne Kinderwunsch kommt. Dies könne demütigend für die Betroffenen sein, weil sie als Person übergangen würden, so Krüger.
«Nicht die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität per se führt zu einer psychischen Belastung, sondern die Reaktionen der Gesellschaft und des sozialen Umfelds auf diese Lebensrealitäten.»
Besonders wichtig sei das auch, weil queere Menschen mehr als doppelt so häufig als andere mangelndes Vertrauen in Ärzte und Spitäler haben (rund 16 Prozent). Diese 16 Prozent gaben an, Sorgen zu haben, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert werden. Oder sie haben schon negative Erfahrungen gemacht. Dies, indem ihnen beispielsweise unangemessene Fragen zu ihrem Privatleben gestellt wurden oder sie ungewollt geoutet wurden.
Krüger hofft nun, dass auch tatsächlich Massnahmen getroffen werden. Sie betont: «Wichtig ist zu verstehen: Nicht die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität per se führt zu einer psychischen Belastung, sondern die Reaktionen der Gesellschaft und des sozialen Umfelds auf diese Lebensrealitäten können zu einer Belastung für Betroffene werden.»
- Studie der HSLU
- Medienmitteilung des BAG
- Telefonat mit Paula Krüger
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