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Ein Unterägerer Café-Inhaber zeigt Polizisten wegen Kontrollen der Zertifikatspflicht an – und wird in den sozialen Medien gefeiert. Die Polizei versucht derweil den Ball flach zu halten und schlägt versöhnliche Töne an. Was ist los im Zugerland?
Dass sich viele Gastronomen nicht über die geltende Zertifikatspflicht freuen, ist bekannt. Sei es aus ideologischen Gründen oder weil sie Umsatzverluste fürchten – oder beides. Doch kaum eine Aktion hat dermassen für Aufsehen gesorgt wie jene von Thomas Brändle, Konditor und Inhaber der gleichnamigen Cafés in Unterägeri.
Dieser, so schrieb die «Zuger Zeitung» vor Wochenfrist, habe nach einer polizeilichen Kontrolle in seinem Lokal Strafanzeige gegen zwei Beamte erstattet. Dies wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und Amtsmissbrauch – die Anzeige läge der Zeitung vor. Die Polizisten, die sich nicht auswiesen, sollen Gäste «belästigt» und «genötigt» und eine Anwesende gar zu einem «Weinanfall» getrieben haben (zentralplus berichtete).
In der Tat kursiert die Reproduktion einer solchen Strafanzeige seit einigen Tagen als Post auf Facebook. Dort feiern massnahmenkritische Kommentatoren Brändle als einen, der es stellvertretend für die Ohnmächtigen dem repressiven Staat heimzahlt. Da in diesem Facebook-Post auch die Namen der Polizisten aufscheinen und ein Zeuge mit Name und Telefonnummer genannt wird, machen wir uns nach Unterägeri auf, um mehr über die Beweggründe zu erfahren.
Post nicht in Umlauf gebracht
Im Café Brändle treffen wir auf freundliche Angestellte, die eine Hygienemaske tragen. Es liegen Formulare fürs Contract Tracing auf. Als wir uns eine Gerstensuppe mit Lauch schmecken lassen, sind wir allein im Gastraum. Das Zertifikat bleibt in der Tasche. Thomas Brändle ist bei der Arbeit in der Backstube und meldet sich später auf unsere Anfrage hin.
«Wer die Beschädigung des Rechtsstaates auf die leichte Schulter nimmt, verhöhnt unsere Vorfahren und die Opfer, die sie dafür gebracht haben.»
Thomas Brändle, Zuger Gastronom
Ja, er habe gegen fünf Zuger Kantonspolizisten Strafanzeige eingereicht, sagt Thomas Brändle. «Ich bedaure die Polizisten, die sich für diese unschöne Aufgabe hergeben müssen.» Die auf den sozialen Medien kursierende Anzeige habe aber nicht er in Umlauf gebracht. «Diese entspricht auch nicht ganz dem offiziellen Schreiben.»
Verstoss gegen Verfassung
Als Begründung habe er der Strafanzeige eine Analyse von «Wir für Euch» beigelegt – einer Vereinigung von Polizistinnen, Richtern und Staatsanwältinnen. Diese hielten die Zertifikatspflicht für verfassungswidrig. Brändle sagt, es gebe keine Evidenz, dass man sich in Lokalitäten der Gastronomie eher anstecke als anderswo. «Deswegen werde ich den Verdacht nicht los, dass unsere Branche genötigt wird, zum Komplizen einer verirrten Regierung zu werden, die eine höhere Impfquote erreichen will, obwohl sie noch im Frühling beteuert hat, dass sämtliche Massnahmen aufgehoben würden, wenn alle Impfwilligen geimpft sind.»
Das verletze sein Rechtsempfinden. «Hier liegt meiner Meinung nach ein Fall für die Radbruchsche Formel vor», sagt er und spielt auf eine rechtsphilosophische These an, wonach ein Richter in seltenen Fällen gegen das Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit entscheiden soll. «Wer die Beschädigung des Rechtsstaates auf die leichte Schulter nimmt, verhöhnt unsere Vorfahren und die Opfer, die sie dafür gebracht haben», findet Brändle, der früher für die FDP im Zuger Kantonsrat sass.
Brändle ist nicht nur als engagierter Liberaler und als Bäcker-Konditor bekannt, sondern auch als Schriftsteller mit Sinn für Humor. 2008 erschien sein Krimi «Das Geheimnis von Montreux», in dem er die Finanzkrise vorwegnahm, die einen Monat später tatsächlich eintraf.
Polizei sucht das Gespräch
Doch kehren wir zurück zu Covid 19. «Wir verfolgen das Ziel, durch Kontrollen dazu beizutragen, dass Ansteckungen verhindert werden», sagt Judith Aklin, Kommunikationsverantwortliche der Zuger Polizei. Dabei gehe die Polizei «mit Augenmass» vor. Als Erstes werde das Gespräch mit den involvierten Personen gesucht, um sie auf das Gesetz hinzuweisen. «Es ist uns ein grosses Anliegen, dabei verhältnismässig und mit gesundem Menschenverstand vorzugehen», sagt die Polizeisprecherin. Es werde der mildeste Weg gesucht, um geltendes Recht durchzusetzen – einer Verzeigung gehe immer erst eine Ermahnung voraus.
Auszuweisen brauche sich die Polizei nicht – gemäss kantonalem Polizeigesetz gelte die Uniform «als Legitimation für das polizeiliche Handeln der Einsatzkräfte». Zur Kontrolle der Zertifikatspflicht benötige die Polizei auch keinen Durchsuchungsbefehl, sagt Aklin. Gesetzliche Grundlagen seien die bundesrätliche Covid-19-Verordnung, das kantonale Gesundheits- und das Polizeigesetz.
150 Kontrollen durchgeführt
«Trotz allem Verständnis ist es unsere Pflicht, geltendes Recht durchzusetzen», sagt Aklin. Seit Einführung der Zertifikatspflicht habe die Zuger Polizei 150 Kontrollen in Gastronomiebetrieben durchgeführt. Wie viele Ermahnungen ausgesprochen und wie viele Strafanzeigen erstattet wurden, darüber schweigt sie sich aus.
Brändle hat sein Lokal ebenso wie rund ein halbes Dutzend Gastronomen aus dem Ägerital, Menzingen und Baar auf einem diskriminierungsfreien Branchenportal eintragen lassen, wo zahlreiche Gewerbetreibende und Dienstleister Widerstand gegen die Zertifikatspflicht geloben. «Die Covid-Bestimmungen werden bis auf wenige Ausnahmen gut eingehalten», sagt allerdings Judith Aklin. Sie weist darauf hin, dass auch die Gemeinden und die Gesundheitsdirektion darauf hinwirken, dass die Regeln beachtet werden.
Gespräch mit Sicherheitsdirektor
A propos Gemeinden: Thomas Brändle hatte sich bereits im Frühjahr in einem vierseitigen Brief an den Gemeinderat von Unterägeri gewandt, um eine öffentliche Debatte über die Covid-Massnahmen anzustossen. Dazu hatte er sich mit dem Raten-Wirt Iwan Iten und dem Menzinger alt Gemeinderat Josef Elsener zusammengetan.
Der Brief hängt in einem Gang des Restaurants Raten, das wir im Rahmen dieser Recherche ebenfalls besuchen. Der Wirt ist abwesend, die Kellnerin will indes unser Zertifikat sehen. Offenbar will sie weiteren Ärger vermeiden, nachdem der Betrieb 2020 wegen Nichteinhaltung der Covid-Massnahmen mehrfach polizeilich geschlossen wurde (zentralplus berichtete).
Der definitive Ausgang der Geschichte um das Café Brändle ist derzeit noch offen. Es gibt Anzeigen gegen Thomas Brändle und die Polizisten. Der Schriftsteller und Café-Betreiber hat aber in dieser Angelegenheit das Gespräch mit Sicherheitsdirektor Beat Villiger (Die Mitte) gesucht und dafür auch einen Termin erhalten. «Daher kann ich derzeit keine weiteren Auskünfte geben», sagt er.
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