Alternative zu Konsumtempeln am Beispiel von Biel

Wie die Luzerner Altstadt wieder zum Leben erwacht

Die Bieler Altstadt hat ausgeschlafen: Ein neues Konzept sorgt für viel Kundschaft und Publikum.

(Bild: Stefan Jermann und David Porfirio)

Viele Stadtzentren liegen im Dornröschenschlaf. So war das auch in Biel. Bis dort ein paar findige Köpfe das Heft selber in die Hand genommen und die Altstadt neu erfunden haben. Und siehe da: Die Bieler Altstadt ist heute attraktiver denn je. Ginge das auch in Luzern?

In Luzern geht die Angst um: Wandert die Kundschaft aus der Innenstadt Luzern in die Mall of Switzerland ab, wenn diese im Herbst ihre Tore öffnet? Für die Altstadt wäre das ein herber Schlag: Schon jetzt serbeln viele Geschäfte vor sich hin (zentralplus berichtete).

Verlieren die Läden noch mehr Kunden, wäre das logische Fazit: Viele Geschäfte machen dicht, die Altstadt hat noch weniger spezielle Lädeli als jetzt schon und wird zunehmend unattraktiv für einen Bummel. Mit diesem düsteren Szenario steht die Stadt Luzern nicht alleine da. Wie die jeweiligen Städte mit der Problematik umgehen, ist sehr unterschiedlich – zu hören auch in dieser Sendung von Radio SRF:

Junge Generation mischt Biel auf

«Viele Stadtzentren brauchen grundsätzlich neue Ideen und Konzepte, damit sie lebendig bleiben», sagt Reto Bloesch aus Biel. Der 44-jährige Bieler weiss, wovon er spricht: Bloesch ist einer der führenden Köpfe, die hinter der erfolgreichen Wiederbelebung der dortigen Altstadt stehen. «Die Altstadt lag in einer Art Dornröschenschlaf. Es gab kaum Kundschaft, wenig Betrieb und ausgestorbene Gassen», erzählt Bloesch.

«Eine solche Abwanderung ist jedoch auch eine Chance. Aber man muss schlau und kreativ sein.»
Reto Bloesch, Mit-Initiant «First Friday»

Ein Trauerspiel. Die Altstadt von Biel kann es nämlich mit ihren schönen Plätzen, der gut erhaltenen Bausubstanz und den charmanten Ecken durchaus mit jener von Luzern aufnehmen. Trotzdem war sie seit Jahrzehnten das Sorgenkind der Stadt Biel. Abgewandert ist die Kundschaft vorwiegend in die rasant gewachsene Neustadt und in Einkaufszentren der Peripherie – so wie das Luzern mit der Mall of Switzerland blühen könnte. Zurückgeblieben sind leere Läden und eine trostlose Atmosphäre. «Eine solche Abwanderung ist jedoch auch eine Chance. Aber man muss schlau und kreativ sein», sagt Bloesch. So wie die Gründer von «First Friday» mit ihrem Konzept für die Altstadt Biel.

Am «First Friday» gibt es lustige Angebote für kleines und grosses Publikum.

Am «First Friday» gibt es lustige Angebote für kleines und grosses Publikum.

(Bild: Stefan Jermann und David Porfirio)

Am «First Friday» pulsiert das Leben

Zusammen mit Freunden hat der Bieler in die Ideenkiste gegriffen und den «First Friday» ins Leben gerufen: Seit letztem Frühling haben die Geschäfte jeden ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr geöffnet. Dabei bieten sie spezielle Sachen wie Degustationen, Mitmachaktionen, kleine Konzerte oder Verkaufsstände auf der Gasse an. Fast die gesamte Altstadt macht unterdessen mit, das Konzept kommt gut an. Eingetreten ist das, was vor ein paar Monaten noch für unmöglich gehalten wurde: Während des «First Friday» pulsiert das Leben in den vorher verwaisten Gassen und die Altstadt wird zum Treffpunkt für ganz Biel.

Bei den Einheimschen kommt der Anlass gut an: Viele Leute beleben die Altstadt.

Bei den Einheimschen kommt der Anlass gut an: Viele Leute beleben die Altstadt.

(Bild: Stefan Jermann und David Porfirio)

«First Friday» hat genau die umgekehrte Idee wie der berüchtigte «Black Friday», bei dem in den USA der vollkapitalistische Kaufrausch ausbricht. Am ersten Freitag des Monats geht es in Biel darum, auf die vielen kleinen und speziellen Läden, Beizen und Kulturangebote aufmerksam zu machen. Und das gelingt offensichtlich gut.

Die Nase voll von Einkaufstempeln

Auch Strippenzieher Reto Bloesch ist zufrieden. Die Altstadt werde wieder als das wahrgenommen, was sie sei: ein vielfältiger und lebendiger Mikrokosmos. «Die Atmosphäre ist fröhlich und entspannt, die Leute fühlen sich extrem wohl und sind neugierig, was die Altstadt alles zu bieten hat», sagt er. Zudem mache sich bemerkbar, dass Einkaufsalternativen gefragt seien. «Viele Leute haben die Nase voll vom Shopping-Stress in den multimedialen Einkaufstempeln. Die kommen jetzt zu uns in die Altstadt.»

«Die Altstadt ist zurück auf dem Radar der Leute: Sie sind neugierig und kommen wieder zu einem Einkaufsbummel.»
Reto Bloesch

Allerdings stellt sich die Frage, wie nachhaltig das Ganze ist. Profitieren die Läden, Werkstätten, Beizen und Galerien in der Altstadt längerfristig wirklich von einen monatlichen Event wie «First Friday» oder ist das einfach nur lustig während der Veranstaltung? «Die Läden profitieren ganz klar von diesem ‹Schaufenster› während der Veranstaltung. Das zeigen auch die Rückmeldungen von Geschäftsbesitzern», sagt Bloesch. «Die Altstadt ist zurück auf dem Radar der Leute: Sie sind neugierig und gehen wieder zu einem Einkaufsbummel dorthin», sagt Bloesch. 

Bummel in der Altstadt Biel ist am «First Friday» ein Erlebnis mit Überraschungen.

Bummel in der Altstadt Biel ist am «First Friday» ein Erlebnis mit Überraschungen.

(Bild: Stefan Jermann und David Porfirio)

Das Konzept «First Friday» hat sich herumgesprochen. «Es haben sich mehrere Vertreter aus anderen Städten bei uns gemeldet, die mehr darüber wissen wollen», sagt Bloesch. Um welche Städte es sich handelt, will man noch nicht verraten. «Luzern ist jedoch nicht dabei. Oder jedenfalls noch nicht», sagt Bloesch und lacht. Ob das Bieler Konzept auch für die Altstadt Luzern angewendet werden könnte, kann er aus der Ferne nicht beurteilen. «Ein solches Konzept ist im Prinzip für jede Stadt sinnvoll. Es muss jedoch nicht unbedingt in der Altstadt sein – das kommt auf die örtlichen Bedingungen und Situationen an.»

In Luzern ist es umgekehrt

In der Stadt Luzern ist die Situation gerade umgekehrt: Was in Biel die Altstadt ist, ist in Luzern die Neustadt. Dort und im Bruchquartier finden sich die kreativen Leute mit Nischenangeboten und speziellen Läden, die auch mal schräge Sachen und Aktionen auf die Beine stellen. Hauptgrund: Die Mieten sind um ein Vielfaches günstiger als in der Altstadt. Auch das ist umgekehrt wie in Biel: In der Luzerner Altstadt sind die Preise teilweise horrend (zentralplus berichtete).

Die Altstadt Luzern ist schön. Aber nach Ladenschluss ausgestorben.

Die Altstadt Luzern ist schön. Aber nach Ladenschluss ausgestorben.

(Bild: dvm)

«Dass es günstige Ladenlokale gibt, ist die wichtigste Voraussetzung zur Wiederbelebung der Bieler Altstadt», sagt Bloesch. Allerdings waren die Preise dort auch nicht immer so tief. «Wenn der Kaufboom nicht mehr so brummt, sinken automatisch auch die Immobilienpreise. Das ist in unserem Fall ein Vorteil», sagt Bloesch.

Ob das in der Altstadt Luzern auch eintreffen könnte, sei dahingestellt. Denn Luzern hat etwas, was Biel nicht hat: Touristen. Und die kaufen Uhren und Schmuck auch in einer ansonsten trostlosen Altstadt.

Hier gibt es mehr Eindrücke vom «First Friday» in Biel:

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