72-jähriger Hansjörg von Känel fertigt Sensen

Zu Besuch beim Gunzwiler Sensenmann

Hansjörg von Känel liebt das Handwerk mit Hölzern und Metallen. In seiner Werkstatt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. (Bild: Christian Roth)

In seiner Werkstatt in Gunzwil frönt Hansjörg von Känel seiner grossen Leidenschaft: Er fertigt Sensen. Und reist durch die Lande, um vom alten Handwerk zu berichten.

Da sind wir also. Im luzernischen Gunzwil, einer 1900-Seelen-Gemeinde, die vor zwölf Jahren mit Beromünster fusioniert hat. Hier, unweit des ehemaligen Landessenders, wohnt Hansjörg von Känel. Auf dem Bistrotisch in seinem Garten liegen ein paar verstreute Fünfräppler. Die sollen nicht etwa wachsen, scherzt er. «Aber sie helfen durch das Glitzern in der Sonne, die Wespen fernzuhalten.»

Der bärtige Mann mit den wachen Augen und Heimatort im bernischen Kiental kam vor 72 Jahren im Jura auf dem elterlichen Bauernhof zur Welt. Im Zimmer direkt oberhalb einer Gaststube, um genau zu sein. «Das Erste, was ich von dieser Welt gerochen habe, war der Weingeist», sagt der Mann augenzwinkernd. Vielleicht deshalb ziehe er noch heute jederzeit ein Glas Wein einem Bier vor.

Er passt die richtige Sense an und reist als «Wanderprediger» durch die Lande

Beruflich tanzt Hansjörg von Känel auf verschiedenen Hochzeiten. Zunächst lernt er Landwirt, arbeitet aber schon bald als Chauffeur und Magaziner, heuert später auch bei einer Heizungs- und Sanitärfirma an. Schon bald ist er Schlosser und die letzten Jahre vor seiner Pensionierung verdient er seinen Lebensunterhalt als Landschaftsgärtner. Alles Fertigkeiten, die ihm bei seiner eigentlichen Passion nützlich sind. Von Känel fertigt Sensen.

Seit er im Unruhestand ist, gilt Hansjörg von Känel als Kapazität in Sachen Sensen. In seiner Werkstatt passt er dem Kunden, der ein solches historisches Mähgerät (er spricht lieber von «Instrument») erstehen möchte, individuell die richtige Sense an. Darüber hinaus reist er als «Wanderprediger» durch die Lande, um über das Wesen der Sense zu referieren und die Leute in Gebrauch und Pflege des beinahe in Vergessenheit geratenen Handwerks zu unterrichten.

Vom Schattendasein zum Kultobjekt

Schon als Bube habe er erste Erfahrungen mit der Sense gemacht, erzählt der Mann, der am liebsten nur mit seinem Vornamen angesprochen wird. Im zweiten Jahr der landwirtschaftlichen Ausbildung sei er auf einem Hof im Baselbieter Ziefen gewesen. Dort habe man noch von Hand gemäht und gemolken. Er habe viel über das Mähen von Hand und das Dengeln eines Sensenblattes gelernt.

Dank diesem Wissen habe er an der Lehrabschlussprüfung 1965 im Fach Mähen mit der Sense als Bester abgeschlossen – ein Schlüsselerlebnis. Es war gleichzeitig das letzte Jahr, in dem das Mähen mit der Sense noch Prüfungsfach war. Der technische Fortschritt brachte den Balkenmäher und die Motorsensen. Und die «Sägesse» geriet nach und nach in Vergessenheit.

Mit der Rückbesinnung auf das naturnahe Wirtschaften und der Förderung der Biodiversität beobachtet er in den vergangenen Jahren ein Comeback der Sense. Interessanterweise sei die Nachfrage nach dem mittelalterlichen Mähgerät in Städten und urbanen Gebieten grösser als in ländlichen Regionen, stellt von Känel fest. Unter jenen, die die Landschaftspflege als Hobby wieder entdecken und naturnah und schonend mähen wollten, habe die Sense sogar so etwas wie Kultstatus erlangt.

Manchmal kommt er bei der Arbeit mit Sense in einen tranceähnlichen Zustand

An Kursen, die Hansjörg von Känel landauf landab für diverse Organisationen und Vereine gibt, würden ihm oft Leute berichten, wie beruhigend, ja meditativ die Arbeit mit der Sense sei. Auch er selber liebe dieses Handwerk und komme manchmal in einen tranceähnlichen Zustand. Die Sense verursache weder Motorenlärm noch Abgase und Gestank. Und vor allem ermögliche sie den schonenden Umgang mit Pflanzen und Umwelt. «Nicht wie der Fadenmäher, der alles radikal zerstört.»

Mich braucht der «Professor in Sensologie» nicht mehr zu überzeugen. Aber ich möchte eine eigene, meine Sense. Für diesen Job ist Hansjörg von Känel der einzig Richtige: Er weiss aus langjähriger Erfahrung, worauf es ankommt beim Mähen mit Sense. Er weiss, wie man den idealen «Worb» (den Holzstiel) herstellt, wie er beschaffen sein soll. Er weiss, wie er mit Hammer, Feuer und Amboss das Blatt so bearbeitet (dengelt), dass das Mähen leicht von der Hand geht und im Idealfall zum kontemplativen Vergnügen wird. Und, ganz wichtig: Er weiss, wie einem Mähder, einer Mähderin die individuell perfekte Sense auf den Leib geschnitten wird. Im Fachjargon spricht man vom «Anstellen».

«Wenn man die Sense richtig behandelt, wird sie meistens älter als wir selber.»

Im Untergeschoss seiner heimeligen Werkstatt lagert von Känel die Wörbe. Für mich komme mutmasslich entweder ein Thurgauer oder ein Berner Worb in Frage. Zunächst muss ich den Worb senkrecht auf meinen Fuss stellen. Der obere Griff – «Gürbi» oder «Zwiebel» genannt – sollte bis zum Kinn reichen. Dann muss ich das «Gürbi» unter die rechte Achsel nehmen und mit ausgestrecktem Arm den unteren Griff – das «Häuchli» – erfassen können. Bald steht fest: Zu mir passt ein Worb vom Typ «Berner halbkrumm».

Feuertanz mit dem Schweissbrenner

Zurück in der Werkstatt spannt Hansjörg den Worb ein, um ganz unten noch etwas Holz wegzuhobeln, so dass er die Beschlagplatte befestigen kann, die letztlich wiederum das Sensenblatt fixiert. Auf die Frage, wie lange denn eine Sense halte, sagt der Sensenmann süffisant: «Wenn man sie richtig behandelt, wird sie meistens älter als wir selber.»

Von Känel führt eine handgefertigte Schraube mit zwei Flügeln in ein Loch und versetzt den Flügeln je einen gezielten Schlag, um deren Spitzen nach innen zu biegen. Dann hämmert er diese beiden Spitzen – er nennt sie «Chatzechräueli» – rund um den Worb und treibt sie ins Holz, damit der Beschlag hält.

«Die Sense bleibt immer am Boden, wir heben sie nicht an – weder hinten, noch vorne. Wir wollen keinen Stufenschnitt. Wir sind ja schliesslich nicht Coiffeur.»

Während er ein 70-Zentimeter-Sensenblatt für meine Sense bereitmacht, erzählt Hansjörg, dass er pro Jahr mehrere Dutzend Sensen «anstellt» und einige Kurse gibt. Auf der Klinge steht auf einem Kleber das Wort «mähfertig». Genau das aber stimme nicht, sagt er. Das sei etwa das Gleiche, «als wenn wir unserer Frau sagen würden, wir hätten im Leben nur Augen für sie gehabt». Deshalb verlasse bei ihm nie eine Sense die Werkstatt, die er nicht gedengelt habe.

Nach dem Befestigen der Klinge stellt Hansjörg mit Hilfe eines Stocks fest, dass das Blatt eine Fingerbeere zu hoch ist und deshalb noch nicht «ringmähig» sei. Dieses Manko korrigiert er mit ein paar gezielten Schlägen mit dem Hammer.

Draussen auf dem Platz erfolgt eine weitere Etappe zur perfekt angestellten Sense: Mit erfahrenem Auge beobachtet er mich dabei, wie ich mit der Sense am Boden «mähe». Zwischendurch kommt einer seiner Sprüche, mit denen er an Kursen die Leute regelmässig verzückt. «Die Sense bleibt immer am Boden, wir heben sie nicht an – weder hinten, noch vorne. Wir wollen keinen Stufenschnitt. Wir sind ja schliesslich nicht Coiffeur.»

Auf sein Kommando muss ich mit dem supponierten Mähen sofort innehalten. Er misst, um wie viel das Blatt vorne am Spitz in die Höhe reicht. Wieder in der Werkstatt, stellt er die gemessenen Zentimeter ein und stellt fest, wie der Griff sein muss beziehungsweise wie falsch der Spitz des Blattes sei. Für ihn ist klar: Die Griffhöhe muss leicht rauf, die Schnitthöhe runter und der Griff muss etwas gegen hinten.

Mit einem Schweissbrenner bringt Hansjörg von Känel den Ansatz des Sensenblatts zum Glühen. Dann biegt er mit gezielten Bewegungen das Blatt in die gewünschte Position. Was er als «Feuertanz» bezeichnet, ist in Tat und Wahrheit eine Fertigkeit, die nur beherrscht, wer über eine jahrelange Erfahrung in seinem Metier verfügt. So wie Sensenmann Hansjörg von Känel.

«Dr Dängelimaa»

Noch einmal prüft Hansjörg sein Werk, dann spannt er den Worb wieder ein. Mit einem glühenden Stempeleisen bringt er vorne auf dem Worb sein Brandzeichen an. Dies, so sagt er, sei quasi der Garantieschein. Dann packt er das Sensenblatt und macht es sich auf dem Dengelstock gemütlich.

Auf und ab geht der Dengelhammer. Das Dengeln ist wichtig, um die Klinge gleichmässig dünn und damit «schnittig» zu machen. Er dengelt im Halbsekundentakt und beginnt zu singen: «Dr Dängelimaa, dr Dängelimaa – holli hallo, dr Dängelimaa…»

Eine halbe Stunde später bin ich Besitzer einer eigenen Sense. Wieder einmal hat Hansjörg von Känel einen Menschen glücklich gemacht.

Ein Hoch auf den Sensenmann!

Text: Robert Bösiger

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