Opfer des eigenen Erfolgs, Mittelstand wird ärmer

«Zug sollte Gemeinden aus anderen Kantonen aufnehmen»

Nicht nur die attraktive Lage lockt vermehrt Leute in den Kanton Zug. (Bild: Andreas Busslinger)

In Zug sprudeln die Steuereinnahmen. Gleichzeitig zieht es immer mehr Personen in den Kanton, die Infrastruktur wird knapp. Zwei Beobachter skizzieren gegenüber zentralplus Lösungsansätze. Auch unkonventionelle.

Die Situation hat Licht und Schatten: Einerseits verzeichnen der Kanton Zug und die Zuger Gemeinden von Jahr zu Jahr Traumergebnisse. Der Kanton beispielsweise erzielte 2022 einen Überschuss von 332 Millionen Franken, wobei es sich um den dritten Rekord in Folge handelt (zentralplus berichtete). Die Stadt Zug schloss die Rechnung mit einem Plus von knapp 72 Millionen Franken ab (zentralplus berichtete). Die Tiefsteuerpolitik scheint zu fruchten.

Andererseits ist es im Kanton mittlerweile praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, eine Wohnung zu finden. Per Anfang Juni 2022 standen im Kanton Zug lediglich 0,33 Prozent sämtlicher Wohnungen leer. Das ist der tiefste Wert sämtlicher Schweizer Kantone.

Schon im Jahr zuvor lag Zug an der Spitze. Die Wohnungsknappheit hat auch mit dem Bevölkerungswachstum zu tun: Lebten 1981 rund 76'000 Personen im Kanton, waren es Ende 2022 über 131'000. Das entspricht einem Plus von knapp 72 Prozent.

«Bei den Wohnungen gibt es einen Verdrängungseffekt»

Das Geld sprudelt also üppiger denn je, doch wird es für die Einheimischen immer schwieriger und teurer, im Kanton zu leben. zentralplus hat sich deswegen mit Beobachtern des Kantons unterhalten, dabei aber bewusst auf externe Personen fokussiert. Einer davon ist Rudolf Strahm. Dieser sagt: «Zug ist Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Bei den Wohnungen gibt es einen Verdrängungseffekt.» Der ehemalige Preisüberwacher, SP-Nationalrat und Ökonom hat sich zeit seines Lebens mit Wachstum, Verteilungsfragen und deren Folgen auseinandergesetzt.

Der 79-jährige Berner sieht das Grundübel in der Tiefsteuerpolitik des Kantons und schweizweit in der fehlenden materiellen Steuerharmonisierung. Wobei der Kanton praktisch keine Zentrumskosten zu bezahlen habe – anders als Zürich. «Zug profitiert enorm von der geografischen Nähe zu Zürich. Für einen Expat aus New York, London oder Singapur ist die 20-minütige Reise an den Zürcher Hauptbahnhof ein Katzensprung.»

Mit seinen vielen internationalen Firmen, beispielsweise Rohstoff- und Kryptohändler locke der Kanton viele Expats an, die deutlich höhere Mietpreise bezahlen könnten als ein «Durchschnittszuger». Strahm: «Das wiederum hat mit der Zuwanderung zu tun. Der Zuger Mittelstand hat vom massiven Wachstum nicht profitiert, sondern er hat heute gar weniger im Portemonnaie.» Nur: Zug könne die Zuwanderung nicht eigenhändig steuern. «Es ist ein Problem, das man auf Stufe Bund lösen muss.»

Strahm plädiert für höhere NFA-Beiträge

Strahm sieht noch ein neues, künftiges Problem: Mit der Erhöhung der OECD-Steuer, die im Juni vor das Volk kommen wird, wird der Kanton Zug voraussichtlich noch mehr Steuern einnehmen. Finanziell erfolgreiche Standortkantone hätten dann laut dem Ökonomen noch mehr Spielraum, um Steuern für Privatpersonen zu senken. «Das wird den Steuerwettbewerb weiter anheizen.»

Er plädiert deshalb dafür, dass Zug noch mehr in den nationalen Finanzausgleich (NFA) zahlen muss. Er argumentiert, dass das System bis dato die seiner Meinung nach wachsenden Unterschiede der Kantone nicht ausgeglichen habe. Eine weitere Variante wäre es, schweizweit einen minimalen Steuersatz für alle Kantone zu definieren. Grosse Hoffnungen in den Kanton Zug setzt er indes nicht: «Die reichen Zuger werden das nicht von sich aus anpassen. Es muss eine gesamtschweizerische Lösung geben.»

Wirtschaftswissenschafter kritisiert Personenfreizügigkeit

Auch für Reiner Eichenberger, Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, ist Zug Opfer des eigenen Erfolgs. Der Wirtschaftswissenschafter spricht die Personenfreizügigkeit als Problem an, die sowohl den Kanton als auch die ganze Schweiz betreffe. So komme es in Zug zwar zu zusätzlicher Wirtschaftsaktivität und zu einer Aufwertung des Landes. Das bringe aber Nachteile wie höhere Wohnkosten, eine Verknappung der Infrastruktur etwa im Verkehr sowie einen neuen Fachkräftemangel mit sich.

Für den 61-Jährigen ist der Boden das grosse Problem: Es sei mittlerweile kaum mehr möglich, mit dem Mehrwert der Bodenpreissteigerungen gezielt die einheimischen Verlierer dieser Entwicklung zu kompensieren, da die Personenfreizügigkeit Diskriminierung verbiete. Eichenberger sagt: «So können dann nur noch alle Mieter subventioniert werden, was aber die Zuwanderung nach Zug noch attraktiver macht, wodurch die Mieten weiter steigen. Dadurch verlieren die normalen Einwohner das Interesse an einer Politik, die den Standort attraktiv hält und attraktiver macht.»

Eichenberger plädiert dafür, dass der Kanton «anders zu wachsen versucht». So könnte, sagt der Wirtschaftsprofessor, Zug Gemeinden aus anderen Kantonen aufnehmen und ihnen die «guten Zuger Bedingungen bieten». Eichenberger führt aus: «Da wären wohl einige Gemeinden aus Nachbarkantonen froh, wenn sie zu Zug wechseln könnten und von der hohen Effizienz und Bürgerfreundlichkeit der Zuger Verwaltung und Gesetze profitieren könnten. Viele wären wohl sogar bereit, dafür einiges zu bezahlen.»

«Sprengstoff für die Schweiz»

Anders als Rudolf Strahm sieht er in höheren Beiträgen an den nationalen Finanzausgleich kein Mittel, um die Zuger Probleme zu lösen. Der NFA sei «Sprengstoff für die Schweiz». Zug sollte sich für eine Reform des Finanzausgleichs einsetzen, die allen Kantonen bessere Anreize zu guter Standortpolitik gibt – etwa durch einen Bonus für diejenigen, die ihre Finanzkraft verbessern.» Denn momentan lohne es sich für Regierungen der Nehmerkantone kaum, gute Standortpolitik zu betreiben, da allfällige Erfolge umgehend durch Kürzung von Ausgleichszahlungen kompensiert würden.

Gleichzeitig schlägt Eichenberger vor, dass sich Zug für eine Aufhebung der «Gratiszuwanderung» einsetzt. Die Zuwanderung soll seiner Meinung nach über eine Aufenthaltsabgabe für Neuzuwanderer nach dem Modell «Kurtaxe» gesteuert werden. Eine solche Kurtaxe, beispielsweise 15 Franken pro Tag für die ersten fünf Jahre nach der Zuwanderung, würde gemäss Eichenberger nicht nur die Zuwanderung wirksam reduzieren und günstig selektionieren. «Es könnten auch die Erträge auf die bisherigen Einwohner umverteilt werden, sodass sie beste Anreize haben, sich für eine gute Politik und hohe Attraktivität für Zuwanderer einzusetzen.»

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4 Kommentare
  • Profilfoto von D. Brunner
    D. Brunner, 22.04.2023, 13:05 Uhr

    Warum konsequent die treibende Kraft der Bevölkerungszunahme ausblenden, die falsche Raumplanung?
    1975 gabs in Zug cirka 7500 Zupendler*innen. Und übers ganze politische Spektrum hinweg war im Leitbild ’79 der Stadt Zug festgesetzt, dass diese Zahl sinken, das Verhältnis Einwohnerzahl/Arbeitsplätze verbessert werden soll. Zehn Jahre später, die Pendler*innenzahl hatte massiv zugenommen, wollten die Bürgerlichen beide Zahlen «im Gleichklang» steigen lassen. Heute, dreissig Jahre später, pendeln noch einmal Zehtausende mehr in die Stadt, nach Baar und in die Ennetseegemeinden, und es wird von massvollem Wachstum und einem «ausgewogenen» Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Arbeitsplätzen gefaselt (anders lässt es sich leider nicht sagen).

    Gleichzeitig gehen die Raumplaner weiterhin von 30 bis 40 m2 pro Arbeitsplatz aus, obwohl mlderne Büros wie für Johnson & Johnson dafür weniger als 15 m2 brauchen. Und schon rufen rechtsbürgerliche Immobilienfreunde wegen angeblicher Mangellagen nach der «Entwicklung» von noch mehr «Arbeitsflächen» im Kanton
    Um sich danach und auf Jahrzehnte über Zuwanderung und Expats aufzuregen – statt sich selber an der langen Nase zu nehmen?

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  • Profilfoto von Die Zugerin
    Die Zugerin, 20.04.2023, 20:30 Uhr

    Es wird immer dargestellt, dass das Problem an den Expats liegt (übrigens wird der Begriff nicht richtig benutzt. Die wenigsten sind richtige Expats). Wer profitiert aber von den hohen Mieteinnahmen? Nicht die zugezogene Ausländer. Einige Schweizer machen richtig Geld und nutzen die Situation aus.

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  • Profilfoto von Markus
    Markus, 20.04.2023, 14:56 Uhr

    Hört doch endlich auf , auf dem Kanton Zug rumzuhacken. Insbesondere Strahm und Eichenberger!
    Es gibt einige andere Kantone und Gemeinden welche inzwischen Zug längstens überholt haben in dieser Sache. Wir sind es leid eure Prügelknaben zu sein. Seid endlich fair und sachlich.

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    • Profilfoto von Franz
      Franz, 20.04.2023, 17:13 Uhr

      So ist es. 3’000 Fr. NFA pro ZG-Einwohner sind offenbar nicht genug. Hinzu kommen Millionenüberschüsse (viel mehr Beiträge als Auszahlungen) bei der AHV. Betr. Wohnen: Man kann natürlich alles überbauen, sehr schön zu sehen zwischen Honau und Luzern.

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