Flüchtlinge in Privatunterkünften

«Wir lieben Frau Monika und Oberwil»

Monika Mathers (links) mit ihren neuen Mitbewohnerinnen Nada Aleawi und Tochter Anjila. (Bild: mbe.)

Flüchtlinge aufnehmen ist gar nicht so kompliziert wie oft behauptet. Die Zuger Gemeinderätin Monika Mathers hat ihre Einliegerwohnung an eine junge Irakerin mit ihrer Tochter vermietet. zentral+ besuchte die spezielle «WG» in Oberwil.

Monika Mathers politisiert für die Christlich Soziale Partei im Grossen Gemeinderat Zug. Doch für einmal geht es hier nicht um Politik, sondern um eine private Angelegenheit. Oder vielmehr eine Halbprivate.

Denn Flüchtlinge und die Probleme bei deren Unterbringung sind seit einem halben Jahr ein Dauerthema. Viele Private würden gerne einen Beitrag leisten, wenn man sie denn nur liesse (zentral+ berichtete). Doch die Behörden befürchten mögliche Probleme, wenn jemand bei sich zuhause einen Flüchtling aufnimmt, und sie haben zu wenig Kapazitäten für eine seriöse Abklärung.

An Flüchtlingsfamilie vermietet

Das Thema Einliegerwohnung ist insofern ein Spezialfall (siehe Kasten unten). Besuch bei Vermieterin Monika Mathers und ihrer neuen Mieterin. Die Türe geht auf, eine zierliche junge Frau öffnet uns die Türe. Wir scheuen uns, gutschweizerisch einzutreten, und müssen entscheiden, wo das Gespräch stattfinden soll. In der Einliegerwohnung also.

Es ist das neue Zuhause von Nada Aleawi und ihrer Tochter Anjila. Eine Freundin ist gerade ebenfalls zu Besuch, sie trägt ein Kopftuch und spricht gut Deutsch. Sie war mit einem Schweizer verheiratet. Als wir eintreten, setzt sie sich einige Meter weg, an den Esstisch. Wir bitten sie, zurückzukommen und doch wieder auf der Polstergruppe Platz zu nehmen.

Orientalische Gastfreundschaft in Oberwil

Es vergeht keine Minute, da haben wir schon einen kleinen Teller vor uns stehen: Eine Kostprobe von «Dolma», einer orientalischen Spezialität. Mit Reis und Hackfleisch gefüllte Zuchetti, exotisch gewürzt, schmeckt ausgezeichnet. Später balanciert unsere Gastgeberin Nada – das heisst übrigens auf Arabisch Morgentau – ein Tablett mit Teegläsern aus der Küche auf den Salontisch. Orientalische Gastfreundschaft in Oberwil.

Wie lief das jetzt genau mit der Wohnung, wollen wir wissen. Monika und Bruce Mathers bewohnen ein grosses Einfamilienhaus in Oberwil. Im selben Gebäude befindet sich eine kleine Einliegerwohnung mit separatem Eingang. Früher war es eine Arztpraxis. «Die Wohnung wurde frei, vorher hatten wir sie an eine Juristin vermietet», erzählt Mathers, «wir fanden, es wäre doch eine gute Idee, die Wohnung an Flüchtlinge zu vermieten.»

Angebot mal gemeldet

Sie meldete ihr Angebot ans Amt für Migration. Gemeldet haben sich dann die Sozialen Dienste Asyl, welche Asylsuchende und aufgenommene Flüchtlinge beraten und unterstützen (Abteilung des Kantonalen Sozialamts).
Kurz darauf meldete sich Nada Aleawi und kam zur Wohnungsbesichtigung vorbei. Die Wohnung gefiel ihr sehr. Mathers: «Wir haben direkt miteinander geredet, es kam niemand von der Behörde mit.» Auch den Mietvertrag haben Mathers direkt mit der Mieterin abgeschlossen.

Die Behörde habe gefragt, ob sie auch an einen Mann vermieten würden. «Offenbar haben sie mehr Probleme, Unterkünfte für junge Männer zu finden als für Frauen», vermutet die Oberwilerin. Das bestätigt Jris Bischof, Leiterin des Kantonalen Sozialamts Zug. «Es ist ein Fakt, dass zahlreiche Vermieter lieber Familien oder Frauen haben.»

Familie in der Schweiz und den USA

Nada Aleawi und ihre Tochter leben seit dreieinhalb Jahren in der Schweiz. Sie sind anerkannte Flüchtlinge und haben die Aufenthaltsbewilligung B. Die 32-jährige Mutter spricht mittlerweile Deutsch, nicht perfekt, aber man versteht sie.
Töchterchen Anjila trägt uns ein Kinderlied auf Schweizerdeutsch vor (siehe Video). Sie besucht den Kindergarten Fuchsloch in Oberwil und ist zweimal pro Woche in der Tagesbetreuung. «Anjila hat sich sofort eingelebt und hat schon viele Freunde», erzählt Monika Mathers.

Ihre neuen Mieter nennen sie «Frau Monika» und mögen sie sehr. Sie lieben auch Barry, den Hund der Familie Mathers, der das Haus bewacht. Anjila liegt auf dem Boden und zeichnet den Sennenhund.

«Anjila hat sich sofort eingelebt und hat schon viele Freunde.»

Vermieterin Monika Mathers

Als Amerikaner-Freunde diskriminiert

Nada Aleawi und ihre Familie stammen aus Bagdad. Die eine Schwester lebt bereits seit Jahren in der Schweiz und ist mit einem Landsmann verheiratet. Der Bruder ist mit seiner Familie ebenfalls vor drei Wochen in die Schweiz gekommen. Die Eltern und eine andere Schwester leben in den USA.

Bereits 2007 verliess die junge Frau Bagdad. Den Grund erzählt sie uns: Der Vater besass eine Stuhlmanufaktur in der irakischen Hauptstadt. Weil er seine Erzeugnisse auch an die US-Army verkaufte, sei die Manufaktur angezündet worden. Die Familienmitglieder wurden als Amerikaner-Freunde diskriminiert und schikaniert. «Nichts bei dieser Familie kaufen, schrieben sie an unser Haus.»

Die Familie flüchtete und zerstreute sich alsbald in alle Winde. Die junge Irakerin lebte zuerst in Syrien, wo sie den Vater ihres Kindes kennen lernte. Doch die Beziehung hielt nicht lange. Dann ging sie wieder in den Irak, 2012 erneut nach Syrien. Später lebte sie mit der Tochter eine zeitlang in Istanbul, wo sie auf Schlepper warten musste.

«Nichts bei dieser Familie kaufen, schrieben sie an unser Haus.»

Nada Aleawi, anerkannter Flüchtling

Irak, Syrien, Türkei …

Mithilfe dieser Personen, denen die Familie viel Geld zahlen musste, kam sie schliesslich auf abenteuerlichen Wegen in die Schweiz und stellte einen Asylantrag. Die Schweiz ist für die Irakerin mittlerweile zur zweiten Heimat geworden. «Alles gut hier», sagt sie. Man helfe ihr bei der Arbeits- und auch bei der Wohnungssuche, sagt sie. Das sei in Ländern wie Syrien oder der Türkei anders gewesen. «Du bist auf dich allein gestellt, niemand hilft dir», erinnert sie sich.

Nada Aleawi sucht momentan Arbeit im Kanton Zug. In ihrem ursprünglichen Beruf – sie hat Jus in Bagdad studiert, kann sie natürlich nicht arbeiten. Doch die moderne, junge Frau, die es hasste, wenn man ihr ein Kopftuch aufzwingen wollte (in der Uni musste sie zeitweise eines tragen), will lernen und sich hier etablieren.

Auch die Schweizer Kultur interessiert sie: Diese Tage haben Mutter und Tochter mit Monika Mathers Lebkuchen gebacken und verziert. «Ich war beeindruckt, wie viel Ausdauer beide hatten», erzählt Mathers und lacht.

Keine Probleme mit anderen Kulturen

Monika Mathers ist selbst im Leben viel herumgekommen und hat Syrien vor dem Krieg bereist – «es war ein wunderschönes Land». Verschiedene Kulturen zu erleben, ist für sie normal. Ihr Mann Bruce stammt ursprünglich aus Irland.

Mathers will kein Aufhebens machen um ihre neue Bewohnerin. «Sie ist für mich einfach meine Mieterin und kein Aushängeschild oder so etwas Ähnliches.» Sie hofft, dass Nada bald Arbeit findet und finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Mathers gefällt, dass ihre neue Mitbewohnerin öfters Besuch von Freundinnen hat. «Mir ist das aufgefallen, ich finde das schön.»

Zu ihrem Engagement meint sie noch. «Ich habe nicht alle Nachbarn gefragt, ob diese einverstanden sind, dass ich an Flüchtlinge vermiete.» Das sei ihre Sache, sagt die Politikerin selbstbewusst.

Wo kann man freie Wohnungen melden?

Das geschilderte Beispiel aus Oberwil ist ein Spezialfall, weil die Familie Mathers eine Einliegerwohnung in ihrem Haus vermietet. «Das ist etwas ganz anderes, als Personen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich in der eigenen Wohnung aufzunehmen», sagt Jris Bischof, Leiterin des Kantonalen Sozialamts Zug auf Anfrage. Eine Einliegerwohnung hat einen separaten Eingang sowie eine eigene Küche und Bad.

«Wir erhalten ständig Angebote, dass wir Wohnungen mieten können», sagt Bischof. Man prüfe die Wohnungen. «Wenn sie geeignet sind, schliessen wir Mietverträge mit den Vermietern ab.»

Der Kanton Zug hat laut Bischof aktuell 75 Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung, der grösste Teil ist gemietet. Darunter befänden sich auch einige Einliegerwohnungen. Wer eine Wohnung zu vermieten hat, kann sich melden bei der Abteilung Soziale Dienste Asyl des Kantonalen Sozialamts, [email protected], siehe auch Webseite.

Das Sozialamt Zug hat laut Jris Bischof keine Personen direkt in einer Privatwohnung untergebracht (zentral+ berichtete). Wenn jemand einem Flüchtling in seiner Wohnung ein Zimmer anbieten will, verweist die Behörde an die Schweizerische Flüchtlingshilfe.

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