Dieser Unterägerer sammelt alte Flipperkästen

Wenn es «rattert und schnattert», ist er glücklich

Ruedi Gisler hat ein ungewöhnliches und ziemlich platzbedürftiges Hobby. (Bild: wia)

Ruedi Gisler hat ein aussergewöhnliches Hobby. Er sammelt seit sechs Jahren alte Flipperkästen aus den 60er- und 70er-Jahren. Mittlerweile hat er so viele davon, dass er einen Lagerraum dazumieten musste.

Ruedi Gisler blickt sich in seiner Wohnung um und stellt lakonisch fest: «Briefmarkensammeln wäre einfacher.» In der Tat. Die vier Flipperkästen, die im Wohnzimmer des Unterägerers stehen, nehmen ganz schön viel Raum ein. Leicht sind die mechanischen Spielmaschinen ebenfalls nicht. Ein einziger Kasten wiegt ganze 140 Kilogramm. Können tut er dabei für heutige Verhältnisse sehr wenig.

Trotzdem hat Gisler einen Narren gefressen an den sperrigen Spielmaschinen. Rund 50 Stück davon besitzt der Pensionär. Sie alle unterscheiden sich in ihrem Design. Dennoch ist ihnen eines gemein: Es handelt sich um alte Flipperkästen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die rein elektromechanisch funktionieren.

Will heissen: Durch das Betätigen der Tasten links und rechts der Maschine wird Strom in die Spule gebracht. Dadurch entsteht in ihr ein Magnetfeld, welches die Flipper hochschnellen lässt. Somit wird der Stahlball in die Höhe katapultiert, wo er auf verschiedene Ziele trifft und durch die Berührung mit dem Ball bedient, welche die Zählwerke in Bewegung setzen.

Maschinen ohne nervöse Musik und wildes Geblinke

Elektronische Kästen funktionieren hingegen mit der Hilfe von Halbleiterplatten, Schaltkreisen und Prozessoren. Es handelt sich quasi um einfach gestrickte Computer. Als Faustregel gilt: Blinkt der Flipperkasten nervös, spricht er mit der Spielerin und untermalt das Spiel mit Musik aus integrierten Boxen, handelt es sich um ein elektronisches Modell. Diesen Flipperkästen kann Gisler weniger abgewinnen. «Dort fehlt mir die Seele. Mein Herz ist bei den ganz alten Geräten. Für mich muss es rattern und schnattern.»

Eine frühe Passion, die jedoch viele Jahrzehnte schlief

Er erzählt: «Ich bin hier in Unterägeri aufgewachsen. Als Teenager, Mitte der 70er-Jahre, trafen wir uns jeweils im Ägerihof und im Schiff, um an genau solchen Geräten zu flippern.» Vier Leute konnten jeweils gegeneinander antreten. Die anderen standen um den Kasten herum und kommentierten die Spiele.» Aus dieser Phase wuchs der Zuger irgendwann heraus und vergass die sperrigen Maschinen.

«Das Reparieren der Kästen macht mir mindestens gleich viel Spass wie das Spielen.»

Ruedi Gisler, Flipperkasten-Sammler

«Vor rund sechs Jahren habe ich nach langer Zeit wieder einmal in einer Bar geflippert. Wenig später beschloss ich, mir einen solchen Pinball-Kasten zu kaufen», so Gisler. «Bloss ging dieser nach vier Wochen kaputt. Als ehemaliger Automechaniker dachte ich, dass ich diesen eigenhändig flicken könne.» Er öffnete den Apparat und staunte nicht schlecht. «Erst da realisierte ich, wie interessant die ganze Technik in der Maschine ist.» Wenige Wochen später kaufte er sich ein defektes Exemplar. «Ich hatte realisiert, dass mir das Reparieren der Kästen mindestens gleich viel Spass macht wie das Spielen. Das ist ein richtiges Handwerk.»

Zwei Beispiele: Im Pinball-Kasten befindet sich ein Pendel. Behandelt man das Gerät zu grob, gerät dieses in Schwingung, der Kasten hört auf zu funktionieren und das «Tilt»-Zeichen wird beleuchtet. Dasselbe passiert, wenn jemand die Neigung der Spielfläche verringern und das Flippern damit vereinfachen will. Ein Metallball in einer nahezu horizontalen Schiene bewegt sich dann und aktiviert damit den Ausschalt-Mechanismus.

Rechts im Bild sieht man das Pendel, oben die Kugel, die den Anti-Cheat-Mechanismus auslöst. (Bild: wia)

Mit seiner Passion ist Gisler nicht allein

Sein Handwerk konnte Gisler während der Pandemie vertiefen. «Ich war während jener Zeit sehr froh über meine Kästen. Ich schraubte oft an ihnen herum und begann sie weiterzuentwickeln. Zudem lernte ich diverse Leute kennen, die sich ebenfalls für Flipperkästen interessieren und mit denen ich mich austauschen kann.» Mittlerweile ist er Mitglied bei Pin City, dem grössten Flipperclub der Schweiz, der sich in Thalwil befindet.

Im vergangenen Herbst reiste der Zuger gemeinsam mit den beiden Clubgründern nach Chicago an eine einwöchige Pinball-Expo. «Was Detroit dereinst für die Autoherstellung war, war Chicago für Pinball-Automaten», sagt er. «Das war ganz mein Ding.»

Auch wenn sich Gisler mittlerweile zum Flipper-Reparaturprofi gemausert hat: Geld verdienen steht für ihn nicht im Vordergrund. Dennoch will oder muss er sich aus Platzmangel langsam von einigen Geräten trennen oder diese zumindest vermieten. Reich wird er damit nicht. «Modernere Flipperkästen werden teils für bis zu 20’000 Franken gehandelt, wenn es sich um limitierte Produkte handelt. Meine Geräte sind jedoch alle 40 bis 60 Jahre alt. Die erzielen maximal 5000 Franken, wenn sie sehr schön sind.»

Vom Estrich bis zum Keller steht alles im Zeichen des Flipperns

Ausserdem hat der Unterägerer das Glück, dass ihm das Haus gehört, in dem er lebt: Somit hat er Platz für sein ungewöhnliches Hobby. Nicht nur das Wohnzimmer, sondern auch der ausgebaute Estrich und mehrere Kellerräume sind voll davon. «Trotzdem habe ich mittlerweile noch einen Lagerraum dazugemietet.»

Unter den historischen Geräten finden sich auch umstrittene Modelle. Gisler geht zu einem Flipperkasten mit der Aufschrift «Big Injun». «Er stammt aus dem Jahr 1973. Der Name hat einen rassistischen Hintergrund. In den Pinball-Fabriken arbeiteten damals viele First Nations. Man machte sich lustig über ihre Aussprache und darüber, dass sie ‹Injun› sagten statt ‹Indian›», erzählt Gisler.

So sehen die Kästen aus den 70ern aus. (Bild: wia)

Irgendwann hätten die Betroffenen genug gehabt von dieser Diskriminierung und ihre Arbeit niedergelegt, bis der Begriff angepasst worden sei. «Seither heisst der Kasten ‹Big Indian›.» Tatsächlich ist der Pinball-Automat nicht nur hinsichtlich seines Namens diskriminierend. Auch die Bebilderungen sind klischiert und übertrieben. (Das gilt übrigens auch für die Darstellung von Frauen auf den Flipperkästen aus diesen Jahren.) Ausserdem geht es bei diesem Spiel unter anderem darum, mit dem Ball auf die Köpfe der First Nations zu zielen, um Punkte zu erhalten.

Reparaturen, die früher eine Woche dauerten, schafft er jetzt in einer Stunde

Beliebt ist dieser spezifische Flipperkasten trotz oder auch wegen seiner umstrittenen Geschichte. «Dazu kommt, dass vom ‹Big Injun›-Automaten aufgrund des Namenswechsels nur gerade 100 Stück hergestellt wurden. Er gilt als gesuchtes Sammlerstück.» In Gislers Haus begegnet man dem Sujet gleich mehrmals. Im Schlafzimmer steht der obere Teil einer «Big Indian»-Maschine. Im Keller dagegen steht eine fast haargenau nachgebildete Kopie des Originals. Nur heisst diese «Big Sakem», zudem sind auf den Bildern auch Frauen zu sehen. «Italienische Firmen haben die amerikanischen Modelle damals oft schamlos kopiert», sagt er und zeigt auf die Maschine.

«Diesen defekten Flipperkasten habe ich gerade gestern im Piemont geholt», sagt Gisler. Er zeigt auf die ziemlich schmutzige Spielfläche und sagt: «Er ist jedoch in einem ziemlich schlechten Zustand.» Etwa zwei Wochen wird er voraussichtlich brauchen, um den Pinball-Kasten auseinanderzunehmen, zu putzen und zu polieren. «Immerhin funktioniert er nun, nachdem ich eine Stunde daran gearbeitet habe. Vor sechs Jahren hätte ich noch eine Woche gebraucht, um zu merken, wo das Problem liegt.» Gisler lächelt und sagt: «Es ist schon ein schönes Gefühl, wenn man innert weniger Stunden aus einem Stück Elektroschrott etwas machen kann, das funktionstüchtig ist.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ruedi Gisler
  • Website zu den «Big Injun»-Pinball-Maschinen
  • Website von Pin City in Thalwil
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