Nach dem Tod einer Sexarbeiterin

«Wo sie ins Auto steigt, spielt keine Rolle»

Auf dem Strassenstrich im Industriequartier Ibach wurden als Zeichen der Anteilnahme Blumen hingelegt und Kerzen angezündet. (Bild: zentral+)

Bei der verstorbenen Sexarbeiterin aus Luzern geht die Polizei von einem Tötungsdelikt aus. Die Frauen auf dem Strassenstrich im Gebiet Ibach sind schockiert und in Trauer. Die Sicherheit der Sexarbeiterinnen ist ein bekanntes Problem. Ist es jetzt höchste Zeit, den Strichplatz ernsthaft zu hinterfragen?

«Man steht da, und hofft, dass sie wieder zurückkommen.» Eine Aussage, die in diesen Tagen aktueller ist denn je. Sie stammt von Annemarie Scheidegger. Die frühere Leiterin der Amtsvormundschaft Luzern arbeitet als Freiwillige beim Projekt hotspot – einem Beratungsangebot für Sexarbeiterinnen vom Strassenstrich im Industriequartier Ibach. Sie sagte es Ende November 2013. Vergangenen Sonntagmorgen wurde eine Sexarbeiterin im See bei Stansstad tot aufgefunden. Die Frau arbeitete auf dem abgelegenen Luzerner Strassenstrich. 

Dort wurde die 36-jährige Prostituierte vor ihrem Verschwinden zum letzten Mal gesehen. Wie die neusten Ermittlungen zeigen, deutet alles auf ein Tötungsdelikt hin. Die Staatsanwaltschaft Nidwalden teilte am Dienstag mit, dass aufgrund der Resultate der Obduktion von einem Gewaltverbrechen ausgegangen werden muss (zentral+ berichtete).

Vom Wohnquartier ins Industriequartier

Der tragische Todesfall wirft die Frage nach der Sicherheit am Standort des Strassenstrichs wieder auf. Wieder, weil bereits vor rund zwei Jahren, als der Strassenstrich aus den Wohnquartieren in das Industriequartier Ibach verlegt wurde, Kritik laut wurde. Besonders, weil es sich um ein so abgelegenes Gebiet handelt, dass soziale Kontrolle praktisch nicht vorhanden ist. Es gibt zwar mittlerweile verschiedene Betreuungsangebote für die Sexarbeiterinnen (zentral+ berichtete), doch die Gefahr ist und bleibt gross. Brigitte Snefstrup vom Luzerner Verein für die Interessen der Sexarbeitenden (LISA) arbeitet mit den Prostituierten des Strassenstrichs und steht mit ihnen in regem Austausch (siehe Box). Sie sagt: «Die Bedingungen beim Strichplatz Ibach stellen ein Sicherheitsproblem dar.» Es sei ein Problem, dass Frauen von dort in ein Auto einsteigen müssten und irgendwo hinfahren würden.

«Die Bedingungen am Ibach stellen ein Sicherheitsproblem dar.»

Brigitte Snefstrup, Fachfrau Sexarbeit

Weil aber der Fall noch nicht aufgeklärt sei, könne man noch keine abschliessende Aussage über die Sicherheitsproblematik machen. Es sei jetzt auch nicht die Zeit, Forderungen zu stellen. «Es geht jetzt um die Trauer um diese Frau», sagt Snefstrup.

«Was aus polizeilicher Sicht getan werden kann, tun wir»

Die Luzerner Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli zeigt sich über den Todesfall ebenfalls betroffen. Die Sicherheit der Sexarbeiterinnen im Gebiet Ibach sei ein Thema: «Ich habe den Strichplatz bereits mehrfach zusammen mit der Polizei, aber auch mit Betreuungspersonen besucht. Zudem wird das Thema Ibach regelmässig an meinen Sitzungen mit dem Kommandanten erörtert», sagt Schärli. Sie hätten an diesem Ort eine hohe polizeiliche Präsenz und dazu bestehe auch ein Betreuungsangebot. «Was aus polizeilicher Sicht getan werden kann, tun wir – und dazu haben wir auch positive Rückmeldungen.»

Betreuung auf dem Strassenstrich

Der Verein LISA (Luzerner Verein für die Interessen der Sexarbeitenden) wurde Ende 2013 gegründet und setzt sich für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden ein. Das Pilotprojekt «hotspot – Beratung auf dem Strassenstrich» läuft seit Mitte Dezember 2013.

Zweimal wöchentlich sind während drei Stunden am Abend eine ehrenamtliche Beraterin und eine Dolmetscherin auf dem Strassenstrich anwesend. Für die Beratung steht ein Container im Gebiet Ibach zur Verfügung, zu welchem nur Sexarbeiterinnen und Beratungspersonen Zugang haben. Brigitte Snefstrup, Fachfrau Sexarbeit, leitet das Projekt.

Gemäss Auskunft der Luzerner Polizei ist der Todesfall der 36-jährigen Bulgarin das erste schwere Gewaltdelikt im Gebiet Ibach. Es gab im Oktober 2013 einen Fall von leichter Körperverletzung.

Schärli ist der Ansicht, dass ein gesicherter Ort – wie beispielsweise in der Stadt Zürich die Sexboxen – die Sicherheit der Sexarbeiterinnen erhöhen könnte. «Wo dieses Gewerbe möglich ist und in welchem Rahmen es erlaubt ist, ist eine Nutzungsfrage. Das bestimmen weder das Justiz- und Sicherheitsdepartement, noch die Polizei.» Sie fügt hinzu, dass die Standortfrage eine städtische Angelegenheit sei. Deshalb könne sie sich dazu nicht äussern, so Schärli.

Zuerst muss der Fall aufgeklärt sein

Maurice Illi, Sicherheitsmanager der Stadt Luzern bestätigt, dass es ins städtische Aufgabengebiet falle. Auf die Frage, ob aufgrund des Todesfalls der Standort Ibach grundsätzlich hinterfragt werden müsse, sagt Illi: «Dazu ist es noch zu früh. Wir wissen noch nicht genau, was, wann, wo passiert ist.» Zuerst müsse man möglichst viel über den Fall wissen.

Er sagt aber, dass die Strassenprostitution grundsätzlich sehr gefährlich sei für die Frauen. «Zu einer fremden Person ins Auto zu steigen, birgt immer ein Risiko. Die Sexarbeiterinnen müssen dieses tragischerweise aufgrund ihres Beruf auf sich nehmen. Wo sie letztlich ins Auto steigt, spielt keine Rolle, wenn der Mann unlautere Absichten hat. Ob im Ibach oder am Schwanenplatz.» Die Stadt und der Kanton seien vor Ort sehr präsent und machten, was möglich sei, so Illi, «auch mit Betreuungsangeboten und einer sehr hohen Polizeipräsenz.»

«Der tragische Todesfall hat bei den Sexarbeiterinnen im Ibach grosse Bestürzung und Trauer ausgelöst», sagt Brigitte Snefstrup vom Verein LISA. «Wir sind sehr schockiert und traurig, wir kannten die Frau schon länger.» Die Verstorbene sei in den letzten Jahren immer wieder dort gewesen, so Snefstrup. Ihre Aufgabe sei es nun, die Sexarbeiterinnen vor Ort bei der Verarbeitung des Todesfalls zu unterstützen und mit ihnen einen Abschied zu organisieren.

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