Folterkommission nimmt Zuger Alterszentrum unter die Lupe
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Die nationale Kommission gegen Folter hat eine Kontrolle beim Alterszentrum Frauensteinmatt in Zug durchgeführt. Im Grossen und Ganzen war sie zufrieden – hatte aber trotzdem einiges zu beanstanden.
Einen Menschen festzuhalten oder ihn seiner Freiheit zu berauben, ist ein schwerer Eingriff in seine Grundrechte. Trotzdem ist es in der Schweiz in Ausnahmefällen erlaubt, beispielsweise bei Haftstrafen. Um sicherzustellen, dass dabei trotzdem die Menschen- und Grundrechte der Betroffenen gewahrt werden, kontrolliert die nationale Kommission gegen Folter (NKVF) regelmässig «Einrichtungen des Freiheitsentzugs».
Dabei kontrolliert sie nicht nur Gefängnisse, sondern auch Alters- und Pflegeheime. Denn im Rahmen von fürsorgerischer Unterbringung können auch ältere Personen gegen ihren Willen in ein Altersheim eingewiesen werden. Beispielsweise, wenn sie an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leiden oder schwer verwahrlost sind. Und auch bei Personen, die freiwillig im Heim sind, können bewegungseinschränkende Massnahmen angeordnet werden. Beispielsweise mit Matten, die bei Bewegung klingeln oder Gittern an den Betten.
Gemäss einem kürzlich veröffentlichen Bericht besuchte eine Delegation der NKVF vor kurzem das Alterszentrum Frauensteinmatt in Zug. Dabei sprach sie mit Bewohnern, Leiterinnen und Pflegern und durchsuchte verschiedenste Dokumente wie Konzepte, Richtlinien und Protokolle.
Braucht es für jeden Entscheid einen Arzt?
Im Grossen und Ganzen war die NKVF mit dem Altersheim zufrieden, wie dem Bericht zu entnehmen ist. Trotzdem hatten die Kommissionsmitglieder bei ihrem Besuch einiges zu bemängeln. So kritisierten sie unter anderem fehlendes Personal für die Aktivierung der Senioren, fehlende Konzepte und empfahl, dass bei Massnahmen zur Bewegungseinschränkung eine Ärztin beigezogen werden sollte.
Wie Frauensteinmatt-Leiter Ueli Wenger auf Anfrage sagt, werde das Alterszentrum die Verbesserungsvorschläge prüfen und wenn möglich umsetzen. Das sei jedoch nicht überall gleich möglich. So etwa beim Thema Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Dort kritisiert die Kommission, dass das Personal die Hausärztin nur vereinzelt in den Entscheid involviere. Hierbei nimmt der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister das Zentrum in einer Stellungnahme in Schutz: «Wir sind der Ansicht, dass die heutige Ausbildung der Pflegefachpersonen dafür spricht, ihnen eigenständige Anordnungen im Bereich Pflege zuzugestehen.»
«Der derzeitige Fachkräftemangel in der Pflege ist auch im Zentrum Frauensteinmatt spürbar. Die richtigen Mitarbeiter am richtigen Ort zu bekommen, ist schwer.»
Ueli Wenger, Zentrumsleiter Frauensteinmatt
Zudem könnten Pfleger die Situation oft besser einschätzen als Ärzte, welche die Bewohner nur sporadisch sehen, argumentiert Pfister. Dieser Meinung schliesst sich auch Ueli Wenger an. «Das Pflegepersonal verfügt über die nötigen Kompetenzen, um Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit festzulegen.» Dabei betont Wenger, dass sich die Pflegerinnen dazu immer im Austausch mit den Angehörigen und dem zuständigen Arzt befänden.
Einzelne nehmen zwischen 10 und 16 Medikamente am Tag
Die Kommission empfiehlt ebenfalls, regelmässige Zahnarztkontrollen bei den Bewohnern sicherzustellen. Dazu sagt Wenger, dass das Alterszentrum regelmässig Mundpflege und -hygiene durchführe. Für den Gang zum Zahnarzt seien jedoch die Angehörigen verantwortlich. Zudem liefen Gespräche mit einer Zahnarztpraxis für Behandlungen im Alterszentrum.
Auch bei der Kritik zur Polypharmazie auf der psychiatrischen Station könne das Alterszentrum nur bedingt etwas ändern, so Wenger. Die Kommission stellte bei ihrem Besuch fest, dass die Bewohnerinnen dort zum Teil zwischen 10 und 16 Medikamente täglich erhalten. Zu viel, findet die NKVF. Die Menge müsse runter – auch, um die Gefahr von unerwünschten Nebenwirkungen und Interaktionen zwischen den Medikamenten zu verhindern.
Wie Wenger sagt, hätten sie einige Bewohner mit teils mehreren chronischen psychischen Problemen. Schon dieser Umstand könne zu einer Polymedikation führen. Er betont jedoch: «Wir versuchen stets nur so viele Medikamente zu geben wie nötig. Dafür sind wir immer im Austausch mit dem ärztlichen Dienst.» Letztlich seien es jedoch meistens die persönlichen Psychiater und Ärztinnen der Bewohner selbst, die ihnen Medikamente verschreiben würden. Einmal jährlich evaluieren die Pflegepersonen mit den behandelnden Ärzten die Medikation, so Wenger.
Weniger Spaziergänge wegen Personalmangel
Beim einen Bereich zu viel, bei anderen dafür zu wenig: Wie die NKVF im Bericht schreibt, mangle es dem Frauensteinmatt an geschultem Personal in der Demenzabteilung. So könnten einige empfohlene Angebote für Demenzkranke nicht angeboten werden, da dazu ausgebildetes Personal fehle, hält die Kommission fest.
Weiter habe das Zentrum zu wenig Personal im Bereich Aktivierung. Dieser umfasst eine Vielzahl an Tätigkeiten, um Heimbewohner körperlich und geistig fit zu halten. Beispielsweise durch Turnübungen, Gedächtnistrainings oder gesellige Aktivitäten wie Jassen. Dabei hebt die Kommission speziell die Bedeutung von Spaziergängen für die Bewohner hervor, damit diese regelmässig an die frische Luft kommen.
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Das mangelnde Personal sei dem Alterszentrum sehr wohl bewusst, so Wenger. Sowohl im Bereich Aktivierung als auch in der Demenzabteilung. «Der derzeitige Fachkräftemangel in der Pflege ist auch im Zentrum Frauensteinmatt spürbar. Die richtigen Mitarbeitenden am richtigen Ort zu bekommen, ist schwer.» Das Zentrum versuche zwar, geeignete Fachkräfte zu finden, doch dies gestalte sich schwierig (zentralplus berichtete). Bis dahin versuche das Frauensteinmatt, seine Mitarbeitenden durch interne Schulungen à jour zu halten, so Wenger.
Nach Stürzen sollen mögliche Verletzungen überprüft werden
Was hingegen umsetzbar sei, seien neue Konzepte zur Gewaltprävention und Stürzen. Bei der strichprobenartigen Kontrolle der Sturzprotokolle stiess die NKVF auf einen Fall, bei dem eine Bewohnerin in der Nacht gestürzt war. Die Pflegerin habe sie zurück ins Bett gelegt – später stellte sich heraus, dass sich die Frau durch den Sturz einen Schenkelhalsbruch zugezogen hatte. Mögliche Verletzungen sollten umgehend überprüft werden, hält die Kommission fest. Um solche Situationen künftig zu vermeiden, helfe ein Sturzkonzept. Zum Fall selbst könne sich Wenger nicht äussern. Ein Sturzkonzept sei jedoch in Arbeit.
Lobend hebt die NFK die zweimal jährlich stattfindenden Informations- und Austauschanlässe hervor. Sie regt jedoch an, diese öfters durchzuführen und die Bewohner noch mehr einzubeziehen. Zu dieser Frage spielt Wenger den Ball den Bewohnerinnen zu. Am nächsten Austausch im Oktober möchte er sie fragen, ob ihnen der jetzige Austausch genügt.
- Bericht der nationalen Kommission für Folter
- Stellungnahme des Kantons Zug zum Bericht
- Telefonate mit Ueli Wenger, Leiter Zentrum Frauensteinmatt
- Informationen des Kantons Zug zur fürsorgerischen Unterbringung
- Website des Zentrums Frauensteinmatt
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