Darf man das? Überlebenstipps von Zuger Piraten

Zack! Boom! Bang! Wir lernen «digitale Selbstverteidigung»

Er weiss wie’s geht: Stefan Thöni bringt Bürgern bei, wie sie ihre Daten schützen können.

(Bild: Collage: zentralplus)

Haben Sie sich schon mal darum gekümmert, wer Ihnen im Netz so alles folgt? Genau – wir auch nicht. Und trotzdem ist man uns da den ganzen Tag auf den Fersen. Die Zuger Piraten wollen Abhilfe schaffen. Und uns digitale Überlebensfähigkeiten beibringen.

Ein wenig gefährlich ist das Ganze schon. Ich sitze da an einem Tisch mit wer weiss was für Leuten und will wissen, wie das geht. Anonym im Netz surfen. Verschlüsselte E-Mails verschicken. Keine Spuren hinterlassen. Darf man das überhaupt? Die Zuger Piratenpartei findet: unbedingt. Und veranstaltet deshalb «Crypto-Partys» und Workshops in «digitaler Selbstverteidigung» in der Zwischennutzung «d’Wohnig» hinter dem Bahnhof Zug.

«Mein Computer ist wie die Verlängerung meines Gehirns», sagt Stefan Thöni, Co-Präsident der Piratenpartei Schweiz. «Die Menschen haben ein Recht darauf, ihre digitale Privatsphäre zu schützen.»

Das ist eine Meinung. Der parlamentarische Prozess hat gerade eine ganze Reihe anderer Meinungen hervorgebracht: Staatstrojaner dürfen zukünftig eingesetzt werden, es darf geschnüffelt werden, das Schweizer Parlament lässt den Geheimdienst von der Leine. Ohne grosse Gegenwehr: Das Referendum gegen das «Büpf» (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) ist nicht zustande gekommen. Überwachung ist uns offenbar egal.

Wenn man Rechte haben will, muss man sie sich nehmen

Ist uns vielleicht deshalb egal, weil Überwachung jetzt schon Alltag ist. «Wenn jemand sagt, Whatsapp sei verschlüsselt, fällt bei der NSA jemand vor lauter Lachen vom Stuhl», sagt Thöni und die Piratenmeute lacht «harrharr». Die Laune ist spürbar: Wenn man heute digitale Rechte haben will, muss man sie sich nehmen. Es ist Cowboystimmung angesagt an der Crypto-Party. Fehlen nur die Schnurrbärte und die Hüte.

Stattdessen gibt’s WLAN-Codes und Anekdoten. Nicht viele Leute haben’s an die Party geschafft. Es sind da: fünf Piraten, ein Zuger Kultur-Täter mit Lust auf den grossen gesellschaftlichen Diskurs, ein geheimnisvoller Unbekannter, der weiss, wo man anonyme Sim-Karten bekommt (in Österreich und Polen offenbar), eine aufmüpfige Person mit verdächtigen Anzeichen für eine Mitgliedschaft bei wahrscheinlich Anonymous oder vielleicht dem schwarzen Block. Oder wenigstens ist sie ohne Busbillett unterwegs. Sie trägt immerhin einen roten Kapuzenpulli mit Symbolen drauf.

So viel zu den Vorurteilen. Klar ist: Wir befinden uns hier unter Menschen mit Lust am Aufruhr. Oder zumindest Freude am Ausschöpfen digitaler Möglichkeiten. Oder Angst vor Überwachung.

Respektive: Wir befinden uns unter Menschen mit Realitätssinn.

Hacks und Kniffe und ein seltsames Gefühl

Denn dass uns im Internet auf Schritt und Tritt jemand folgt, dürfte mittlerweile allen klar sein. Nur: Wir blenden’s aus. Jetzt gerade. Sie und ich. Googeln unsere Feriendestination und wundern uns dann, dass der Flug plötzlich teurer wird. Und vergessen das auch gleich wieder. Kein Wunder also, ist der Aufmarsch hier am Zuger Workshop in «digitaler Selbstverteidigung» eher gering. «Eigentlich müsste das weit mehr Leute interessieren», sagt Stefan Thöni. «Aber das Bewusstsein ist einfach noch viel zu klein. Wir arbeiten daran, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.»

Deshalb sind wir da. Zwischen Apfelsaft und Früchteschalen, und Laptops und Smartphones, und geniessen den Ausflug in die Nerdigkeit, aber auch die Aussicht auf tatsächliche Hacks und Kniffe. Und Thöni enttäuscht nicht. «Wenn wir im Internet eine Seite aufrufen, dann ist nicht im Vornherein klar, welchen Weg die Informationen nehmen, die wir anfordern», sagt er, und tippt «traceroute zentralplus.ch» in die Konsole seines Linux-Compis, weil halt der Journi da ist.

Die Reise geht nicht direkt nach Luzern, im Gegenteil: Unsere Seite fliegt über ein grosses Serverzentrum irgendwo in Deutschland, kreuzt über ein paar Server, die nur als Sterne dargestellt werden, und landet erst nach dem Umweg auf Thönis Bildschirm. «Die Daten gehen über verschiedene Stationen, und an jeder Station ist es ohne Weiteres möglich, Daten zurückzuhalten, zu verändern, so zu tun, als würde man sie weiterleiten, oder etwas ganz anderes weiterzuleiten», sagt Thöni und richtet seine Brille. «Das ist alles absolut kein Problem.»

Identität geklaut? Das wird mühsam

Aber warum betrifft mich das ganz konkret, wenn jemand meine Daten liest? Die sind erstens nicht sehr interessant, und zweitens gehen sie in der Informationsflut unter. Thöni sagt: «Im Gegenteil: Der Schaden, der entstehen kann, ist sehr gross. Wenn man sich zum Beispiel in einen Mail-Client einloggt, und jemand kann die Daten unterwegs abfangen und Zugänge stehlen.» Dann kann er sich durch verschiedene Benutzerprofile dieser Person arbeiten und schlussendlich eine ganze digitale Identität übernehmen.

Und dann etwa in fremdem Namen Hasskommentare verbreiten, Dinge kaufen, Lieferadressen ändern. «Eine solche gestohlene digitale Identität ist zwar nur mehrere Hundert Franken wert», sagt Thöni, «aber die machen das in Serie.» Und für den Beklauten ist der Schaden weitaus grösser: Der muss die Fragmente seiner geklauten Identität wieder zusammenflicken, Accounts sperren, erklären, dass das nicht er war mit dem fiesen Kommentar auf Facebook. «Das ist, wie wenn das Portemonnaie geklaut wird: Die 50 Franken, die drin waren, schmerzen nicht wirklich», sagt Thöni. Dass man aber die Identitätskarte verliert, die Kreditkarte, den Fahrausweis, und sich um alles wieder kümmern muss: «Das ist der grosse Schaden.»

Warum braucht man das?

Deshalb: Sparsam mit den eigenen Daten umgehen. Und zwar so. «Man kann im Netz anonym surfen, indem man etwa eine Lösung wie das Tor-Projekt

Mehr Workshops in «digitaler Selbstverteidigung»

Am 22. August und 6. September findet nochmals je ein Workshop statt. Die Workshops beginnen um 19 Uhr in der Zwischennutzung «d'Wohnig». Die Teilnahme ist kostenlos. Wer einen Laptop mitbringt, kann das Gelernte gleich umsetzen.

benutzt. Den Tor-Browser kann man einfach herunterladen», sagt Thöni. Das Netzwerk, das in der Schweiz von der gemeinnützigen Stiftung «Swiss Privacy Foundation» unterstützt wird, schleust die Daten verschlüsselt über ein zufälliges Netz von teilnehmenden Servern, von denen keiner weiss, woher die Daten ursprünglich stammen und wohin sie gehen.

Warum soll man als normaler Mensch ohne niedere Absichten im Internet überhaupt unerkannt unterwegs sein wollen? Die Swiss Privacy Foundation schreibt dazu: «Die unbeobachtete, private Kommunikation schafft keine rechtsfreien Räume, wie BefürworterInnen von Überwachung gerne behaupten. Sie ist ein grundlegendes Menschenrecht, das uns zusteht.» Thöni sagt: «In gewissen Ländern ist das überlebenswichtig. Über Tor können Sie beispielsweise die Zeitung lesen, ohne dass das jemand mitbekommt. Wenn Sie in der Türkei oder in China eine westliche Zeitung lesen wollen, ist das schlicht gefährlich.» Und in der Schweiz – wofür braucht man sowas hier?

«Wenn etwa jemand eine schwere Krankheit hat und nicht möchte, dass das alle rauskriegen etwa», sagt einer der anwesenden Piraten. «Oder wenn Journalisten einen Whistleblower schützen wollen», sagt Thöni. «Oder ein Anwalt Untersuchungen anstellt, die heikel sind und nicht nachverfolgt werden dürfen. Natürlich gibt es exponiertere und weniger exponierte Berufe.»

Und so geht’s

Der Abendkurs in digitaler Selbstverteidigung geht langsam seinem Ende zu. Gelernt hat man: Wie man verschlüsselte E-Mails verschickt (zum Beispiel mit PGP – «pretty good privacy»), wie man verschlüsselte Textnachrichten verschickt (etwa mit «Threema» oder «Signal», Thöni: «laut Edward Snowden abhörsicher»). Wie man Dokumente auf einer Festplatte so versteckt, dass es der russische Zoll nicht merkt, und dass Passworte mindestens 12 Zeichen lang sein sollen – denn dann dauert es Zehntausende von Jahren, bis ein Rechner sie knacken kann. Auch wenn er eine Milliarde Versuche pro Sekunde macht. Nur schon vier Stellen weniger, und es dauert nur noch Stunden.

«Wenn sich alle anonym im Netz bewegen, werden deswegen nicht mehr Verbrechen begangen. Es wird einfach weniger personalisierte Werbung ausgespielt und weniger Daten gestohlen.»

Stefan Thöni, Co-Präsident Piratenpartei Schweiz

Dabei fühlen wir uns gleichzeitig aufgeweckt und ein wenig unwohl. Aufgeweckt, weil: Das Nachdenken übers Recht auf die eigene Privatsphäre fühlt sich nach Rückeroberung an. Die Piraten bringen uns Überlebenstipps bei für eine gefährliche Welt, von der wir gar nicht wissen, dass wir mittendrin stecken.

Unwohl, weil: Die Tricks gehen ja auch bei Leuten, bei denen es uns lieber wäre, sie würden gut überwacht. «Kriminelle wissen bereits sehr genau, wie sie ihre Spuren verwischen können», sagt Thöni. «Nur dumme Kriminelle bewegen sich unvorsichtig im Internet. Dementsprechend sind es die kleinen Fische, die die Polizei erwischt, weil sie sich nicht anonym im Netz bewegen. Es ist zulässig für Bürger, sich selber zu schützen.»

Das Argument könnte auch von der Waffenlobby stammen: Die Bösen haben eh schon alle Knarren dieser Welt, deshalb muss der freie Bürger auch welche haben. «Naja», sagt Thöni, und hat auch Recht damit, «mit Waffen werden Leute getötet. Mit unseren privaten Daten nicht. Das ist schon ein anderes Kaliber.» Wenn alle mit Waffen rumlaufen würden, sagt Thöni, würde einfach mehr geschossen. «Wenn sich alle anonym im Netz bewegen, werden deswegen nicht mehr Verbrechen begangen. Es wird einfach weniger personalisierte Werbung ausgespielt und weniger Daten gestohlen.»

Die Gäste des Kurses tauschen sich noch eine Weile aus. Und dann entspannen wir uns. Denn wir erfahren endlich, weshalb die Person mit Anarchie-Pullover da ist: «Ich will wissen, wie ich einen guten Werbeblocker installieren kann. Immer diese Pornowerbungen, wenn ich im Internet einen Film streamen will. Die nerven mich am meisten.»

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