Jetzt geht es der «schwarze Liste» in Luzern an den Kragen
Wer seine Krankenkassenprämie nicht bezahlt – oder nicht bezahlen kann – landet in Luzern auf der schwarzen Liste. Säumige und gelistete Prämienzahler werden nur noch im Notfall behandelt. Der Luzerner Stadtrat will die Liste nun abschaffen.
Der Luzerner Stadtrat will sich starkmachen für die Abschaffung der «schwarzen Liste»: Diese Kampfansage macht er ganz am Rande im Rahmen einer Antwort auf eine Interpellation zum Thema versteckte Armut (zentralplus berichtete).
Auf der schwarzen Liste führen Kantone säumige Krankenkassenprämienzahler auf. Wer nicht bezahlt, wird auch nicht medizinisch behandelt – ausser in einem Notfall.
Noch fünf Kantone führen schwarze Listen
Die schwarze Liste steht schon länger in der Kritik. Zum einen, weil ihr Nutzen hinterfragt wird. Zum anderen, weil sie die Kantone einiges kostet. Derzeit führen neben Luzern noch vier weitere Kantone solche Listen: Zug, Tessin, Aargau und Thurgau. Vier Kantone haben eine gewisse Zeit lang schwarze Listen geführt, sie aber wieder abgeschafft. Darunter St. Gallen per Ende 2021. Und auch der Kanton Zug hat letzten Herbst mitgeteilt, dass die schwarze Liste bald der Vergangenheit angehört. Die Zuger Regierung plant derzeit eine Gesetzesänderung, um sie auf Anfang des nächsten Jahres abzuschaffen (zentralplus berichtete).
«Die Liste verfehlt aber ihren Zweck, weil die Betroffenen ihre Prämien meist nicht aus Unwillen nicht bezahlen, sondern aufgrund finanzieller Not.»
Rita Blättler, Projekte und Kommunikation der Stadt Luzern
Auch dem Bundesrat ist die schwarze Liste schon länger ein Dorn im Auge. Mehrfach äusserte er sich kritisch darüber. Vor zwei Jahren sprach er sich erneut für deren Abschaffung aus (zentralplus berichtete). National- und Ständerat stellten sich jedoch Ende 2021 dagegen. Ergo ist es den Kantonen weiterhin möglich, solche Listen zu führen.
Auch der Stadtrat hinterfragt den Nutzen
Warum findet der Luzerner Stadtrat, dass die Liste nun auch hier fällig ist? Sinn und Zweck der schwarzen Liste wäre es, die säumigen Prämienzahlerinnen dazu zu animieren, die ausstehenden Rechnungen zu bezahlen. «Die Liste verfehlt aber ihren Zweck, weil die Betroffenen ihre Prämien meist nicht aus Unwillen nicht bezahlen, sondern aufgrund finanzieller Not», schreibt Rita Blättler, Projekte und Kommunikation der Stadt Luzern, auf Anfrage. Oft handle es sich um Armutsbetroffene, die eventuell keine Prämienverbilligungen beziehen oder nicht durch wirtschaftliche Sozialhilfe unterstützt werden.
«Zielführender wäre es, wenn die Ärztinnen und Ärzten diese Personen im Bedarfsfall behandeln», so Blättler weiter. «Zudem sollten sie sie an eine Beratungsstelle verweisen, die sie in finanziellen Fragen berät und sie bei der Beantragung von Prämienverbilligungen unterstützt.» Deswegen hat die Stadt auch die beiden Leistungsvereinbarungen mit der Caritas und der Kontakt- und Beratungsstelle Sans-Papiers abgeschlossen und betreibt das Sozial Info Rex.
Die Möglichkeiten der Stadt sind zwar begrenzt. Denn zuständig für die schwarze Liste ist der Kanton, der auch über deren Abschaffung befinden kann. Dennoch kann die Haltung des Stadtrates als ein wichtiges Signal gedeutet werden.
Luzerner Regierung muss bald Stellung beziehen
Auch auf kantonaler Ebene wurde das Thema im Rahmen von Vorstössen immer wieder kritisch diskutiert. So in den Jahren 2015, 2016, 2020 und 2021. Jüngst hat SP-Kantonsrat David Roth die Regierung in einem Vorstoss dazu aufgefordert, die schwarze Liste per Ende 2023 oder auf den nächstmöglichen Zeitpunkt aufzuheben. «Eine angemessene Gesundheitsversorgung aller ist ein Grundrecht», begründete Roth. Das widerspreche der Tatsache, dass gelistete Personen nur noch im Notfall behandelt werden. Zumal liesse es sich auf Gesetzesebene gar nicht umfassend definieren, was genau unter einem «Notfall» zu verstehen sei.
«Die schwarze Liste ist ein wichtiges und deutliches Signal an alle, die ihrer Zahlungspflicht nicht ordnungsgemäss nachkommen, obwohl sie dazu in der Lage wären.»
Luzerner Regierung in einer Stellungnahme im August 2021
Wegen des hängigen Vorstosses kann das Luzerner Gesundheits- und Sozialdepartement (GSD) auf Anfrage keine Stellung dazu nehmen, warum der Kanton nach wie vor an der Liste festhält und wie er einer Abschaffung gegenübersteht.
Über 4000 Luzerner stehen auf der schwarzen Liste
Bereits vor einigen Monaten hat das GSD angekündigt, dass man die Abschaffung erneut diskutieren müsse. Nachdem die Zuger Regierung im letzten September bekannt gegeben hat, das Ende der schwarzen Liste einzuläuten, sagte das GSD gegenüber «Pilatus Today», dass aufgrund der aktuellen Entwicklungen auf Bundesebene und in den anderen Kantonen «eine erneute Überprüfung der Gesetzesbestimmung» zur Liste vorzunehmen sei. So müsse man die Vor- und Nachteile evaluieren und das Kosten-Nutzen-Verhältnis überprüfen.
Noch im August 2021 hielt es die Luzerner Regierung für verfrüht, um über eine Abschaffung zu entscheiden. Dies, weil zu dem Zeitpunkt die Beratungen im eidgenössischen Parlament noch nicht abgeschlossen waren. Das hielt der Regierungsrat in einer Antwort auf eine Anfrage von SP-Kantonsrätin Pia Engler fest.
Die Regierung unterstrich damals noch die Vorteile einer solchen Liste. Diese sollten vor allem vorbeugend wirken. «Sie ist ein wichtiges und deutliches Signal an alle, die ihrer Zahlungspflicht nicht ordnungsgemäss nachkommen, obwohl sie dazu in der Lage wären», führte die Regierung aus. Zwar räumte auch sie ein, dass es «sehr schwierig oder unmöglich» sei, den Nutzen solcher Listen mit Zahlen zu belegen. «Genauso wenig gibt es aber auch Beweise dafür, dass die Listen keinen ausreichenden Nutzen bringen.»
Zurzeit (Stand Mitte Juli) befinden sich im Kanton Luzern 4124 Personen auf der schwarzen Liste. Die Kosten für das Führen dieser Liste liegen laut Angaben des Kantons bei rund 75'000 Franken pro Jahr. Wie es mit der schwarzen Liste in Luzern weitergeht, wird aus der Stellungnahme der Regierung auf das Postulat von David Roth hervorgehen. Bis dahin lässt sich der Kanton noch nicht in die Karten blicken.
- Schriftlicher Austausch mit Rita Blättler, Projekte und Kommunikation der Stadt Luzern
- Schriftlicher Austausch mit dem Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern
- Medienmitteilung der Stadt Luzern
- Antwort des Stadtrates auf die Interpellation 246
- Postulat 1108 von David Roth vom 19. Juni 2023
- Stellungnahme A 610 der Luzerner Regierung vom 31. August 2021 auf eine Anfrage von Pia Engler
- Artikel von «Pilatus Today» vom 18. September 2022