Zuger hat eine Woche in der Zürcher Kälte gelebt

«Gestern Morgen bin ich im Schnee aufgewacht»

Der Radiomoderator Dominik Widmer hat fünf Tage und vier Nächte als Obdachloser in Zürich verbracht.

(Bild: wia)

Der Zuger Radiomoderator Dominik Widmer wagte diese Woche ein mutiges, wenn auch umstrittenes Projekt. Er lebte – während der kältesten Woche seit langem – auf Zürichs Strassen. zentralplus traf den 32-Jährigen am Ende des Experiments.

«Sie können Dominik Widmer um 9 Uhr am Limmatplatz treffen. Es kann sein, dass Sie ein wenig Geduld brauchen, denn wir wissen nie genau, wo er sich zu welchem Zeitpunkt befindet», sagt uns die Dame von «Radio 24». Und so ist es denn auch. Der Radiomoderator, der während fünf Tagen obdachlos in Zürich lebt, verspätet sich, entschuldigt sich dafür umso herzlichlicher, als er dann doch aufkreuzt.

Er kommt direkt von der Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse. Zu Fuss, versteht sich. «Ich habe mir vorgestern ein 24-Stunden-Billett geleistet für rund sechs Franken, das ist aber mittlerweile abgelaufen. Darum bin ich jetzt wieder zu Fuss in der Stadt unterwegs», sagt der Zuger.

Wir machen uns also zu Fuss auf in ein Café an der Langstrasse. Auf dem Weg dahin begegnen wir einem Obdachlosen. Widmer kennt ihn bereits. Sie grüssen sich, wechseln ein paar Worte, bevor wir in ein Lokal eintreten, das bereits bessere Tage gesehen hat.

Mit 50 Franken ist Widmer am Montag in die Woche gestartet, am Freitagmorgen hat er noch, er sieht kurz nach, «12 Franken 50 Rappen» . Einen Drittel davon, genauer gesagt 4.50 Franken gibt er aus, um sich nun im Café aufzuwärmen. Er staunt. Auch im tiefsten Kreis Cheib sind die Preise mittlerweile stolz.

«Gestern Morgen bin ich im Schnee aufgewacht.»

Doch wieso sind wir überhaupt hier? «Radio 24» hat seinen Radiomoderatoren für fünf Tage auf die Strasse geschickt. Mit Schlafsack und Pack, mit Mütze und Handschuhen. Den Hausschlüssel und das persönliche Handy musste Widmer abgeben, ebenso wie Bankkarten und Halbtax. Mit diesem Projekt will der Sender auf das Thema Obdachlosigkeit aufmerksam machen und laut Widmer «können damit vielleicht auch ein paar Vorurteile abgebaut werden. Mir jedenfalls geht es so».

Eine Nacht unter der Brücke – bei minus zehn Grad

Zwei der vier eiskalten Nächte verbrachte Widmer draussen. Eine davon – bei etwa minus zehn Grad – unter einer Brücke, eine weitere in Wollishofen am See. «Und so bin ich denn gestern Morgen auch im Schnee aufgewacht», sagt er schmunzelnd. «Um sieben Uhr früh wollte ich mir in der nächstgelegenen Institution ein Frühstück holen, doch der Mitarbeiter blieb sehr hartnäckig. Zwar dürfen Leute, die dort übernachten, schon früher essen, aber Auswärtige müssen bis acht Uhr warten.»

Und Widmer betont, dass er diese Regeln sehr wohl nachvollziehen könne. «Doch blieb ich halt hartnäckig. So lange, bis mich der Mitarbeiter vor die Türe setzte. Und da stand ich dann also dreiviertel Stunden hungrig in der Kälte und wartete, bis ich wieder hineindurfte. Da habe ich mich schon einen Moment lang gefragt, wieso ich das überhaupt mache.»

Es ist eine gute Frage, die sich wohl auch der eine oder andere in der Bevölkerung stellen dürfte. Ein Moderator tut so, als wenn er obdachlos wäre. Um dann fünf Tage später wieder in die eigene, geheizte Wohnung zu ziehen. Und das alles wird natürlich medial begleitet. Auch von Obdachlosen selbst sei diese Kritik gekommen: «Ein Mann, den ich in der Noteinrichtung ‹Pfuusbus› kennengelernt habe, fand diese Schein-Obdachlosigkeit lächerlich. Er fand, ich solle erst einmal meine Wohnung und meinen Job ganz aufgeben, bevor ich wüsste, wie sich dieses Leben wirklich anfühlt.»

Gewissensbisse, weil die warme Dusche wartet

Widmer kann diese Kritik sehr gut verstehen. Dennoch relativiert er: «Mir ist völlig klar, dass ich nur einen kleinen Bruchteil von dem mitmache, was Obdachlose tagtäglich, über Monate und Jahre, erleben. Ich bin während dieser Woche einfach wohnungslos und mache das auch transparent, wenn ich mit jemandem länger rede.»

Während Widmer am Kaffee nature nippt, erzählt er vom Dani, den er diese Woche kennengelernt hat. Einen Mann in Widmers Alter, der seit längerem bereits obdachlos ist. «Er hat mir viel gezeigt und geholfen in den Tagen. Und immer wieder hat mich Dani teilnahmsvoll gefragt, wie es mir gehe. Er befand, dass die Situation wohl hart sein müsse für mich und dass es ihm anfangs auf der Strasse sehr schlecht gegangen sei. Das war mir dann etwas unangenehm, da ich ja am Freitagabend wieder ein warmes Bett und eine warme Dusche habe.»

«Von den Unruhen habe ich leider nichts mitbekommen. Ich habe einfach durchgeschlafen.»

Ausserdem sei Widmers Situation insofern nicht vergleichbar mit jener von Obdachlosen, als er keinen Schicksalsschlag erlebt habe, keine Sucht- oder sonstigen Probleme habe. «Denn diese Themen sind bei den betroffenen Leuten omnipräsent. Und es wird auch sehr geschätzt, wenn jemand einfach mal nur zuhört.»

Dominik Widmer hat diese Woche alles dabei, um die grosse Kälte einigermassen unbeschadet zu überstehen.

(Bild: wia)

Lagerstimmung mit Gefängnischarakter

Die letzte Nacht hat Widmer in der Notschlafstelle verbracht. Fünf Franken kostet dort die Nacht. Es herrsche «Lagerstimmung mit Gefängnischarakter». Und wie bereits in der Nacht, als er im Pfuusbus schlief, habe es Unruhen gegeben. «Die ganze Action habe ich leider in beiden Fällen völlig verpasst, weil ich tief und fest geschlafen habe. Erst am nächsten Morgen hat man mir jeweils davon erzählt.»

Am Freitagabend erhält Widmer seinen Wohnungsschlüssel zurück. «Waschen, duschen, das persönliche Handy einschalten», beantwortet er die Frage danach, was er zuhause als Erstes tun wird. Und, was bleibt nach dieser Woche? «Es war eindrücklich und ich gehe momentan mit etwas anderen Augen durch Zürich. Auch wenn ich weiss, dass mich der Alltag schnell wieder hat. Ich habe viele interessante Bekanntschaften gemacht.» Ob er mit Dani in Kontakt bleiben wird? «Das hoffe ich schwer. Wir haben bereits abgemacht, dass wir einmal gemeinsam in den Ausgang wollen. Ausserdem klingt es vielleicht blöd, aber ich möchte ihm etwas zurückgeben von dem, was er mir in dieser Woche gegeben hat.»

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