Ehemaliger Pfarrer nun Gastronom im Seetal

Wegen seiner Frauen brach er mit Kirche und Bischof

Niklas Raggenbass bedient die Kaffeemaschine.

(Bild: mhu)

Wegen jahrelangen heimlichen Beziehungen zu Frauen musste der ehemalige Pfarrer Niklas Raggenbass vor drei Jahren über Nacht sein Pfarrhaus räumen. Heute kritisiert er die Kirche für ihr damaliges Verhalten. Sein Leben aber nahm dadurch eine überraschende Wende: Heute leitet er den Gasthof «Leuenstern» in Hohenrain.

Als junger Mann war er Taxifahrer und Croupier in einem Casino, nach einem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete er als Jurist an der Zürcher Universität und mit 36 Jahren trat Niklas Raggenbass ins Benediktinerkloster Engelberg ein. «Wenn ich an mein Leben denke, wird mir manchmal schon schwindlig. Es war ein Weg mit vielen Auf- und Umbrüchen», sagt Raggenbass, während er die Besucherin durch die Kellergewölbe des «Leuenstern» in Hohenrain führt. 

Gerätschaften aus 19. Jahrhundert im Keller

Die schwindelerregenden Wege führten den ehemaligen Pfarrer an steilen Abhängen entlang, aber eben auch in dieses prächtige, denkmalgeschützte Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert mit Blick auf den Pilatus. Hier im Seetal, am Fusse des Lindenbergs, wuchs seine Partnerin Maria Leu auf. Bevor das Paar die Türen vor einem Jahr für Gäste öffnete, wurde das alte Haus um einen Neubau erweitert, mussten die Kellergewölbe und der noch ältere Speicher nebenan vom neuen Hausherrn entrümpelt und saniert, Gartensitzplätze angelegt werden.

Der Gewölbekeller wurde saniert.

Der Gewölbekeller wurde saniert.

(Bild: mhu)

Alle diese Räume, samt den alten Stuben mit den wunderschönen Kachelöfen, können jetzt für Seminare, Lesungen und Konzerte gemietet werden. Niklas Raggenbass schlägt die kunstvollen Kuhglocken an, die jetzt auf dem Speicherboden schön geordnet als Glockenspiel aufgereiht sind. «Eine Unmenge von bäuerlichen Gerätschaften, vieles aus dem vorletzten Jahrhundert wie jenes Spinnrad oder das Butterfass dort, lagen hier haufenweise herum.»

Pfarrer räumte Pfarrhaus in Nacht-und-Nebel-Aktion

Aber was war denn eigentlich 2015 passiert, als der beliebte Solothurner Pfarrer, der vielen als Hoffnungsträger galt, mitten in der Nacht sein Pfarrhaus räumte, seine Koffer in einer Scheune einstellte und dann für drei Monate bei Anselm Grün, dem bekannten Benediktinerpater in Bayern, untertauchte? Nach jahrelangen, heimlichen Beziehungen mit Frauen, auch schon im Kloster Engelberg, habe es ihn fast erdrückt, beschreibt er rückblickend seinen damaligen Zustand.

Er habe immer mehr gearbeitet, niemandem von seinen inneren Zerreissproben erzählt. Raggenbass fasst sein «inneres Chaos» zusammen: «Nach und nach brannte ich aus. Wem hätte ich mich anvertrauen sollen? Ich schämte mich, hatte Angst, mein Versagen preiszugeben, und dachte, ich sei erpressbar, wenn ich davon erzählen würde. Man hätte mich damals mit der Kraft Gottes auf den Mond schiessen können.»

Raggenbass als Pfarrer in Solothurn.

Raggenbass als Pfarrer in Solothurn.

(Bild: zvg)

Immer wieder war er nahe daran, die Beziehung zu seiner Partnerin aufzulösen. Doch plötzlich kam der Pfarrer an einen Punkt, wo er die Flucht nach vorne antrat: Raggenbass reichte, nach einem persönlichen Gespräch, beim Bischof seine Demission ein. Dieser ordnete  an, jener solle Solothurn möglichst schnell verlassen, ausser einem kleinen Kreis von Eingeweihten durfte niemand etwas über die wahren Hintergründe erfahren. In der offiziellen Erklärung, die folgte, hiess es, Raggenbass hätte Probleme mit Nähe und Distanz gehabt.

Kein Dank seitens der Kirche

«Eine solche Aktion würde ich nie mehr mittragen», sagt Raggenbass heute zu den bischöflichen Weisungen von damals. Auch, weil er aus seiner seelsorgerischer Tätigkeit weiss, dass er kein Einzelfall ist und es des Zölibats wegen viele tragische Schicksale gibt. Der heute 63-jährige Raggenbass ist sich bewusst, dass er das Zölibat unterschätzt hatte und dass er mit seinem Verhalten viele Menschen enttäuscht, Frauen verletzt hat.

«Kein Dank, kein Trost, keine Ermutigung, keine guten Wünsche für einen, dem alles zu entgleiten drohte, weder von Bischof Felix Gmür noch von Papst Franziskus.»

Solche Worte, die Mut und Demut zugleich beweisen, könnten eigentlich eine gute Voraussetzung sein, um in einen Dialog zu treten. Doch eine bischöfliche Umarmung und ein Formular aus Rom, das nach mehreren persönlichen Schreiben Monate später eintraf und ihn aus dem priesterlichen Dienst entband, waren die einzigen Reaktionen.

Das grosse Schweigen befremdet und enttäuscht ihn und er fragt sich: «Wird auf diese Weise das Ende des Priestertums besiegelt? Kein Dank, kein Trost, keine Ermutigung, keine guten Wünsche für einen, dem alles zu entgleiten drohte, weder von Bischof Felix Gmür noch von Papst Franziskus, einfach nichts.»

Traumseminare und Bibelabende

Diese Geschichte erklärt also, wie ein Pfarrer zum Gastgeber im «Leuenstern» wurde. «Wir sind erfolgreich gestartet», sagt Raggenbass, der jetzt in seiner neuen Rolle ganz auf regionale Produkte setzt, sich überdies bestens mit der Nachbarschaft und dem lokalen Gewerbe vernetzt und für fast alles offen ist: Für die kulinarisch-künstlerischen Sternzeichenabende hat er einen malenden Koch engagiert. Demnächst wird der Wohnungsputz im Rahmen eines Partyabends zu erlernen sein, auch Whisky- und Rum-Tastings sowie Bibelabende stehen auf dem Programm.

Raggenbass schlägt die Kuhglocken an.

Raggenbass schlägt die Kuhglocken an.

(Bild: mhu)

«Unsere Gäste sind sehr unterschiedlich. Kürzlich fand ein Traumseminar statt, dafür stellten wir zwei Betten in den Gewölbekeller.» Dieser Mix zeigt die Vielseitigkeit eines Gastgebers, der keine Scheu hat, Klangschalen, Astrologie und Kirchenglocken in friedlicher Koexistenz miteinander zu vereinen. Doch könnten das bunte Angebot sowie die zahlreichen Statuen, Bilder, Skulpturen und Gegenstände im und um das Haus auf manchen Besucher bisweilen auch etwas zufällig und uneinheitlich wirken.

Raggenbass schreibt eigene Biographie

Aus Raggenbass wird wohl nie ein ganz gewöhnlicher Gastwirt und Seminarhausleiter werden. Nicht nur, weil das feine Tuch um den Hals und seine Art zu sprechen nicht ganz dem Bild eines Gastronomen entsprechen. Auch, wenn er im alten Speicher an den Seilen zieht, um die Glocken zu läuten, wenn er darauf hinweist, dass der Schmetterling auf der Kuhglocke ein Christussymbol ist oder wenn er von seinen Plänen für einen Kapellenbau erzählt, dann ist da noch viel Herzblut für Kirche und Religion zu spüren.

Zurzeit ist Niklas Raggenbass daran, seine Biografie zu schreiben. Der Arbeitstitel: «Das Kreuz mit dem Weg.» 25 Jahre geistliches Leben können schliesslich nicht einfach weggesteckt werden. Denn dieser Lebensweg erzeugt, wie bereits erwähnt, ab und zu immer noch Schwindel.

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