Ein Jahr nach dem Luzerner Frauenstreik

«Es ist zu wenig, viel zu wenig passiert»

Tausende waren es vor einem Jahr in Luzern. Doch dieses Jahr müssen es die Frauen ruhiger angehen. Wegen Corona. (Bild: ida)

Bunt und laut war es, als vor einem Jahr Tausende Frauen auf die Strassen zogen. Was vom Aufschrei und all den Forderungen des Frauenstreiks übrig bleibt – und weswegen die Frauen auch an diesem Sonntag sichtbar sein werden.

Sie waren laut. «Überwältigend» war es gewesen. Bewegend. Emotional. Es wurde gelacht, geschrien und getanzt (zentralplus berichtete). Der Frauenstreik 2019 geht in die Geschichte ein. Und auch dieses Jahr werden die Frauen wieder sichtbar sein. In Luzern ist zwar keine Demo geplant, aber die Erinnerungen des letzten Jahres können auf der Frauenmeile wieder aufgeflammt werden (siehe Box). Doch: Was hat sich seit dem Frauenstreik vor einem Jahr in Luzern getan?

«Wenig, viel zu wenig ist seither passiert», sagt Michelle Meyer vom Komitee des Luzerner Frauenstreiks.

Auch wenn die Frauen in Luzern alles andere als tatenlos blieben. Das Frauenstreik-Komitee reichte einen Monat nach dem grossen Aufschrei eine Petition ein. Mit dieser verlangte es, dass ein ausführlicher Gleichstellungsbericht erarbeitet werden soll. Selbst die Regierung hat dem Anliegen zugestimmt (zentralplus berichtete).

An jedem 14. des Monats finden bis heute Treffen statt. Arbeitsgruppen formierten sich, es wird zu Lesezyklen geladen. Es gab Proteste gegen Gewalt an Frauen in aller Stille – aber auch ein lauter, wütender, prägnanter Flashmob gegen sexuelle Gewalt, bei dem Frauen ihren Finger auf die Schuldigen richteten: Politik. Staat. Justiz.

Das geschah seit dem 14. Juni in Luzern in Sachen Gleichstellung:

Ein Nein genügt nicht bei einer Vergewaltigung

Auch national tat sich auf politischer Ebene einiges. Die Wahlen des letzten Jahres waren ein Rekordjahr – auch für Frauen. Bei den Nationalratswahlen stieg der Frauenanteil um zehn Prozent. Heute sitzen 84 Frauen im Nationalrat, was 42 Prozent entspricht.

Das ist an diesem Sonntag am 14. Juni geplant

Auch ein Jahr nach dem grossen Frauenstreik steht in Luzern für den 14. Juni ein Programm. Wie die 30-jährige Amanda Probst vom Frauenstreik-Komitee erzählt, gibt es eine Frauenmeile. Dabei kann man die Route der letztjährigen Demonstration nachlaufen. Per QR-Codes können die gehaltenen Reden nachgelesen werden. Pinke und lila Ballone werden den Weg zieren, bei der Box beim Luzerner Theater – «dem Frauenstreikplatz» – dutzende Transparente aufgehängt. «Wir werden auch dieses Jahr sichtbar sein und für unsere Forderungen einstehen», sagt Amanda Probst.

Derzeit läuft zudem auf politischer Ebene die Revision des Sexualstrafrechts. Dabei geht es auch um die Definition einer Vergewaltigung. Heute ist strafrechtlich nur dann von einer Vergewaltigung die Rede, wenn Gewalt im Spiel ist, sich das Opfer wehrt. Viele – fast 70 Prozent aller Opfer – fallen aber laut Studien in eine sogenannte Schutzstarre. An diesem Freitag wurde nun der Appell für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht lanciert. Wie Amanda Probst, ebenfalls Mitglied des Luzerner Frauenstreik-Komitees meint, sei dieser Appell mit Rückenwind des Frauenstreiks so schnell lanciert worden.

Der lange, harzige Weg in der Politik

Gleichstellungsthemen fanden vermehrt Gehör in Gesellschaft, Politik und in den Medien. Michelle Meyer erzählt, wie sie auch in ihrem Politikwissenschaft-Studium an der Universität Zürich gemerkt habe, dass Dozierende seit dem nationalen Frauenstreik mehr die weibliche Form gebrauchen.

Durch den Frauenstreik seien die Frauen in Luzern vernetzter, man kenne wichtige Ansprechspersonen. Man wisse, wo man Hilfe und Unterstützung findet. «Der Frauenstreik hat etwas enorm Bewegendes, weil viele Frauen durch das Netzwerk Mut fassen und wissen, dass sie nicht alleine sind», sagt Amanda Probst.

«Es ist sehr ernüchternd, wie viele wir waren – und wie wenig aus unseren Forderungen wurde.»

Michelle Meyer, Luzerner Frauenstreik-Komitee

Doch all das, was seither geschah, sei zu wenig. «Realpolitisch hat sich leider sehr wenig getan», sagt Michelle Meyer. «Es ist sehr ernüchternd, wie viele wir waren, die lauthals Gleichstellung forderten – und wie wenig aus unseren Forderungen wurde.»

Die Politik hinke immer nach. Und wenn es realpolitisch harzig sei, sei umso mehr eine grosse Bewegung aus dem Volk nötig, so die 22-Jährige weiter. Zudem sei es, wenn es um sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt geht, schwierig, Forderungen zu stellen, die auch realistisch seien. Erst kürzlich habe es in einem Info-Chat des Luzerner Frauenstreiks eine Diskussion gegeben, ob eine Betroffene Anzeige bei der Polizei machen sollte. «Einige schrieben, dass es ja doch nichts bringe, weil man nicht ernst genommen wird», sagt Michelle Meyer. Das zeige: Man sei noch meilenweit davon entfernt, wenn man im Falle einer sexuellen Belästigung erst noch überlegen muss, ob man zur Polizei gehen soll oder nicht.

Michelle Meyer, die auch im Vorstand der Jungen Grünen ist, spricht zudem von einem Stadt-Land-Graben. Wenn sie an Klassentreffen auf dem Land geht, sei es viel normaler, wenn jemand einen sexistischen Witz reisse. Oder dass sich Frauen viel mehr damit abgefunden haben, dass nur die männliche Form benutzt wird.

Was die Corona-Krise gezeigt hat

Gerade jetzt, in der Corona-Krise, hätten sich Probleme aufgedrängt und zugespitzt, sagt Amanda Probst. «Frauen sind systemrelevant. Sie halten die Gesellschaft zusammen, was sich in der Krise gezeigt hat.»

«Wir werden auch dieses Jahr sichtbar sein und für unsere Forderungen einstehen.»

Amanda Probst, Luzerner Frauenstreik-Komitee

Sie kritisiert, dass Berufe in der Pflege und Kinderbetreuung viel zu wenig wertgeschätzt und zu wenig entlöhnt werden. Die Schweiz, auch Luzern, klatsche zwar für ihre Heldinnen – «aber Klatschen alleine genügt nicht».

Und dies sei das Enttäuschendste an der ganzen Bewegung.

Die engagierten Frauen sind sauer. Enttäuscht, aber nicht weniger motiviert, für dieses Jahr auf politischem Weg mehr zu erreichen. Gleichstellung passiert nicht von heute auf morgen – er ist ein «Langstrecken-Marathon», wie das Komitee bereits drei Monate nach dem Frauenstreik verlauten liess.

Am Sonntag wird «gefraulenzt»

Neben der Frauenmeile in Luzern wird national zum #fraulenzen aufgerufen. Frau soll nichts tun. Wer Farbe bekennen will, soll Pink, Lila und Rot tragen, bei der Velotour seine Frauenstreik-Fahnen an den Korb hängen, Frauenstreik-Buttons tragen.

Die Frauen werden aber auch an diesem Sonntag nicht still sein. «Nur wegen Corona und weil wir nicht in derselben Masse auftreten können, müssen wir nicht weniger laut sein», sagt Michelle Meyer. Um exakt 15:24 Uhr wird schweizweit wieder Lärm gemacht. Mit Pfannen und Trillerpfeifen.

Auch der Frauenstreik-Song soll am Sonntag wieder auf- und abgespielt werden:

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