Pädophilen-Prozess am Strafgericht Zug

«Wie ein Puppenspieler manipulierte er die Jungen»

Die Zuger Strafverfolgungsbehörden verglichen den Beschuldigten mit einem Puppenspieler, der die Knaben wie Marionetten dirigierte.

(Bild: Fotalia / Bearbeitung zentralplus)

Vor dem Strafgericht Zug sass am Montag ein 32-jähriger Mann. Er wird beschuldigt, vier minderjährige Knaben manipuliert und teilweise sexuell missbraucht zu haben. Er bestreitet alles und sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Aber auch sonst blieb Einiges im Unklaren.

Vor Gericht verantworten musste sich am Montag ein im Kanton Zug geborener Secondo mit türkischem Pass. Der Mann, der seinen Wohnsitz inzwischen in einen anderen Kanton verlegt hat, machte selbst den Eindruck eines störrischen Kindes.

Seine Antwort auf die meisten Fragen der Gerichtspräsidentin Carole Ziegler lautete lapidar: «Dazu äussere ich mich nicht.» Nicht einmal sein Alter wollte er genau wissen. «30». In Wirklichkeit sind es 32 Jahre. Er wohne mit seiner Mutter, liess er sich immerhin entlocken, und er sei jetzt verlobt. Das Alter seiner Verlobten? Lange Pause. «21 oder 22.»

Tattoo zum Mafiafilm «Der Pate»

Die beiden Zuger Staatsanwälte, welche den Fall untersuchten, verglichen den Mann mehrmals mit dem Puppenspieler aus dem Mafia-Film «Der Pate». Der Beschuldigte habe ja ein grossflächiges Tattoo zu diesem Thema, sagte Staatsanwalt Roland Schwyter.

Was wird dem Mann vorgeworfen, der zur Zeit der Taten 24 bis 26 Jahre alt war? Er hat das Vertrauen von vier minderjährigen Jugendlichen gewonnen, sie zuerst beschenkt, dann aber manipuliert und kontrolliert. Immer mit dem Ziel, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn sie nicht taten, was er wollte, bedrohte, terrorisierte oder verletzte er sie. Das Hauptopfer – damals 12 Jahre alt – soll er laut der Anklageschrift in einem Zeitraum von drei Jahren über 100 Mal in seiner Wohnung, im Auto oder in einem Keller sexuell missbraucht haben.

Einige Vorwürfe bereits verjährt

Der Katalog der Vorwürfe ist umfangreich: Sexuelle Nötigung, sexuelle Handlungen mit einem Kind und Pornografie, ebenso Freiheitsberaubung, Nötigung und einfache Körperverletzung. Vorgeworfen wurden dem Mann ebenfalls Widerhandlungen gegen das Waffengesetz und das Verabreichen gesundheitsgefährdender Stoffe (Marihuana) an Kinder. Die Vorwürfe der Pornografie, der illegalen Waffe und des Joint-Rauchens sind verjährt und wurden deshalb am Prozess nicht behandelt.

Die Staatsanwaltschaft beantragte zuerst eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Weil das Beschleunigungsgebot verletzt worden sei und wegen der Verjährung, reduzierte die Anklage ihren Strafantrag während der Verhandlung auf drei Jahre und zwei Monate (also vier Monate weniger).

Knaben unter 16 Jahre alt

In der Anklageschrift werden vier Opfer aufgeführt, ohne Geburtsdaten. Die Knaben seien aber zum Zeitpunkt der Taten alle unter 16 Jahre alt gewesen. Die Delikte hätten sich «zu einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt» zwischen November 2008 und Januar 2010 am früheren Wohnort des Beschuldigten in Rotkreuz abgespielt. Der sexuelle Missbrauch des Hauptopfers geschah früher.

Der eine Jugendliche besuchte den Mann öfters zuhause, sie hielten sich in dessen Zimmer auf. Einmal schloss der Mann die Türe ab, verstaute den Schlüssel in seiner Unterhose und forderte den Jungen zu gegenseitiger Onanie auf. Andernfalls, drohte er, lasse er ihn nicht hinaus und verprügle ihn. Der Jugendliche drohte seinerseits, die Mutter des Mannes zu Hilfe rufen oder die Tür einschlagen. Er durfte schliesslich gehen, ohne Sex. Andere Male übernachtete der Junge gezwungenermassen bei dem Mann, weil dieser die Türe abschloss und den Knaben erst am nächsten Tag aus seinem Zimmer liess. Mindestens einmal habe er ihn mit einem Baseballschläger geschlagen, ohne ihn sichtbar zu verletzen.

Drohungen, Schnitte, Kopfstoss und Ohrfeigen

Bei einem weiteren Vorfall wird der Beschuldigte der einfachen Körperverletzung mit einem verbotenen Butterflymesser bezichtigt. Er schnitt dem Jugendlichen mit dem Messer in den linken Unterarm. Dieser habe eine mindestens drei Zentimeter lange blutende Schnittwunde erlitten, heisst es in der Anklageschrift. Bei einer anderen Gelegenheit soll der Angeklagte den Jugendlichen, als dieser mit dem Hund spazieren ging, im Auto sitzend abgepasst haben. Er verpasste ihm einen üblen Kopfstoss.

Zwei weitere mutmassliche Opfer, ein Brüderpaar, hatten mit dem Beschuldigten ebenfalls viel Kontakt. Auch diese Jugendlichen wurden gemäss Staatsanwaltschaft drangsaliert und sexuell missbraucht. Den einen forderte der Mann auf, zu masturbieren und sich dann von ihm mit der Hand befriedigen zu lassen. Als der Knabe sich weigerte, habe der Mann ihm gedroht mit Sätzen wie «Wenn du 18 Jahre alt bist und dein Bruder auch, bringe ich dich um.» Er drohte auch, das Auto der Familie in die Luft zu jagen oder die Eltern umzubringen. Damit erreichte der Mann sein Ziel. Der Junge tat, was der Ältere wollte.

Brennende Zigarette auf Arm ausgedrückt

Ein weiterer Vorwurf wurde am Prozess mit «Autogefängnis» umschrieben. Der Beschuldigte zwang den Knaben, mit ihm 45 bis 60 Minuten im von innen verriegelten Auto zu sitzen. Dem Wunsch des Jugendlichen, aussteigen zu dürfen, kam der Mann nicht nach. Stattdessen fuhr er mit ihm zum Sientalwald bei der Autobahn in Rotkreuz und verpasste dem Knaben dort mehrere Ohrfeigen. Weil der Beschuldigte einen Ring trug, seien diese besonders schmerzhaft gewesen. Auf einfache Körperverletzung lautet ein weiterer Vorwurf, dass der Mann eine brennende Zigarette auf dem Arm des Jungen ausgedrückt habe.

Hauptopfer 12 Jahre alt

Blieb es bei den drei Jugendlichen bei einem oder versuchten Sexualdelikten, war das erst 12-jährige Hauptopfer quasi «die Beziehung» des Beschuldigten. In einem Zeitraum von drei Jahren habe dieser hunderte Male mit ihm onaniert sowie geschützten und ungeschützten Oral- und Analverkehr an verschiedensten Orten und zu unterschiedlichen Tageszeiten gehabt. Der schwerwiegende Vorwurf lautet auf mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind.

Bei Sexualdelikten keine Zeugen

Am Prozess bestritt der türkische Secondo wie erwähnt alle Vorwürfe. Er äusserte sich auch nicht zur angeblichen Verschwörung der Jugendlichen gegen ihn, die er und sein Verteidiger vorbringen. Erwähnt wurde, dass er in Rotkreuz zusammengeschlagen worden sei.

Der zweite Staatsanwalt Peter Furger sagte, es stehe zwar Aussage gegen Aussage in diesem Verfahren. Das heisse aber in diesem Fall nicht «Im Zweifel für den Angeklagten». Die Schilderungen der vier Jugendlichen in der Untersuchung seien konkret, erlebnisfundiert und nachvollziehbar gewesen. Furger: «Ein Zeichen für die Wahrheit.» Sexualdelikte seien in der Regel Vier-Augen-Delikte ohne Zeugen.

«Er gab zuerst vor, das Hauptopfer gar nicht zu kennen. Dabei hatte er eine intensive Beziehung zu ihm. Das ist absurd.»
Peter Furger, Zuger Staatsanwalt

Die Angaben des Angeklagten seien hingegen «mit Vorsicht zu geniessen», Furger sprach von Schutzbehauptungen. Sein Hauptopfer habe der Beschuldigte in der Strafuntersuchung zuerst gar nicht kennen wollen. «Dann sagte er, ihn nicht richtig zu kennen.» Schliesslich, ihn nur unter einem Spitznamen zu kennen. «Dabei hatte er eine intensive Beziehung zu ihm. Das ist völlig absurd und unglaubhaft», so der Staatsanwalt.

Hauptopfer von anderen Jugendlichen genannt

Das Hauptopfer hat keine Anzeige erstattet, er ist von einem der anderen Jugendlichen als mögliches Missbrauchsopfer den Behörden genannt und befragt worden. Der Zuger Anwalt des Jugendlichen, Matthias Camenzind, zeigte auf, dass der Knabe am Anfang beeindruckt gewesen sei von der Lässigkeit und Coolheit des Beschuldigten. «Er war stolz, einen älteren Freund zu haben», so Camenzind. Dieser habe ihm Geschenke gemacht und Dinge wie Autofahren ausprobieren lassen.

Aus dem Streicheln und Küssen sei immer mehr geworden. «Warum liess er sich so lange missbrauchen?», fragte der Anwalt. Sein Erklärungsversuch: Es habe ein starkes psychisches Abhängigkeitsverhalten bestanden. «Doch auch wenn er einverstanden war mit den Handlungen, ist es nicht seine Verantwortung. Diese liegt immer und allein beim Erwachsenen.» Der Junge sei durch die Vorfälle in seiner Persönlichkeit schwer verletzt worden. Seine schulischen Leistungen hätten stark nachgelassen, schliesslich hätten ihn die Eltern in ein Internat geschickt.

«Die Verantwortung liegt immer und allein beim Erwachsenen. Mein Mandant hasst den Täter abgrundtief.»
Matthias Camenzind, Anwalt des Hauptopfers

Sein Mandant hasse den Täter abgrundtief, so Camenzind. Er verlangt eine Genugtuung von 30’000 Franken.

Anwalt kritisiert obskure Machenschaften

Roman M. Hänggi, der Zürcher Anwalt des Beschuldigten, kritisierte die Zuger Untersuchungsbehörden. Die Anklagevorwürfe seien ungenau, viele Details fehlten. Eigenartig mute an, dass man die Natels der Jugendlichen nicht beschlagnahmt und ausgewertet hätte. Sie hätten angegeben, diese in den See geworfen, vergraben oder verloren zu haben. Die SMS-Drohungen seines Mandanten seien deshalb nicht beweisbar.

Die Jugendlichen hätten Zeit gehabt, die Aussagen miteinander abzusprechen, war ein weiterer Vorwurf Hänggis. «Dafür hat ganz Rotkreuz über meinen Mandanten gesprochen», so der Anwalt. Dieser sei spitalreif geschlagen worden. Der Anwalt tönte auch obskure Machenschaften von Jugendbanden in Rotkreuz an. «Die drei Jugendlichen standen zuerst unter dem Schutz meines Mandanten. Dann wechselte ihre Schutzmacht. Die Zuverlässigkeit ihrer Aussagen darf stark angezweifelt werden.»

«Ganz Rotkreuz hat über meinen Mandanten gesprochen. Er wurde ausserdem spitalreif geschlagen.»
Roman M. Hänggi, der Anwalt des Beschuldigten

Staatsanwalt: Warum sollten Jugendliche dem Mann etwas anhängen?

Am Nachmittag des Prozesstages hatten die Parteien Gelegenheit zu einer Replik. Staatsanwalt Peter Furger bat das Gericht, sich nicht beirren zu lassen von der Verteidigung. Diese versuche, Versäumnisse anzuprangern und die Glaubwürdigkeit der Privatkläger zu unterminieren. Furger dazu: «Die Abklärungen geschahen nach bestem Wissen und Gewissen.»

Auffallend sei, dass die Verteidigung keinen Grund nennen könne, warum die Jugendlichen den Beschuldigten angezeigt und weshalb er verprügelt worden sei. «Weshalb sollten sie ihn denn ungerechtfertigt wegen Sexualdelikten bezichtigen?»

Die Antwort des Verteidigers Roman M. Hänggi: «Sie wollten ihm schaden. So einfach ist das.»

Zu allen Tages- und Nachtzeiten terrorisiert

Peter Furger meinte, Tatsache sei, dass die Jugendlichen Angst gehabt hätten vor dem Mann. Dieser habe sich sehr intensiv in ihr Leben eingemischt. Die Mutter des Hauptopfers schildert laut dem Staatsanwalt in einem Brief sehr eindrücklich, in welcher Intensivität der Mann ihren Sohn zu allen Tages- und Nachtzeiten terrorisiert habe. Sie hatte ihm den Kontakt zu ihm verboten.

Staatsanwalt äussert sich zu langer Verfahrensdauer

Zur Frage, warum es von der Strafanzeige bis zum Prozess so lang ging, erklärte Staatsanwalt Roland Schwyter gegenüber zentralplus, dass dieses Hauptverfahren von weiteren Verfahren gegen den Mann abgetrennt worden sei. «Bei den anderen Verfahren sind wir noch im Ermittlungsstadium.» Es gehe um geringfügigere Delikt-Vorwürfe gegen den Mann. Schwyter macht aber auch Kapazitätsgründe für die lange Dauer geltend.

Keine Themen am Prozess war die Veranlagung des Beschuldigten oder seine familiären Umstände. Erwähnt wurde einzig ein psychiatrisches Gutachten der LUKS aus Luzern. Dieses attestierte dem Mann die Schuldfähigkeit.

Der Angeklagte verzichtete auf ein Schlusswort. Das Urteil ist noch nicht gefällt, auf Wunsch der Parteien gibt es keine öffentliche Urteilseröffnung und das Urteil wird den Parteien schriftlich zugestellt.

Auch der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, Medienvertreter waren aber zugelassen.

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