Was machen all die Journalisten auf dem Gleis?

Wenn die SBB am offenen Herzen operieren

Flüssiges Eisen wird in die Lücke zwischen den Gleisstücken geschüttet.

(Bild: wia)

Die SBB luden am Dienstag Medienschaffende dazu ein, bei einer Gleiserneuerung in Rotkreuz dabei zu sein. Und während da geschweisst und gehämmert wurde, erklärten die Herren der Bahn, warum ein technischer Vorfall im Gütschtunnel besonders problematisch wäre. Und weshalb man massiv im Verzug ist mit den Unterhaltsarbeiten.

«Die Weiterfahrt Ihrer S1 verzögert sich …» Alle Passagiere heben die Köpfe und lauschen gebannt. «… für unbestimmte Zeit.» Ein Raunen geht durch die Menge. «Grund dafür ist eine Stellwerkstörung.» Und das Nörgeln geht los. Nein, es ist nicht lustig, wenn der Zug aussteigt. Ob man nun bereits drinsitzt oder auf dem windigen Perron auf besagte Bahn wartet.

Nicht nur für die Passagiere, auch für die Mitarbeiter der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind solche Vorfälle unschön, stressig, und letztlich auch teuer. Das betont Markus Bochsler, der Leiter Instandhaltung der Region Mitte.

Die SBB haben die Medien am Dienstagmorgen nach Rotkreuz gelotst, damit diese an Ort und Stelle – sprich auf dem Gleis – sehen, wie viel Unterhalt es braucht, damit unsere Züge täglich reibungslos fahren.

Die Versäumnisse von gestern werden heute ausgebadet

Davor erklären uns die Herren von den SBB jedoch, was denn grundsätzlich die Schwierigkeit sei bei der Instandhaltung der Infrastruktur. Kurz gesagt: Die SBB sind ziemlich im Verzug. Hat man die Wartung früher schlichtweg verschwitzt? Bochsler sagt dazu: «Sicherlich war einer der Gründe, dass die Messtechniken damals ungenügend waren. Somit hatten die SBB weniger Erkenntnisse darüber, wie gut oder eben schlecht ihre Infrastruktur erhalten war. Heute weiss man, dass es viel häufigere Unterhaltsarbeiten braucht als früher angenommen. Auch, wenn das nur präventiv ist.» Ziel sei es, den bestehenden Rückstand bis 2035 aufgeholt zu haben.

«Wir haben im Gütschtunnel nur zwei Gleise. Wenn dort etwas ist, sind wir – bildlich gesprochen – tot.»

Romeo Zemp, SBB-Niederlassungsleiter Luzern

Während die Medienmenschen mit Leuchtwesten und Helmen ausgestattet werden, um dann in Richtung Baustelle zu ziehen, wollen wir von Romeo Zemp, dem Niederlassungsleiter von Luzern wissen, wo denn in der Region die problemanfälligsten Stellen sind. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. «Der Gütsch!» Der Gütsch? «Die kurze Teilstrecke, bevor die Züge in den Bahnhof Luzern einfahren, ist ein regelrechter Flaschenhals», erklärt Zemp. «Wir haben im Gütschtunnel nur zwei Gleise. Wenn dort etwas ist, sind wir – bildlich gesprochen – tot.»

Tatsächlich müssen alle Züge bis auf die Zentralbahn diesen Abschnitt passieren. Wenn das Gleis dort beschädigt ist, können weder die Züge von Zürich, noch jene von Bern oder Basel in den Bahnhof einfahren.

Romeo Zemp (l.) und Markus Bochsler von den SBB: Oben im Hemd, unten in Sicherheitskleidung.

Romeo Zemp (l.) und Markus Bochsler von den SBB: Oben im Hemd, unten in Sicherheitskleidung.

Auch sei der Unterhalt auf diesem Teilstück schwierig, da man mit den benötigten Maschinen nicht richtig herankäme, was wiederum die Bauzeit verlängern würde. Und jede Stunde, die man länger brauche für die Instandsetzung, koste viel Geld.

Die Leuchtweste ist montiert, nun geht’s aufs Gleis

Die Gruppe macht sich auf über den Feldweg in Richtung Geleise. Von weitem schon sind orange gekleidete Individuen sichtbar, die sich deutlich vom Grau und Grün der Umgebung abheben.

Was wäre denn die Lösung im Bezug auf das Nadelöhr bei Luzern? Eben doch ein Tiefbahnhof? Zemp sagt: «Tatsächlich würde ein Durchgangsbahnhof die Situation entschärfen. Doch das ist primär eine grosse Kosten- und demnach auch eine politische Frage.» Laut Zemp ebenfalls schwierig umzusetzen wäre der Gleisausbau. Dies insbesondere, da die Strecke mitten durch die Stadt verlaufe und der Platz damit sehr beschränkt sei.

Arbeiten am offenen Herzen quasi: Bauarbeiter arbeiten am Gleis, während daneben der Güterzug vorbeirattert.

Arbeiten am offenen Herzen quasi: Bauarbeiter arbeiten am Gleis, während daneben der Güterzug vorbeirattert.

(Bild: wia)

Wir stehen mittlerweile auf dem Schotter, auf dem aktuell ein neues Geleis verlegt wird. Es handle sich bei dieser Strecke – wir befinden uns zwischen Rotkreuz und Immensee – um ein sogenanntes Nebengleis. Einem Gleis, das mehrheitlich in der Nacht und von Güterzügen benutzt wird. «Darum ist es überhaupt möglich, hier tagsüber Gleise zu verlegen», erklärt Zemp. Dennoch müsse man gut aufpassen. Denn eines der zwei Gleise ist trotz Arbeiten befahren.

Die Hörner der Sicherheitsleute warnen uns, Obacht: Ein Zug naht. Und wenig später fährt er denn auch vorbei, der Güterzug, so dicht, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Macht auch nichts, denn gucken allein reicht. Die Spezialbauarbeiter sind nämlich gerade daran, ein nigelnagelneues, 108 Meter langes Gleis, ans bereits daliegende zu schweissen. Zu diesem Zweck dichten sie die Lücke zwischen den beiden Metallteilen mit einer Form ab und füllen diese anschliessend mit flüssigem Stahl.

«Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Und da stand dieser entgleiste Zug ziemlich schräg im Bahnhof.»

Romeo Zemp, SBB-Niederlassungsleiter Luzern

Als der Zug weg ist, löchern wir Zemp weiter mit Fragen. Wollen wissen, wie er als Niederlassungsleiter Luzern die Zugsentgleisung vor einem halben Jahr erlebte (zentralplus berichtete). «Während des Vorfalls sass ich am Luzerner Standort in einer Sitzung. Irgendwann hörte ich mehrere Sirenen, worauf ich einen Blick aus dem Fenster warf. Und da stand dieser entgleiste Zug ziemlich schräg im Bahnhof.»

Die darauffolgenden Tage seien turbulent gewesen: «Wir haben den Zug gesichert und waren dann für den Unterhalt zuständig. Die Gesamtleitung beim Vorfall hatte jedoch ein nationales Team.»

Bevor das flüssige Metall in die Lücke zwischen den Gleisen gefüllt wird, müssen die Enden der Geleise erhitzt werden.

Bevor das flüssige Metall in die Lücke zwischen den Gleisen gefüllt wird, müssen die Enden der Geleise erhitzt werden.

(Bild: wia)

Die Luzerner Entgleisung als Summe verschiedener Faktoren

Der Entscheid, den Bahnhof damals völlig zu sperren, sei sowohl aus Sicherheits- als auch Kostengründen passiert. «Hätten wir den Betrieb laufen lassen, hätten die Gleisarbeiter gleich neben den befahrenen Gleisen arbeiten müssen. In Anbetracht dessen, dass diese 400 Meter Gleise verlegen mussten, wäre das gefährlich gewesen. Ausserdem konnten wir so viel speditiver und daher auch kostengünstiger arbeiten», sagt Zemp.

Der Grund für die Entgleisung sei indes noch immer nicht klar. Der Mutmassung, dass der Vorfall mit einer besseren Wartung hätte verhindert werden können, widerspricht er. «Das war nicht einfach ein technischer Fehler. Es war die Summe verschiedener Faktoren, die zu dem Zeitpunkt zum Unfall geführt haben.»

Mittlerweile ist das Gleisstück ans nächste geschweisst und versiegelt. Nun gilt es, abzuwarten, bis das Eisen kühl geworden ist, um das Teilstück dann abzuschleifen. Man will schliesslich nicht, dass es bei der Fahrt zwischen Rotkreuz und Immensee künftig holpert.

Los geht's in die wohlverdiente Mittagspause.

Los geht’s in die wohlverdiente Mittagspause.

(Bild: wia)

 

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