Der erste Schweizer Astronaut an der Kanti

Wie Claude Nicollier den Zugern das Abenteuer schmackhaft macht

Selfie mit Nicollier im abgedunkelten Klassenraum.

(Bild: mam)

Als Physiker oder Mathematiker muss man nicht sein ganzes Leben lang Gleichungen umformen und in staubigen Studierstuben brüten. Zu was man es als Wissenschaftler bringen kann, zeigte der Astronaut und Abenteurer Claude Nicollier den Kantischülern in Zug.

Vor 20 Jahren war er ein Held und ziemlich oft in den Medien: Claude Nicollier (heute 73), der erste und einzige Schweizer im Weltall. Er war Astronaut und flog Missionen auf vier Space Shuttles, von denen eines, die «Columbia», abgestürzt ist. Natürlich ohne Nicollier, sonst könnte er nun nicht in der Kantonsschule Zug stehen und zwei Klassen aus dem vierten Schuljahr die Faszination der Raumfahrt vermitteln.

zentralplus hat Nicollier gefragt, was es braucht, um weit zu kommen im Leben?

In einem Vortrag hat er über die Anfänge und Geschichte der Reisen in den Weltraum berichtet, von Raketen und Explosionen erzählt. Von Ruhm, Glück, Ehre und Tragik. Und natürlich viel von angewandter Physik. Jetzt ist Fragestunde, und die Schüler wollen Details zu den Missionen wissen, an denen er teilgenommen hat. Nicollier erzählt und flicht dabei immer wieder Bemerkungen ein, wie «Das kann man ausrechnen», oder: «Das fusst auf diesem oder jenem Gesetz, das Sie noch kennenlernen werden.»

Wegen Zahnplombe den Sternenflug verpasst

Nicollier will den Jungen sein Metier näherbringen – aber auch zeigen, wie aufregend es sein kann, zur Gemeinschaft der Wissenschaftler zu gehören. Und die Lehrer der Kanti wollen mit dem prominenten Besuch das Interesse an naturwissenschaftlichen Berufen fördern. Sie gehören selbst zu Nicolliers Fans: «Er war mein Held und ein wichtiger Grund dafür, dass ich Physik studiert habe», sagt Lehrer Philipp Aregger.

«Wegen Claude Nicollier habe ich mich als Astronautin beworben.»

Corinne Dahinden, Kantonsschule Zug

Seine Kollegin Corinne Dahinden erinnert sich, dass sie sich nach einem Vortrag von Nicollier in Zürich selber bei der Europäischen Raumfahrtagentur als Astronautin beworben hat. «Ich kam in die zweite Runde». Dann war Endstation – aus vielen Gründen: «Ich hatte eine Zahnplombe, zu wenig gute Kondition und konnte kein Russisch», erinnert sich die Mathematiklehrerin.

Helden der Moderne

Auch Nicollier selbst schaffte es nicht so einfach in den Weltraum: Er war Militärpilot und 25 Jahre alt, als ein Autounfall der Fliegerei ein Ende setzte. Nicollier sah aber 1969 die Mondlandung im Fernsehen, war inspiriert und kämpfte sich wieder heran.

Erst studierte er Physik und Astrophysik, schaffte es bei der Swissair zurück ins Flugzeug-Cockpit und heuerte später in den Niederlanden bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA als Wissenschaftler an. Er kam in eine erste Astronautengruppe und sah 1992 als knapp 46-Jähriger zum ersten Mal die Erde aus dem Weltall.

Als Astronaut war Nicollier Spezialist für die Reparatur des Weltraumteleskops Hubble.

Als Astronaut war Nicollier Spezialist für die Reparatur des Weltraumteleskops Hubble.

(Bild: mam)

Im persönlichen Gespräch besteht Gelegenheit, den Superman aus Vevey genauer kennenzulernen. Denn Supermänner unserer Zeit sind diese Astronauten: Zum einen sind sie nach jahrelangem Training hyperdiszipliniert, extrem gut ausgebildet und spezialisiert. Doch Streber und Kontrollfreak zu sein, reicht nicht – Astronauten sind auch Abenteurer und Grenzüberschreiter, die mit Chaos fertig werden müssen. Wenn das Raumschiff im All kaputtgeht, kann man nicht den Pannendienst rufen.

Wie Schweizer Militär auf Weltraum vorbereitet

Nicollier ist ein sehr helvetischer Superman: Er besitzt ein gepflegtes Äusseres mit rasiertem Haarkranz und einem bescheidenen Auftreten («mein Deutsch ist limitiert»). Er wirkt kontrolliert, ein wenig spröde vielleicht, aber dennoch sympathisch. Er erzählt, wie gut ihn die Militärfliegerei für den Astronauten-Job präpariert habe, da dort gute Vorbereitung, rasche Entscheidungsfindung und Teamarbeit mit absolutem Vertrauen in die Nebenleute geschult worden sei.

Überhaupt ist seriöse Vorbereitung ein grosses Thema für den Waadtländer: Für die Selektion zum Astronauten habe er sich immer so gründlich wie möglich – wie für ein Universtitätsexamen – vorbereitet. «Ich wollte nicht bei einer einfachen Frage in Verlegenheit geraten.» In Biologie sei er gefragt worden, was Hämoglobin sei. Er hatte gebüffelt, was rote Blutkörperchen sind und kam weiter.

Hoffen auf den Flug in der Lotterkiste

Nicollier nennt das: «Die Wahrscheinlichkeit erhöhen, das Ziel zu erreichen». Und scheint damit ganz Kopfmensch zu sein. Dazu passt, dass er nach seiner Astronauten-Laufbahn Professor an der ETH Lausanne wurde und später die Flugversuche des Solarflugzeugs «Solar Impulse» leitete.

Aber irgendwo muss diesen seriösen Schweizer Schaffer auch ständig der Hafer stechen. Allerspätestens bei seinem Weltraum-Spaziergang im Jahr 1999 muss er sich mit einem Abenteurer-Virus infiziert haben, den er nicht mehr loswird. Er möchte nämlich mit einem Nachbau des ältesten Schweizer Flugzeugs, der «Dufaux 4» den Genfersee überfliegen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt verweigert bislang die Zulassung der Replik – es misstraut der Technik aus dem Jahr 1909. Doch Nicollier hofft weiter. Ein Astronaut ist eben nicht nur Techniker, sondern bleibt auch Romantiker.

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