Wilden Mann: eine der ältesten Gaststätten Luzerns

Wo seit 500 Jahren Luzerner Meinungen gemacht werden

Der «Wilden Mann» an der Bahnhofstrasse Luzern.

(Bild: giw)

Auch nach 500 Jahren geht es im «Wilden Mann» hoch zu und her. Mysteriöse Bünde, Politiker und Reisende aus aller Welt finden in einem der ältesten Gasthäuser Luzerns einen Ort zum Verweilen. Ein Rundgang durch ein wunderliches Gemäuer, das zugleich schaurige und belustigende Geschichten beherbergt.

Mitten im Herzen der Luzerner Kleinstadt versteckt liegt eine der ältesten Wirtschaften der Stadt. Während an der Burgerstrasse gerade die Pflastersteine und die Kanalisation erneuert werden, ist die Stimmung im Innern des «Wilden Mannes» ruhig. Die alten und schweren Möbel lassen die Zeit still stehen.

1517 wird der «Wilde Mann» erstmals urkundlich nachgewiesen. Ein Eintrag im Kassabuch von Stadt und Republik Luzern erwähnt ein Gelage von Krienser Bauern, welches diese in der Gaststätte für 75 Gulden abhielten. Daher feiert man dieses Jahr das 500-Jahr-Jubiläum.

Zwei Restaurants plus Hotel

Ein halbes Jahrtausend später können sich hier Reisende und Luzerner gleichermassen gütlich tun. Mittlerweile umfasst der «Wilde Mann» zwei Restaurants und ein Hotel, in dem die Geschichte allgegenwärtig ist. Die Zimmer sind ausgestattet mit antiken Möbeln. Keine Schlafstatt sieht gleich aus wie die andere. Zuweilen fühlt man sich wie in einem Labyrinth. Ständig geht es Treppen rauf und runter, meterdicke Wände krümmen sich und münden in dunkeln Ecken. Tritt man durch die Tür, steht man unvermittelt in einem hellen Raum mit bunten Tapeten, goldenen Spiegeln und extravaganten Liegen.

In der früheren Pinte nahm alles seinen Anfang: Die Burgerstube im neugotischen Stil.

In der früheren Pinte nahm alles seinen Anfang: Die Burgerstube im neugotischen Stil.

(Bild: giw)

Ein beliebtes Geschäftsmodell der Obrigkeit

Der Grund für das ständige Auf und Ab und die undurchschaubare Raumaufteilung ist von aussen am besten wahrnehmbar: «Der ‹Wilde Mann› besteht aus insgesamt sieben Häusern, die im Laufe der Jahrhunderte zu einem einzigen Gasthaus zusammenwuchsen», erklärt Hotel-Marketingchef Andrés Calvo. Wer also im «Wilden Mann» umherwandelt, wechselt ständig das Bauwerk.

Weiter gehört die räumlich separierte alte Münz zum Komplex, dort stellte die Republik Luzern früher ihr Geld her. «Noch heute hat die Schweizer Nationalbank ein Büro in der Ecke. Vielleicht ist das nur Zufall, aber wer weiss», verrät Calvo mit einem verschmitzten Lächeln. Aber nicht nur Finanzdienstleistungen werden an der Münzgasse getätigt, auch das älteste Gewerbe der Welt geht in den Abendstunden durch den engen Korridor ein und aus.  

Doch zurück zur Gaststätte. Der «Wilde Mann» war ursprünglich eine sogenannte Pinte. Nach damaligem Recht war es erlaubt, Wein über die Gasse zu verkaufen und Gästen in der Schenkstube auch Käse oder Brot vorzusetzen – warm verköstigen oder beherbergen durfte die Pinte ihre Gäste hingegen nicht. Das Recht, Alkohol auszuschenken, sei damals sehr beliebt gewesen. Ein solcher Betrieb erlaubte der Luzerner Obrigkeit, Geld zu verdienen, weiss Direktor Arno Affolter.

«Hier wird die Meinung gemacht, drüben im Kantonsratssaal wird sie dann öffentlich proklamiert.»

Arno Affolter, Direktor

In seinen Anfängen, so vermutet man, war die Pinte im Besitz eines hiesigen Patriziers, vermutlich war der Wirt Mitglied der Stadtregierung. Gegenüber, auf der anderen Strassenseite, liegt heute die Alte Suidtersche Apotheke – und dazwischen stand lange Zeit das Burgertor. Der «Wilde Mann» war das erste Gebäude, dem Reisende begegneten, wenn sie den geschützten Bereich Luzerns betraten.

Lebendige Geschichte

Damit nähern wir uns auch dem Ursprung des Namens. Glaubt man der Geschichtsforschung, so geht der Name auf einen riesigen Knochen zurück, der in alten Zeiten im unteren Wiggertal in der Gemeinde Reiden gefunden wurde. Die Menschen aus der Region dachten, es handle sich um eine riesenhafte Gestalt. Nicht nur in Luzern, auch in Sursee und rundum im deutschen Sprachraum finden sich Hinweise auf den mysteriösen halbnackten Riesen mit Langbart, Sixpack und einem Lendenschutz aus Blättern.

«Tatsächlich weiss man heute, dass es sich um Mammutknochen handelte», erklärt uns Marketingchef Calvo. Die Gestalt des wilden Mannes ist in den Räumlichkeiten omnipräsent: da als Kaminverzierung, dort als Verzierung im Treppenhaus. Der wilde Mann ist ausserdem Teil des Bilderzyklus auf der Kapellbrücke. Eine Kopie ist in einem der zahlreichen Speisesäle an der Wand angebracht. Die Sagengestalt ist ein symbolischer Bodyguard und bietet den Reisenden Schutz.

Geschichte wird hier weitergelebt. Beispielsweise wurden in der alten Münz schon Mittelalter-Events durchgeführt. Und die Stammgäste sind unvergleichlich treu. Die liberale Herrengesellschaft «Trockenbund» hat im «Wilden Mann» eine Stammbeiz. Seit der Gründung im Jahre 1805 trifft man sich hier. Dabei gehe es zuweilen hoch zu und her, verrät uns Direktor Affolter.

Arno Affolter, Direktor im Wilden Haus.

Arno Affolter, Direktor im «Wilden Mann».

(Bild: giw)

Besuch von Bünden und Bundesräten

Er kann sich an das Aufnahmeritual eines Chirurgen erinnern, der in den Herrenkreis aufgenommen wurde. Als Überraschung wurden ihm sein Chirurgenbesteck, Mundschutz und Arbeitskleider bereitgelegt. «Über unseren Metzger haben wir einen Schweinskopf organisiert, ausserdem organisierten die Trockenbündler eine Kopie der berühmten Mona Lisa.» Die Aufgabe des Neulings war es nun, im Bankettsaal mithilfe chirurgischer Instrumente dem Schweinskopf das unvergleichliche Lächeln der Florentinerin zu verpassen. Oder ein anderes Mal wurde zum Samichlaustag ein lebendiger Esel die enge Wendeltreppe hinaufgetrieben. «Das war eine ziemliche Übung», erinnert sich Affolter mit schallendem Gelächter.

Immer wieder könne man auch amtierende und ehemalige Bundesräte im «Wilden Mann» für Essen und Übernachtungen begrüssen, sagt Affolter. Die traditionelle Beiz der Luzerner Liberalen, die gleich neben dem Regierungsgebäude steht, wird noch heute während der Sessionstage öfters von Mitgliedern der FDP besucht. Etwa für Fraktionssitzungen oder Mittagessen.

«Natürlich sind wir inzwischen nicht mehr parteigebunden, wir haben auch Stadtpräsident Beat Züsli von der SP oder Stadträtin Manuela Jost GLP öfters zu Besuch», sagt Affolter. Bei der Politprominenz fragt man sich, wo denn die wichtigen Entscheide fallen. «Wenn ich das wüsste. Hier wird die Meinung gemacht, drüben im Kantonsratssaal wird sie dann öffentlich proklamiert», sagt Affolter.

«Wir können natürlich nicht einfach Dinge ändern hier.»

Arno Affolter, Direktor

Die Beständigkeit des Hauses scheint auf die Mitarbeiter abzufärben: Affolter ist bereits seit 20 Jahren Direktor, Calvo seit 10 Jahren Marketingchef. «Es ist nicht jedermanns Sache, hier zu arbeiten. Manche Interessierte merken beim Schnuppern, dass das nicht ihre Welt ist.» Der «Wilde Mann» gehört seit mehr als 20 Jahren der Familie Zimmermann aus Zug – die diesem Erbe Rechnung tragen will. «Stephan Zimmermann findet immer wieder Stücke in Antiquarien», erklärt uns Direktor Arno Affolter. Das Mobiliar wird dann restauriert und findet wieder Verwendung.

Kostspieliger Unterhalt

«Es ist eine Herausforderung, aber auch ein tolles Gefühl, in einem solchen Haus zu arbeiten», erklärt Affolter. Im Vergleich zu herkömmlichen Hotels in der gleichen Kategorie kostet der Unterhalt 10 bis 15 Prozent mehr, rechnet Affolter vor. Das beginne bereits bei den teureren Handwerkern, die das Verständnis und das Können haben müssen, um fachmännische Renovationen am historischen Bau durchführen zu können. «Auch die Materialien müssen der Historie entsprechend ausgewählt werden, was nicht immer günstig ist.» Als eines von rund 50 Swiss Historic Hotels im Land wird der «Wilde Mann» auch immer wieder besucht und beraten von Spezialisten.

Bei Umbautätigkeiten muss Affolter sich ausserdem immer mit Behörden absprechen. «Wir können natürlich nicht einfach Dinge ändern hier.» Das betreffe insbesondere die Fassaden. «Im Innern haben wir relativ freie Hand.» Nicht angerührt werden darf jedoch die 500 Jahre alte Burgerstube mit ihrem dunklen Holz, den Wandmalereien mit alten Wappen und Butzenscheiben im neugotischen Stil. Der als Restaurant genutzte Raum steht im Bauinventar.

Doch die Historie des Hauses hat auch ihre Vorteil, erklärt Affolter. «Gäste, die ein historisches Ambiente suchen, werden in Luzern nur hier fündig. Die Einzigartigkeit des Hauses ist natürlich ein Wettbewerbsvorteil», erklärt Affolter. Der Direktor ist überzeugt, dass auch in 500 Jahren im «Wilden Mann» noch Gäste einkehren und für einen Moment zurück in alte Zeiten reisen können.

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