Nach Zürcher Vorbild

Zwei Luzernerinnen gründen Sorgentelefon für Studis

Meriel Attinger (links) und Irina Engeler sehen bei den Studierenden ein Bedürfnis nach niederschwelligen Gesprächen. (Bild: jal)

Wer in Luzern studiert und in einer Sackgasse steckt, dem hilft die psychologische Beratungsstelle. Doch die Wartezeit beträgt mehrere Wochen. Zwei Studentinnen lancieren deshalb ein unkompliziertes Sorgentelefon.

Die Studentin, die durch eine Prüfung gerasselt ist und nicht weiss, wie es jetzt weitergehen soll. Der Student, der zuhause grossem psychischem Druck ausgesetzt ist. Oder der Studienanfänger, der unter Liebeskummer leidet.

All das sind Beispiele, in denen ein Sorgentelefon helfen könnte, erzählen Meriel Attinger und Irina Engeler. Die beiden Studentinnen der Hochschule Luzern planen genau ein solches Angebot. Wen eine Sorge plagt, kann abends anrufen. Am Ende der Leitung hilft eine Studentin oder ein Student weiter. Niederschwellig, anonym, vertraulich, kostenlos.

Steigendes Bedürfnis nach Gesprächen

«In der Coronazeit haben wir vom Studirat enorm viele Nachrichten erhalten. Viele Studierende äusserten Unsicherheiten über ihr Studium, aber auch persönliche Sorgen», erzählt Irina Engeler, Präsidentin der 2021 gegründeten Studierendenvereinigung OneHSLU. Aber auch unabhängig von der Pandemie gebe es eine Nachfrage für das Angebot. «Das Bedürfnis, mit jemandem über den Druck und Stress zu sprechen, steigt», so Projektleiterin Meriel Attinger. 

«Die Belastung im Studienalltag ist bereits sehr hoch, viele sind am Anschlag.»

Meriel Attinger, Projektleiterin Nightline Luzern

Deshalb haben die beiden beschlossen, das Projekt Nightline für Luzern zu lancieren. Die Idee ist nicht neu: In Zürich gibt es das Angebot seit über 15 Jahren, es hat sich erfolgreich etabliert. «Im letzten Jahr haben wir über 800 Gespräche geführt», sagt Gabriel Margiani, Präsident von Nightline Zürich. Zur Sprache komme eine grosse Bandbreite an Themen.

Die Zahl der Kontaktaufnehmen nehme seit einiger Zeit klar zu. Nicht nur, aber auch wegen Corona. «Die Pandemie war natürlich für viele Studierende stressig und hat zu Problemen geführt, mit denen niemand gerechnet hatte», so Margiani.

Die hohe Nachfrage zeigt, dass das Angebot geschätzt wird. Laut Margiani braucht es oft grosse Überwindung, um sich in einer schwierigen Situation Hilfe zu holen. Da kann Nightline, wo Studierende täglich von 20 Uhr bis Mitternacht telefonisch oder im Chat Rat finden, helfen. «Man redet hier mit Menschen, die vermutlich an einem ähnlichen Punkt im Leben stehen, die, gerade bei studienbezogenen Problemen, vielleicht sogar selber schon etwas ähnliches erlebt haben, und die einem ganz unverbindlich einfach mal zuhören.» 

Vier Wochen Wartezeit für psychologische Beratung

Nach diesem Vorbild soll auch Nightline in Luzern aufgebaut werden. Die HSLU begrüsst das Projekt und unterstützt es nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Vorgesehen ist ein jährlicher Beitrag von 10’000 Franken «Für die Hochschule Luzern ist es sehr wichtig, dass Studierende Hilfe erhalten, wenn sie sich beispielsweise in einer schwierigen persönlichen Situation befinden oder sie Sorgen im Studienalltag plagen», schreibt die Medienstelle.

An den drei Luzerner Hochschulen gibt es heute nebst der Hochschulseelsorge bereits eine psychologische Beratungsstelle. Und die ist sehr gefragt. Momentan beträgt die Wartezeit für ein Erstgespräch etwa drei Wochen. Die Idee für das Nightline-Angebot ist vor rund einem Jahr denn auch von der psychologischen Beratungsstelle ausgegangen.

«Genauso wie man ins Fitnessstudio geht, macht man heute auch eher etwas für die Psyche.»

Jonas Bamert, Psychologische Beratungsstelle Campus Luzern

Der Leiter Jonas Bamert ist überzeugt, dass dies eine gute Ergänzung darstellt. «Speziell in dieser Phase abends, wenn die Sorgen belasten und man ansonsten nur den Notfall anrufen kann», sagt er. «Wir merken, dass es manchmal gar nicht unbedingt eine psychologische Beratung braucht», sagt Jonas Bamert. «Es geht meist um menschliche Resonanz. Viele Studierende brauchen einfach ein offenes Ohr für ihre Anliegen.»

Dass Studierende heute mehr Unterstützung suchen, hat laut dem Psychotherapeuten mehrere Gründe. Nebst vielen gesellschaftlichen Entwicklungen hat zuletzt die Coronakrise viele junge Erwachsene psychisch mitgenommen. Laut Bamert beobachten Fachstellen mehr Ängste, Vereinsamungstendenzen und schwere psychische Störungen.

Auf der anderen Seite sei die Hemmschwelle, sich Unterstützung zu suchen, erfreulicherweise gesunken. «Im Unterschied zu früher kümmern sich heute viele besser um ihre Gesundheit – und zwar nicht nur die körperliche. Genauso wie man ins Fitnessstudio geht, macht man heute auch eher etwas für die Psyche», sagt Jonas Bamert.

Freiwillige gesucht: Wo es noch hapert

Dass die Nachfrage da ist, glauben auch Attinger und Engeler. Auch für den Beratungs-Pool hätten sich bereits zahlreiche Freiwillige gemeldet. Die Beraterinnen werden an zwei Tagen von Fachpersonen ausgebildet. So dass sie in der Lage sind zu entscheiden, in welchen Fällen professionelle Hilfe nötig ist. Oder wie sie selber mit belastenden Anfragen klarkommen, beispielsweise im Umgang mit sexuellen Übergriffen oder Gewalt.

Was hingegen noch fehlt, sind Studierende, die das Projekt vorantreiben. Denn Meriel Attinger und Irina Engeler werden beide im Sommer ihr Studium beenden. «Deshalb suchen wir noch drei oder vier Studierende, die im Vorstand des Nightline-Vereins mitziehen wollen.» Dafür hielt sich das Interesse bislang in Grenzen, die Suche nach engagierten Leuten mit «Start-Up-Mentalität» ist laut den beiden schwierig. «Die Belastung im Studienalltag ist bereits sehr hoch, viele sind am Anschlag. Da kann ein zusätzliches Engagement abschreckend wirken.»

Gleichwohl sind die zwei 25-Jährigen zuversichtlich, dass Nightline im Herbst live gehen kann. Mittelfristig soll das Angebot auch auf die Universität und die Pädagogische Hochschule ausgeweitet werden, sagt Projektleiterin Meriel Attinger. «Das Ziel ist ein Angebot für die ganze Hochschuleregion Luzern.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Meriel Attinger und Irina Engeler
  • Telefonat mit Jonas Bamert von der psychologischen Beratungsstelle
  • Schriftlicher Austausch mit der Medienstelle der HSLU
  • Schriftlicher Austausch mit Gabriel Margiani von Nightline Zürich
  • Webseite von Nightline Zürich
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Heimwehberner
    Heimwehberner, 25.04.2022, 18:25 Uhr

    ich will Akademiker werden/sein….
    Kann mir aber bei Problemen nicht selber Hilfe holen/organisieren?
    Nichts gegen Psychologische oder anderwertige Betreuung…. Aber als Studi sollte ich doch das selber auf die Reihe kriegen!!?? Wenn dies nicht geht, dann sehe ich schwarz für die Zukunft unserer «Elite».
    Kann man doch. Das Leben ist kein Pony Hof!

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